Erstmals in der EU-Geschichte verlässt eines der 28 Mitgliedsstaaten die Union. Neben gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen werden wir kurz- und langfristig auch Folgen für die Logistik und das Supply Chain Management in Deutschland zu spüren bekommen, da Großbritannien derzeit als unser drittwichtigster Exportpartner fungiert, nach den USA und Frankreich. Ein Blick auf die bisherigen Reaktionen aus dem Logistik-Sektor zeigt grundsätzlich Besorgnis:
“Britischer EU-Austritt ist keine gute Wahl”, heißt es in der Pressemitteilung des BVL.
“Die Entscheidung für den Austritt Großbritanniens aus der EU ist ein Alarmsignal für die Unternehmen. Der Brexit wird den Industriestandort Europa viel Vertrauen bei Investoren kosten. Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden. […]”, sagt VDMA-Chef Brodtmann.
„Damit hat sich Großbritannien gegen ein vereintes Europa mit flexiblen und freien Handelsströmen entschieden“ – sagt Dr. Christoph Feldmann, Hauptgeschäftsführer des BME.
Risiken in Ex- und Import
Wie sich Handelsbeziehungen zwischen den EU Ländern und der Insel in den kommenden Monaten verändern, bleibt abzuwarten und ein Abreißen unternehmerischer Beziehungen vom EU-Binnenmarkt birgt noch unvorhersehbare Folgen. Letztlich ist jedoch die Gestaltung der Warenströme der springende Punkt für alle weiteren Ex- und Importgeschäfte.
Vor allem die exportstarken Branchen werden die Folgen des Brexit zu spüren bekommen: In der Automobilindustrie erzielte BMW in 2015 mehr als 10 Prozent des Gesamtumsatzes mit dem Export nach Großbritannien, Audi lag mit 9 Prozent in einem ähnlichen Feld, Mercedes verzeichnete 8 Prozent aller Exporte an das Vereinigte Königreich und der VW-Konzern profitierte immerhin mit 6 Prozent von den Briten. Im Maschinen- und Anlagenbau belief sich das Exportvolumen im vergangenen Jahr auf 7,2 Milliarden Euro, womit auch hier der Austritt der Insel folgenreich ist – in welchem Maße ist dabei abhängig vom Stand der Internationalisierung jedes Unternehmens.
Im Wandel des Importgeschäfts liegt großes Risikopotenzial besonders im Umgang mit den britischen Lieferanten. Re-Lokalisierung ist eine mögliche Konsequenz aus der Krise, eine Umstrukturierung könnte erforderlich werden. Die daraus resultierende Unbeständigkeit, welche bis zur Wiederherstellung der gesicherten Lieferkette das Management erheblich beeinflusst, führt zu Präventionsmaßnahmen, wie dem Anhäufen von Lagerbeständen durch Vorratskäufe: Wirtschaftlich keine optimale Lösung.
Ob es konkrete Handelsschranken geben wird, zeigt sich erst langfristig, vermutlich über die nächsten 24 Monate. Sollte dieser Fall jedoch eintreffen, spiegeln sich die Auswirkungen letztlich auch in den Absatzzahlen der Unternehmen wieder, wenn erstens:
- der Export eingeschränkt wird und nicht nur Umsatzchancen restringiert werden, sondern auch Kosten durch einen Rückstau der Produkte in den Unternehmen entstehen,
und zweitens:
- durch erhöhte Preise für Importe, die letztlich auch am Konsumenten nicht spurlos vorüberziehen würden.
Die Vorbeugung weiterer Austritte aus der EU könnte seitens der Mitgliedsstaaten die Offenheit in weiteren Handelsaktivitäten gefährden, während das Handelsdefizit Großbritanniens mit über 165 Milliarden US-Dollar in 2015 für ein Interesse an aufgeschlossenen Beziehungen spricht.
Proaktivität gefordert
Unternehmen müssen sich jetzt innerhalb ihrer Organisation ganz besonders in den Teilbereichen Einkauf und Beschaffung, Logistik, aber auch in Vertriebsabteilungen angemessen aufstellen um sich den möglichen Folgen des Brexit nicht unvorbereitet auszusetzen – das erfordert ein vorausschauendes Management. Eine Störung, die durch den Brexit in Einkauf und Beschaffung entstehen kann, darf nicht wie ein Peitschenschlag auf Folgeprozesse einwirken. Das Ziel sollte sein, durch ein stabiles internes Supply Chain Management Störungen entgegenzuwirken ohne dabei Liefertermintreue oder Liquidität einzubüßen. Und dies ist kein temporäres Ziel, denn Störungen gehören zum Alltagsgeschäft. Nicht nur weltwirtschaftliche Positiv-, wie Negativentwicklungen beeinflussen Logistik und Lieferketten. Risikomanagement muss auch diejenigen Alltagsprobleme betrachten, deren Auswirkungen im Einzelfall vielleicht weniger fatal, dafür aber in der Summe ihres Vorkommens katastrophal sein können. Angefangen von der falschen Containerlieferung bis zur defekten Maschine, müssen Unternehmen möglichst flexibel für das gewappnet sein, was sie nicht vorhersehen können.
Status Quo
Laut Logistik-Indikator des BVL aus dem zweiten Quartal 2015 sehen die befragten Vertreter aus Industrie, Handel und dem Dienstleistungssektor ihre Vorsorgesysteme auf einem stabilen Niveau. Das aktive Risikomanagement spielt für etwa 60 Prozent der Studienteilnehmer eine wichtige Rolle, dabei fällt auch das Stichwort der proaktiven Risikomanagement-Systeme. Auf Störungen nicht nur reagieren, sondern sie durch agiles Management vorbeugen, ist nicht nur mit Blick auf politische Unsicherheiten, sondern im Zuge der steigenden Komplexität deutscher Handels- und Produktionsaktivität von enormer Wichtigkeit. Neben dem Aufbau von Führungskräften, die in der Lage sein müssen, mit dem demografischen Wandel Schritt zu halten, ist auch das nötige Handwerkszeug in Form von intelligenter Unterstützung durch Softwaresysteme unerlässlich.
Sind Sie auf die Folgen des Brexit im Supply Chain Management vorbereitet? Wir gehen Sie mit Störungen um, die sich nicht kalkulieren lassen?
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