Die Diskussionen auf dem Herbstgipfel 2019, auf dem die Ergebnisse zur Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik im Jahr 2020 verabschiedet werden sollten, waren kontrovers, hitzig und vielschichtig. Doch im Ergebnis waren sich alle 23 teilnehmenden Logistikweisen einig: Die Logistik ist weiterhin auf dem Wachstumspfad, wenngleich eine Verschnaufpause zu sehen ist. Bereits im laufenden Jahr geht der Expertenkreis von Wachstumsraten aus, wie sie zwischen 2012 und 2016 anzutreffen waren. Auch in 2020 rechnen die Mitglieder mit einer Zunahme von 2,2 Prozent.
Doch ganz vergleichbar mit den genannten Vorjahren ist dieser Zuwachs leider nicht. Seit der Überwindung der Finanzkrise in 2010 speiste sich das Wachstum bis 2018 in hohem Maße aus zusätzlichen Mengen und Aufträgen für die Logistik. In dem 2,2 Prozent Wachstum für das Jahr 2020 steckt genauso wie in der Hochrechnung für 2019 ein hohes Maß an Kostensteigerungen. Dies begann zwar schon in den Jahren 2017 und 2018, jedoch sind in diesen Ausnahmejahren die Wachstumsraten von 3 bzw. 4 Prozent außerdem noch auf die boomende Wirtschaft zurückzuführen. Für die Logistik im Jahr 2020 resultiert ein reales Wachstum, welches mit +0,4 Prozent als stagnierend bezeichnet werden kann. Dafür sind unterschiedliche Wirkkräfte und Treiber verantwortlich. Im Frühjahr wurden diese in fünf Oberthemen ) zusammengefasst, die im Detail auf dem Herbstgipfel geprüft, reflektiert und diskutiert wurden.
Industrie und Handel – Licht und Schatten halten sich die Waage
Insgesamt stagnieren die Mengen. Die Konjunktur wirkt differenziert auf die Logistik. Bau und Konsumgüter sind tendenziell wachsende Branchen, Automobil- und Chemieindustrie verzeichnen stagnierende bis abnehmende Mengen. Es wird jedoch kein weiterer Einbruch in der Automobilindustrie wie 2019 erwartet. Diese Entwicklung gibt der Logistik Zeit, Luft zu holen und sich mit Zukunftsthemen zu beschäftigen.
Eine Stütze des Wachstums ist und bleibt der Außenhandel. Hier werden grenzüberschreitend weiterhin steigende Mengen erwartet – und dies trotz der Handelskonflikte. Dabei kristallisierte sich heraus, dass insbesondere auf den Relationen mit Osteuropa mit Zunahmen zu rechnen ist. Dies hat nicht nur mit den weiterhin wachsenden Volkswirtschaften zu tun, sondern auch indirekt mit dem Brexit, der tendenziell Güterströme verlagert hat. Apropos Brexit: auch wenn er schlussendlich vollzogen werden sollte, hat dies in 2020 einen nur noch geringfügigen Einfluss auf die Gesamtbilanz, da bereits in 2019 die Güterströme aufgrund der vollen Lager verringert wurden. Auch erwartet der Expertenkreis, dass durch den Handelskonflikt zwischen den USA und China tendenziell die Handelsströme zwischen der EU und China zunehmen werden.
Personal und Arbeitsumfeld – Kostensteigerungen und steigende Anforderungen an den Arbeitgeber
Auch wenn aufgrund der konjunkturellen Lage Kapazitäten verfügbar sind, werden die Mehrkosten durch Personal keine Preisreduktionen erlauben, da Fachkräfte weiterhin ein Engpass sind. Das bedeutet, dass auch bei theoretisch günstigeren Angeboten aufgrund der niedrigeren Nachfrage und damit des höheren Angebots die Logistikkosten steigen. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass mehr für die Fachkräfte bezahlt werden muss, sondern auch, dass mehr investiert werden muss, um überhaupt Fachkräfte anzuziehen. Daran ändern auch die Restrukturierungen bei Automobilherstellern und Zulieferern nichts. Die daraus folgende Freistellung von Personal unterstützt nur dann die Schließung der Fachkräftelücke in der Logistik, wenn ein attraktives Angebot gemacht wird.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz – Eine Notwendigkeit gespickt mit Unsicherheiten
Das Thema Nachhaltigkeit hält die Politik in Atem. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier ein Umdenken stattfinden sollte und dass Maßnahmen unausweichlich sind. Jedoch erweisen sich zurzeit die Aussagen aus der Politik zu den weiteren Plänen und der langfristigen Strategie noch als relativ unklar. Teilweise überwiegen reaktive Handlungen, die die Verunsicherung von Unternehmen noch steigern und damit zu Verzögerungen von Investitionen in Zukunftstechnologien führt. Was allen in der Logistik bewusst ist und was wiederum allen Unternehmen und auch den Verbrauchern bewusst werden sollte: Maßnahmen zum Klimaschutz sind zweifelsohne notwendig. Aber das bedeutet auch, dass die Logistik verkehrs- und prozessübergreifend durch das Klimapaket und die daraus abgeleiteten Maßnahmen direkt durch zusätzliche Abgaben und indirekt durch Restriktionen deutlich teurer werden wird. Nachhaltigkeit ist auch in der Logistik nicht mehr nur ein „Nice-to-have“, was nicht bezahlt wird, sondern eine Notwendigkeit, um den Forderungen nach CO2-neutralen Unternehmen begegnen zu können.
