Digitale Speditionen fluten den Logistik Markt mit disruptiven Geschäftsmodellen
Sie sind jung, angriffslustig und sie machen von sich reden. Immer mehr liest man von digitalen Speditionen, die Einzug in das deutsche Transportgeschäft halten. Startup-Firmen wie instafreight oder Loadfox wollen den Markt umkrempeln und den traditionellen Speditionen Konkurrenz machen. Die Gründer kommen meist nicht aus der Logistikbranche. Das fachspezifische Know-how haben sie sich zugekauft. Sie bauen auf ihre elektronischen Assistenten: Algorithmen sollen das erledigen, was Disponenten heute Kraft ihres Wissens und ihrer Erfahrung leisten. Digitale Speditionen stellen den Anspruch, die vielen Schritte auf dem Weg zur Digitalisierung einfach zu überspringen. Kann das gelingen?
Alle 5 Tage wird ein neues Logistik Startup gegründet
Eine tiefgreifende Innovationswelle erfasst alle Sektoren und Akteure der internationalen Transport- und Logistikindustrie, gleich ob Bahn, Post, Spedition oder Fluglinie. Das geht aus dem aktuellen Branchenreport „Transport & Logistics“ der Managementberatung Oliver Wyman hervor, der die jüngsten Trends, Entwicklungen und Perspektiven beschreibt. Danach wird im Schnitt alle fünf Tage ein neues Logistik Startup gegründet. Die Kernkompetenz der Gründer ist keinesfalls die Logistik an sich, sondern vielmehr ihr digitales Verständnis. Sie analysieren Daten, überwachen Prozesse und entwickeln Lösungen. Mit intelligenten, disruptiven Geschäftsmodellen wollen sie den etablierten Akteuren Kunden streitig machen. Ihr Vorteil: Mit den neuen Technologien erreichen sie schnell viele Kunden, ohne dafür signifikant in physische Infrastrukturen zu investieren.
Im Herzen ein Algorithmus
Im Zentrum der disruptiven Geschäftsmodelle stehen unterschiedliche Algorithmen, die Preise oder Routen berechnen und damit die Funktion von Disponenten mittelfristig weitgehend auf Trouble-Shooting reduzieren. Manche digitale Speditionen verzichten auf Preisalgorithmen und setzen mit Routenalgorithmen auf Aktions-Modelle, wie sie schon von Frachtenbörsen bekannt sind. Der Algorithmus aggregiert und verknüpft Daten, die automatisiert von Reedereien, Zollstellen und anderen Quellen abgefragt werden. Die Verlader bekommen binnen weniger Sekunden ein konkretes Angebot, das sie durch An- oder Wegklicken einzelner Punkte noch konfigurieren können. Von der klassischen Spedition unterscheiden sie sich vor allem in Bezug auf das Prozedere. Die Kunden wickeln den gesamten Prozess online ab. Kontakt mit Disponenten gibt es nur marginal.
Startups vernachlässigen den Erfolgsfaktor Kundenkontakt
Müssen alteingesessene Platzhirsche jetzt einpacken? Nein, natürlich stellen nicht alle neuen Geschäftsmodelle gleich eine existenzielle Gefahr für etablierte Unternehmen dar. Im Gegenteil, das Durchstarten der Startups beschränkt sich bisher klar auf das simpel abzuwickelnde Business. Neue Geschäftsmodelle verändern meist entscheidende Erfolgsfaktoren. So auch digitale Speditionen, die durch innovative Algorithmen-basierte Technologien mit Schnelligkeit und Auslastung der Kapazitäten punkten. Entscheidender Nachteil: Sie vernachlässigen dabei den Erfolgsfaktor Kundenkontakt. Das funktioniert nur, weil sie eine Marktnische gefunden haben, in der aufgrund der Überschaubarkeit der Aufträge eine persönliche Betreuung nicht wichtig ist.
Kontraktlogistik ist zu komplex für Online Speditionen
Die Logistik als drittgrößter Markt ist heute erfolgreicher denn je, weil er stetig an Komplexität zunimmt. Nicht die „normalen“ Aufträge sind charakterisierend für die Branche, sondern das vielschichtige, sehr spezielle und oft über das Transportieren und Lagern hinausgehende kontraktlogistische Agieren steht für Logistik 4.0. Wir haben es mit Spezialthemen zu tun, wie Frische oder Flüssig- und Gefahrenguttransporte, die dem ausführenden Logistikdienstleister fachspezifisches Know-how abverlangen. Nur wenn er im Detail das Business kennt, kann er gut performen. Da helfen auch Daten aggregierende und Daten verknüpfende Algorithmen nicht viel.
