Warum dem See- und Luftfrachtmarkt tiefgreifende Veränderungen bevorstehen
Welch ein Aufschrei ertönte im Speditionsmarkt, als Maersk zunächst Damco und dann Safmarine als Marken abschaffte! Nun präsentiert sich das Unternehmen – ähnlich wandelbar wie ein Chamäleon – entweder als Dienstleister oder als Wettbewerber. Hinzu kam noch, dass Maersk vor wenigen Wochen mehrere Vollcharter in Asien flog und nun fast die gesamte Dienstleistungspalette seiner Speditionskunden selbst anbietet. Wenig später folgte CMA CGM, das nach der Integration von CEVA den gleichen Weg einschlug.
„Welch plötzlicher Strategiewandel!“ „Völlig überraschend!“ „Maersk ist doch noch ein wirklich kleiner Fisch im Luft- und Seefrachtmarkt und daher vernachlässigbar!“ Sind das die Gedanken, die Ihnen kamen, nachdem sie von der Entwicklung bei Maersk erfahren hatten?
Eine exponentielle Kurve verläuft in den meisten Fällen anfänglich lange flach, bis sie sehr rasch und sehr stark ansteigt. Dann ist es bereits zu spät, um noch aufholen zu können. Daher ist jetzt die Zeit für eine Bilanz betreffend dieser wichtigen Entwicklung, die sich, wie wir sehen werden, bereits seit 2016 abgezeichnet hat. Aber beginnen wir am Anfang:
Ich habe selbst einige Zeit bei Maersk gearbeitet. Dies war noch zu den Zeiten der goldenen „Konferenztage“, zu denen sich die großen Reedereien jährlich trafen, um die Raten und nicht selten auch die Kundenverteilung auf den Hauptrouten festzulegen. Nachdem die Europäische Wettbewerbskommission diesem Treiben 2006 ein jähes Ende setzte, hat eine im Logistikmarkt beispiellose stetige Verdichtung auf wenige Player mit immer größeren Marktanteilen eingesetzt. So werden heute fast zwei Drittel des gesamten Marktes von den Top-5-Reedereien bestimmt.
Im Logistikdienstleistungsmarkt hingegen haben die Top-5-Player heute einen Marktanteil von zusammen nicht einmal 10 Prozent!
Schauen wir uns die Entwicklung bei Maersk genauer an:
Das Unternehmen hat sich niemals mit der führenden Marktposition zufriedengegeben, sondern war und ist ständig bemüht, sich immer wieder neu zu erfinden. So hat es die extrem gewinnträchtige Öl-Sparte, die während der Finanzkrise 2008/2009 die arg schwächelnde Container-Sparte stützte, zehn Jahre später verkauft, als abzusehen war, dass fossile Brennstoffe kein langfristiges Geschäftsmodell mehr darstellen würden. Und 2016 gab Maersk schließlich bekannt, sich zu einem reinen globalen „Logistik-Integrator“ verändern zu wollen.
Der Geschäftsbericht 2019 zeigt deutlich auf, dass Maersk sehr bewusst „Key Assets“ in der Supply Chain kontrolliert und überdies im Vergleich zum Vorjahr einen signifikant höheren Cashflow erwirtschaftet hat. Damit lassen sich vortrefflich Talente von der Konkurrenz abwerben und ein Overhead aufbauen, um die Wettbewerber anzugreifen!
Zudem hatte Maersk als jahrzehntelange Nummer eins stets eine gewisse „Vorbildwirkung“ für die Branche, was bedeutet, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis andere große Reedereien dem Beispiel des einstigen Marktführers folgen werden.
Aus diesem Grund ist es jetzt bereits „fünf vor zwölf“ für Logistikdienstleister und aus meiner Sicht eine absolute Top-Priorität, ihr Geschäftsmodell grundlegend zu überdenken und sich ein Stück weit neu zu erfinden.
So können Sie damit beginnen:
1. Kundendaten
Eine Reederei kann – ähnlich wie eine Airline – jegliche Kunden- und Bewegungsdaten der zu verladenden Container oder Packstücke tracken.