Digitalisierung und Automatisierung – Fachkräftemangel bremst Fortschritt
Die Herausforderung Fachkräftemangel in der Logistik bezieht sich nicht nur auf operative Fachkräfte. Auch kann die vermeintliche oder laut einigen Untersuchungen vielleicht auch tatsächlich bestehende fehlende Innovationskraft der Logistik mit dem Mangel an qualifizierten Fachkräften in IT, Digitalisierung und Projektmanagement begründet werden. Da insgesamt in der deutschen Wirtschaft dieses Personal Mangelware ist, hemmt dies in der Logistik den Fortschritt. Sie könnte weitaus innovativer sein, wenn sie die geeigneten Fachkräfte hätte – und auch die Affinität im Management. Deshalb ist die Initiative „Die Wirtschaftsmacher“ besonders hervorzuheben, die sich bei ihren „Logistikhelden“ nicht nur auf die operativen Fachkräfte fokussiert, sondern dediziert auch Forschung & Entwicklung sowie das Management einbezieht.
Aber auch wenn über zahlreiche Innovationen durch Digitalisierung der Logistik in den Medien berichtet und diskutiert wird, kann von einer Disruption der Logistik noch lange nicht gesprochen werden. Vielmehr greifen stellenweise die Investitionen in die Digitalisierung und heben Effizienzpotenziale. Weitaus effektiver zeigen sich Investitionen in Automatisierungslösungen, die seit langem und auch weiterhin zuverlässig Produktivitätssteigerungen bringen.
Neue Geschäftsmodelle – Weiterentwicklung mit geringer Gesamtauswirkung
Im Logistikjahr 2020 und auch ein paar Jahre weiter gehen wir nicht davon aus, dass fundamental neue Geschäftsmodelle entstehen werden, die eine deutliche Wirkung auf die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik haben. Vielmehr werden die bestehenden weiterentwickelt, erweitert oder ergänzt, um zukunftsfähig zu bleiben. Dafür ist ein hohes Maß an Mut, Neugier und Unternehmertum gefragt. Auch vermeintlich neue Akteure im Markt interpretieren die Geschäftsmodelle mittels der Möglichkeiten der Digitalisierung schlicht neu. Denn es bleibt noch lange so, dass die Güter vom Versender zum Empfänger gebracht werden müssen – die Frage ist nur, wie dies organisiert bzw. orchestriert wird. Es ist damit außer Frage, dass sich in der Form der Abwicklung der logistischen Prozesse etwas ändern wird.
Alles dies hat jedoch kaum Auswirkung auf die Gesamtentwicklung der Logistik in 2020. Die Gefahr der Disruption durch Akteure anderer Branchen wird zwar größer. Anders als die Aufmerksamkeit in der Berichterstattung glauben macht, haben sie jedoch kaum Auswirkungen auf die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik in 2020.
Fazit
Die fünf Einflussbereich haben eine unterschiedliche Wirkung auf einzelne Kennzahlen der Logistik (siehe folgende Abbildung). Es wird deutlich, dass die Kostensteigerungen dominieren. Aufgrund der konjunkturell angespannten Lage werden wenig Impulse für reales Wachstum erwartet. Dies führt dazu, dass wir nominal von einem Wachstum des Wirtschaftsbereichs Logistik in Höhe von 2,2 Prozent, real von 0,4 Prozent in 2020 ausgehen.
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Internetseite http://www.logistikweisen.de/de/ergebnisse.php, auf der Sie auch die aktuelle Zusammensetzung des Expertenkreises finden.