Den Kunden abholen, ihm zuhören, ihn verstehen
Immer mehr Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit haben heute Fachwissen, vertrauensvolle Zusammenarbeit sowie eine engmaschige, aber auch sympathische Abstimmung zwischen Kunde und Dienstleister. Unternehmen müssen den Kunden abholen, sensibel mit ihm agieren, ihm zuhören und seine Wünsche erfüllen. Kein Industriepartner, der einen Kontraktlogistiker über mehrere Fulfillment-Schleifen beauftragt, würde seine sensiblen Daten an ein Portal weitergeben, wenn er den Dienstleister nicht kennt. Schon gar nicht möchte er mit einer Maschine anstatt mit einem Menschen sprechen.
Der Dienstleistungsgedanke rückt immer weiter in den Vordergrund
Um sich im Wettbewerb zu behaupten, ist es wichtig, die Kundenbedürfnisse in all ihrer Vielschichtigkeit zu kennen und mit einem hochwertigen Dienstleistungsangebot flexibel zu agieren. Sie sind aufgefordert, individuelle Prozesse effizient und schlank zu gestalten, innovative Technologien zu entwickeln sowie neue Medien in die Produktionsversorgung einzubeziehen. Der Dienstleistungs-Gedanke rückt immer weiter in den Vordergrund der logistischen Versorgungskonzepte. Auf der anderen Seite ist auch der Anspruch an die Technologie hoch. Aber je komplexer das Business ist, desto vertrauensvoller muss die Zusammenarbeit sein. Auftraggeber möchten nicht, dass Maschinen oder Algorithmen Dienstleister auswählen. Sie wollen von Menschen beraten werden, sich verstanden fühlen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Digital Startups können diesem menschelnden Kundenbedürfnis kaum gerecht werden.
Persönliche Ansprache mit kontinuierlich wachsenden Technologien
Der Angriff der Digital-Spezialisten kommt für die etablierten Logistiker nicht unerwartet, höchstens unerwartet schnell. Die Großen der Branche feilen seit Jahren an ihren eigenen Digitalstrategien. In gewissem Sinne arbeiten beide am gleichen Ziel – nur von verschiedenen Richtungen aus. Digitalen Speditionen fehlt gereiftes Know-how und die Selbstverständlichkeit für persönliche Kundenpflege. Viele etablierte Unternehmen sind zwar technisch noch nicht so weit, haben aber den Anspruch an persönliche Betreuung über Jahrzehnte verinnerlicht. Um in unserer schnelllebigen Welt nicht den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren, müssen aber auch wir kontinuierlich die Leistungsfähigkeit unserer Businessmodelle hinterfragen und sie technisch optimieren. Die Marschrichtung für etablierte Unternehmen lautet also, alten Werten treu zu bleiben und sich zusätzlich effizient und gesund zu digitalisieren. Startups währenddessen zielen darauf ab, sich auf ihre Technologien zu fokussieren und in ihren Algorithmen sämtliches Know-how aller Disponenten zu vereinen.
Je komplexer der Auftrag, desto wichtiger der Kundenkontakt
Der Schlüssel zum Erfolg liegt also nicht entweder in der persönlichen Kundenbetreuung oder in einer State-of-the-Art Technologie, sondern in der Symbiose aus beidem. Je vielschichtiger, je globaler die Aufträge, desto wichtiger ist eine effiziente Mischung aus digitalem Fortschritt und Vertrauen, Know-how sowie persönlicher Ansprache. Die Tatsache, dass die großen Player vor allem im kontraktlogistischen Sektor und bei globalen Aufträgen die Nase vorn haben, bestätigt den Anspruch, auch in der digitalen Zukunft „persönlich“ zu bleiben.
Über Yeliz Kavak-Küstner
Yeliz Kavak-Küstner ist Leiterin Marketing, PR & New Business bei pfenning logistics, einem der führenden Kontrakt- und Handelslogistiker in Deutschland. Seit 2012 im Unternehmen hat die studierte Sprach- und Kulturwissenschaftlerin zahlreiche Maßnahmen zur Neuausrichtung des Logistikers realisiert, darunter eine Employer Branding-Kampagnen für Lkw-Fahrer und die Positionierung eines Logistikzentrums nach DGNB Platin-Standard. Erste Logistik-Station in ihrer Marketingkarriere war das Unternehmen GEODIS. Für GEODIS Deutschland hat sie die Marketingkommunikation als eigene Abteilung aufgebaut.
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