In der Vergangenheit war es so, dass große Carrier erst ab einem Volumen von über 1.000 TEU p.a. direkt mit Kunden der Speditionen eine Geschäftsbeziehung eingegangen sind, verbunden mit der Einschränkung, neben dem physischen Seefrachttransport nur Frachtpapiere zu produzieren, jedoch keinerlei zusätzliche Services wie Verzollung, Einlagerung etc. anzubieten. LCL blieb ebenso außen vor wie die Luftfracht. Das alles hat nun keine Gültigkeit mehr. Weil eine Containerreederei extrem „assetlastig“ ist und kein Spediteur über eine eigene physische „Asset-Infrastruktur“ verfügt (KEP-Dienstleister mit eigenen Flugzeugen einmal ausgenommen), ist klar: Spediteure sind zwingend auf Containerreeder angewiesen.
Wenn nun Kontrakte seitens der Spediteure mit Reedereien abgeschlossen werden, so muss zunächst dem Kundenschutz eine viel größere Bedeutung im vertraglichen Bestandteil zugestanden werden. Zudem könnte man statt einjährigen auch mehrjährige Kontrakte eingehen und auf extrem volumenlastigen Routen wie Asien–Europa oder Nordamerika–Europa für alle Kunden, für die auf Kontraktraten verladen wird, vereinbaren, dass der Kundenkontakt einzig und allein dem Spediteur vorbehalten ist.
Ferner sollte darauf geachtet werden, wer genau die Speditionsladung auf dem Schiff transportiert, da beispielsweise die Route Europa–Asien zu mehr als 90 Prozent von mehreren Reedern über sogenannte „Vessel Sharing Agreements“ bedient wird.
2. Den Fokus auf das Bestandsgeschäft richten
Das Bestandskundenmanagement der Logistikdienstleister wird erheblich an Bedeutung zunehmen, denn nun gilt es, ihre Kunden nicht nur gegen die Konkurrenz anderer Logistikdienstleister zu verteidigen, sondern auch gegen die Reedereien. Dies ist insbesondere für das bedeutsame tenderträchtige Geschäft wichtig, da Reedereien großen Wert auf Planbarkeit legen, um eine möglichst optimale Auslastung ihrer Schiffe zu gewährleisten. Da derzeit trotz hoher Charterraten insbesondere die Top-3-Reedereien Verträge über neue Kapazitäten abgeschlossen haben, ist damit zu rechnen, dass die Top 3 noch im vierten Quartal aggressiv Tendergeschäfte sichern wollen.
Zudem könnte ein „Nichtangriffspakt“ in Bezug auf das Tendergeschäft abgeschlossen werden, sofern die Reederei später als Dienstleister eingesetzt werden soll.
Ferner ist es für die Spediteure von größter Bedeutung, eine exzellente Beziehung zu ihren Kunden aufrechtzuerhalten sowie durch „value added digital services“ insbesondere in das Geschäft mit hochpreisiger Ladung vorzustoßen, bei dem es weniger um die günstigste Rate als vielmehr um den besten Service geht. Diversifizierung ist angesagt!
3. Eine eigene Reederei reduziert die Abhängigkeit von einer Fremdreederei
Um für Waffengleichheit zu sorgen, wäre es naheliegend, dass sich die führenden Logistikdienstleister dazu entschließen, eine Containerreederei zu kaufen und zu betreiben. Leider ist dieses Unterfangen extrem teuer aufgrund der exorbitanten Unterhaltskosten der Schiffe. Der Anschaffungspreis spielt hingegen eine eher untergeordnete Rolle. Denkbar wäre jedoch, dass sich mehrere Speditionen zu einem derartigen Vorhaben zusammenschließen. So wie CMA CEVA integriert hat, könnte ein sehr starker Logistikdienstleister den Spieß umdrehen und eine Reederei integrieren.
Da sich der Vorsprung der Top-3-Reedereien wie Maersk, CMA CGM und MSC vor der Reedereikonkurrenz immer weiter vergrößert, wird es dazu kommen, dass sich die möglichen Kaufpreise der Reederei-Schlusslichter zunehmend reduzieren, wird es für sie doch immer schwieriger, mit den „Großen“ Schritt zu halten und vor allem die finanziellen Mittel für den
Unterhalt ihrer Schiffe aufzubringen. Hier ist Schnelligkeit angesagt, denn insbesondere die genannten Top 3 werden weiter auf Shoppingtour gehen. Diese Option erfordert enormen Mut, doch zuweilen ist es wichtig und richtig, sich komplett neu zu erfinden, ja den Begriff Logistikdienstleistung neu zu definieren, um so die Existenz des eigenen Unternehmens für die nächsten Dekaden zu sichern!
Hallo Herr Nowroth,
ein sehr interessanter Artikel, der sicherlich die großen intern. Speditionen zum nachdenken anregt.