Für viele Spediteure und Logistikdienstleister ist Qualität das entscheidende Verkaufsargument. Ihre Kunden erwarten Zuverlässigkeit und schadenfreies Warenhandling. Deshalb ist in nahezu jedem etablierten deutschen Logistikunternehmen das Qualitätsmanagement zertifiziert. Mit der jüngsten Normenrevision der ISO 9001 im Jahr 2015 werden die Unternehmen nun auch verpflichtet, Chancen und Risiken, die mit ihrer Geschäftstätigkeit verbunden sind, systematisch zu betrachten – der sogenannte risikobasierte Ansatz.
Ausgehend von der Überzeugung, dass sich gleichbleibende Qualität am besten durch dieselbe Vorgehensweise sicherstellen lässt, wird Qualität nach ISO 9001 unter anderem als Prozessstabilität interpretiert. In diesen Kontext hat der Normengeber nun auch die Chancen- und Risikenbetrachtung als Teil des Qualitätsmanagements integriert. Als nahezu selbstverständlich gilt heute, im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) nach Chancen zur Steigerung der eigenen Prozessqualität zu suchen. Dass sich aber auch Risiken nachhaltig auf die Leistungsqualität auswirken können, wird mit der Normenrevision nun viel stärker betont: Wird ein Ausfallrisiko erkannt, sind Unternehmen dazu angehalten, angemessene Maßnahmen zu ergreifen. „Das Regelwerk verlangt die Risikobetrachtung”, berichtet Andreas Völkerding, zugelassener ISO 9001-Auditor im Competence Center Logistics (CCL) der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS GmbH). „Praktisch wird dadurch gefordert, systematisch Faktoren zu bestimmen, die einen Prozess im Hinblick auf die gewünschten Ergebnisse für das Unternehmen ungünstig beeinflussen könnten.“ Daraus entsteht der Bedarf, die Prozesse sowohl von technischer als auch von organisatorischer Seite aus auf Störpotenziale zu überprüfen. „Dabei geht es um konkrete Ziele wie die Pünktlichkeit von Zustellungen oder eine ausreichende Anzahl von Lkw-Fahrern für neue und bestehende Transportaufträge“, verdeutlicht Andreas Völkerding.
Für reibungslos ausgeführte Abläufe müssen Mensch und Technik optimal zusammenwirken. Deshalb ist neben organisatorischen Maßnahmen, die Mitarbeiter optimal bei ihrer Arbeit unterstützen, eine technisch einwandfreie Ausrüstung unverzichtbar. Ist sie durch hohe Auslastung einem fortwährenden Verschleiß ausgesetzt, müssen beispielsweise Ersatzinvestitionen routinemäßig mit eingeplant werden.
Den Fokus bestimmen
Für die praktische Auseinandersetzung ist es wichtig, sachverwandte Themen wie das Qualitätsmanagement und die prozessunterstützende IT miteinander zu verknüpfen und sowohl wirtschaftliche als auch Image-Faktoren angemessen zu berücksichtigen. Es ist notwendig, die Verantwortungskette innerhalb der Organisation gründlich zu betrachten. Werden neue Mitarbeiter angemessen eingewiesen und mit allen kritischen Faktoren vertraut gemacht? Kennen sie alle gültigen Unternehmensvorschriften – und wissen um die Risiken, die damit bearbeitet werden? „Beispielsweise dürfen überall dort, wo besonders wertvolle Güter verladen werden, betriebsfremde Personen das Lager nicht oder nur in Begleitung betreten”, berichtet Andreas Völkerding. „Das betrifft auch die abholenden und anliefernden Lkw-Fahrer, die sich an die entsprechenden Sicherheitsvorschriften zu halten haben”, fügt der erfahrene Auditor hinzu.
Um Maßnahmen entwickeln zu können, ist es notwendig zu unterscheiden, ob es sich um Risiken für Vermögensgegenstände, für den Eintritt von Haftpflichtschäden oder für das Entstehen eigener Schäden handelt. Im nächsten Schritt geht es dann darum, Eintrittswahrscheinlichkeiten zu bestimmen und die Auswirkungen eines Eintritts einzuschätzen. Wenn das erfolgt ist, kann das Unternehmen geeignete Maßnahmen entwickeln, um unerwünschte Auswirkungen und somit Risiken zu reduzieren.
Notfallpläne erleichtern die Rückkehr zum Regelbetrieb
Dazu gehört es auch, für die größten Betriebsrisiken Notfallpläne zu erstellen, die eine rasche Rückkehr in stabil laufende Prozesse ermöglichen. Gleichzeitig kann es Risiken geben, die nicht weiter reduziert werden können oder die Unternehmen zu akzeptieren bereit sind, um etwa eine Chance wahrzunehmen. „Im Umgang mit Risiken empfiehlt sich deshalb ein systematischer Planungsprozess”, rät Andreas Völkerding. Dieser befasst sich mit der Entwicklung angemessener Maßnahmen, die gemessen an den Anforderungen des Unternehmens auch wirksam sein müssen. Wer etwa ein vollautomatisches Hochregallager führt, kann beispielsweise ohne Strom weder buchen noch ein- und auslagern. „In so einem Fall kommt eine Notstromversorgung in Frage – aber nur, wenn die Leistung auch für den Betrieb der gesamten Anlage über einen hinreichend großen Zeitraum hinweg genügt”, unterstreicht der Auditor.
Qualität verlangt Information
Die ISO 9001 verlangt kein dokumentiertes Risikomanagement von den Unternehmen. Aber im Zeitalter der Digitalisierung ist klar, dass der Ausfall der Computersysteme mit immer größeren, immer schwieriger abzuschätzenden Risiken verbunden ist. Damit diese gar nicht erst eintreten, empfiehlt sich auch für Logistiker, parallel zum Qualitätsmanagement ein Informationssicherheits-Management aufzubauen. „Qualität und Informationssicherheit greifen eng ineinander”, begründet Andreas Völkerding. Im Mittelpunkt stehen dabei die Auftragsdaten: Fehlen sie, kommen die operativen Prozesse zum Erliegen. Werden sie unzureichend geschützt, haben Wirtschaftsspione leichtes Spiel, an sensible Informationen von Industriebetrieben oder Großhändlern zu gelangen. „Mit einem Mengengerüst und den Versandadressen lassen sich bereits starke Rückschlüsse auf das Geschäft eines Konkurrenten ziehen”, betont der ausgebildete Logistiker. Mit der Implementierung eines sogenannten ISMS, also eines Informationssicherheits-Managementsystems, starten Unternehmen einen kontinuierlichen Planungs- und Prüfprozess, der sowohl auf die Verfügbarkeit von Informationen und damit die Kontinuität der Geschäftsprozesse als auch auf die Sicherheit der Daten im Unternehmen fokussiert. Es ergibt Sinn, in einem der Qualität eng verwandtem Gebiet ebenfalls auf ein systematisches Management zu setzen. Denn damit greifen die ohnehin verwandten Normen ideal ineinander. „Wer sich dafür entscheidet, greift den Ball auf, den die Normengeber mit der Revision im vergangenen Jahr und der damit einhergehenden Risikoorientierung gespielt haben”, resümiert Andreas Völkerding.
Leave a Reply