"Nachhaltiges Handeln kann auch ein Wettbewerbsvorteil sein"
Drei Fragen an Dr. Arne Flemming
Dr. Arne Flemming, Corporate Supply Chain Management and Global Logistics Services bei der Robert Bosch GmbH, spricht auf dem Forum Automobillogistik 2021 über Internationale Lieferketten im Spannungsfeld von Handelskonflikten und Pandemien. Weitere Informationen zum Forum und die Möglichkeit zur kostenfreien Anmeldung finden Sie auf https://www.forum-automobillogistik.de.
BVL: Das letzte Jahr hat mit der Pandemie, dem Brexit-Chaos und den Spannungen zwischen China und USA vieles auf den Kopf gestellt. Ist eine geregelte Supply Chain- Planung überhaupt noch möglich?
Flemming: Aktuelle Themen, wie die Covid-19 Pandemie, das Brexit-Chaos oder Konflikte in internationalen politischen Beziehungen, sind Herausforderungen für den gesamten Automobilbereich und führen zu anhaltend hohem Kostendruck in der Branche. Daneben rüstet sich Bosch als Zulieferunternehmen für den Wandel vom Verbrennungsmotor hin zur Elektrifizierung des Fahrzeugs. Aufgrund unserer globalen Lieferketten und den relativ langen Vorlaufzeiten innerhalb der Automobilindustrie sind wir als Zulieferer besonders stark von diesen Ereignissen und Entwicklungen betroffen.
Eine geregelte Supply-Chain-Planung ist per se immer auf Unwägbarkeiten ausgelegt, in der Vergangenheit zum Beispiel durch Fukushima, Vulkanausbrüche, Flut in Thailand, Brände/Störungen bei Vorlieferanten oder Marktschwankungen bei Kunden in unterschiedlich hohem Ausmaß. Dies ist in unserem Business eher die Regel als die Ausnahme, aber das macht SCM aus meiner Sicht ja auch so spannend. Eine geregelte Supply Chain Planung ist nur dann möglich, wenn die Organisation es schafft, adäquat auf diese Ereignisse reagieren zu können. Dafür braucht es resiliente Lieferketten – ein Schlagwort, welches in diesen Zeiten neue Popularität erlangte.
Aus meiner Sicht gibt es drei große Handlungsfelder, um die Widerstandsfähigkeit unserer Lieferketten zu erreichen und sogar zu erhöhen: Ein Aspekt ist Transparenz. Diese gibt uns die Möglichkeit, Engpässe frühestmöglich zu erkennen und auf der Grundlage von Fakten und Zahlen zu urteilen und zu handeln. Der zweite Bereich besteht darin, die Flexibilität innerhalb meines Unternehmens zu erhöhen. Damit ziele ich auf eine größere Anzahl alternativer Handlungsmöglichkeiten für das Unternehmen; im Grunde also auf die Erweiterung des möglichen Lösungsraums im Falle auftretender Störungen / Einflüsse auf die Supply Chain. Jegliche Transparenz und Handlungsmöglichkeiten sind jedoch völlig nutzlos, wenn Sie keine Organisation haben, die handeln kann. Sie brauchen jemanden oder eine Organisation, die Entscheidungen treffen und umsetzen kann. Dies ist der dritte Aspekt.
BVL: Zu all diesen Störungen kommt in der Automotive-Industrie der Wechsel auf neue Antriebsarten, wie Wasserstoff und Batteriefahrzeuge – wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Supply Chains aus, gerade für Bosch als großer Automotive-Zulieferer?
Flemming: Diese Entwicklung stellt für uns als Automobilzulieferer eine große Herausforderung dar. Neben dem rein organisatorischen Wandel, den wir innerhalb von Bosch vollziehen, müssen wir auch die operative Logistik für diese Antriebsarten leisten. Dies ist insbesondere für große Batterien eine eigene Herausforderung: Lithiumzellen und Batterien sind als gefährliche Güter eingestuft, sie, reagieren sehr empfindlich auf Beschädigungen und brennen bei unsachgemäßer Handhabung sehr schnell. Insbesondere bei hohen Stückzahlen und entsprechend hohem Gewicht der Ladung, müssen einige logistische Sondermaßnahmen getroffen werden., um die Abläufe abzusichern. Darunter zählen zum Beispiel speziell ausgestattete Verteilzentren, mit hochsensiblen Sprinkleranlagen an den einzelnen Regalböden sowie spezielle Transportbehälter für beschädigte Batterien mit Gel-Funktion. Darüber hinaus sehen wir derzeit noch Schwierigkeiten in der Kapazitätsplanung, da wir noch nicht genau wissen, welche Konzepte wo auf der Welt erfolgreich sein werden. Dazu kommen gegebenfalls politisch induzierte Schwankungen und Fragestellungen, wie beispielsweise: Könnte die Stimmungslage für Elektroautos kippen, falls die Abbaubedingungen von Lithium stärker thematisiert werden?
BVL: Wagen wir einen Blick in die Zukunft – was sind für Sie die wichtigsten Learnings für eine nachhaltige Supply Chain der nächsten Jahre?
Flemming: Transparenz über die eigene Lieferkette zu schaffen, digitale Lösungen für mehr Effizienz zu nutzen und die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren – das sind in einer globalen Wirtschaft mit komplexen Wertschöpfungsketten keine leichten Aufgaben. Dabei sind Bestrebungen in diesem Bereich auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll. Durch reduzierten Ressourceneinsatz und Standardisierung können u. a. Transportkosten und Kosten für Verpackungsmaterial signifikant reduziert werden. Beispiele hierfür sind die CO2- und Kostenreduktion durch Transportkonsolidierung, restriktiveren Einsatz von Sonderfahrten sowie aktive Umstellung von Luft- auf Seefracht. Im Bereich Verpackung bietet die Erhöhung von Packdichten von Verpackungsmaterial, sowie der vermehrte Einsatz recyclingfähiger Kunststoffverpackung weitere Kostenvorteile.
In der Absicherung unserer Lieferketten spielen CSR-Maßnahmen (u.a. CSR-Assessments, Corporate Agreements) mit unseren Partnern eine ebenso elementare Rolle, die stabile Lieferbeziehungen fördern und für resiliente und transparente Lieferketten sorgen.
Zuletzt sehe ich nachhaltiges Handeln bei allen unseren Partnern sehr wertgeschätzt. Insbesondere im Hinblick auf unsere Attraktivität als Arbeitsgeber sowie unser Image bei unseren Kunden kann nachhaltiges Handeln auch ein Wettbewerbsvorteil sein. Das Thema genießt hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern und Kunden, diesen Vorteil gilt es in allen Bereichen weiterhin auszubauen und zu nutzen. Es ist aber schließlich auch die Verantwortung von uns allen für die nachfolgenden Generationen und die Gesellschaft, die uns verpflichtet, nachhaltig zu wirtschaften.
BVL: Herr Dr. Flemming, vielen Dank für das Gespräch.