Prof. Thomas Sauter-Servaes ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher. Er spricht auf dem Forum Automobillogistik im Mai in seinem Vortrag “Bube, Dame, König, MaaS – der Autobaustein als Trumpf neuer Mobilitätsangebote” über die Zukunft des Automobils. Die BVL hat ihm im Vorfeld vier Fragen zum Thema gestellt. (Foto: Pexels)
BVL: Das Auto als primäres Verkehrsmittel scheint angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre auf dem Rückzug – wie passt das Auto in die Mobilität der Zukunft?
Sauter-Servaes: Ja, wenn die Stadt von morgen lebensfreundlicher werden soll, hat das autozentrierte Gestaltungsleitbild der Gegenwart ausgedient. Aber diese Transformation wird weder von einem Tag auf den anderen stattfinden, noch wird das revolutionäre Artefakt Automobil komplett aus dem urbanen Raum verschwinden. Es wird sich neu erfinden: weg vom überdimensionierten und flächenfressenden Besitzfahrzeug hin zu einem effizienten Dienstleistungsbaustein des persönlichen Mobilitätsuniversums. Energie- und Mobilitätssektor werden noch enger verknüpft sein, die bald dominierenden E-Auto-Flotten eine enorm wichtige Rolle beim Lastmanagement der Energieversorgung bilden. Insofern ist zwar das fossile Besitzauto auf dem Rückzug, aber die Automobilität eher auf dem Sprung auf ein höheres Level – flankiert und auch getrieben durch eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle an der Schnittstelle zu anderen Konsum- und Aktivitätsfeldern.
BVL: Wie hat die aktuelle geopolitische Lage diese Entwicklungen beeinflusst?
Sauter-Servaes: Sie führt uns vor Augen, welche große Bedeutung das Thema Resilienz auch im Bereich Mobilität hat. Und nimmt uns hoffentlich auch etwas die Illusion, dass reine technological fixes wie die Antriebswende und das automatische Fahren unser Verkehrssystem allein zukunftsfest aufstellen werden. Der Wechsel zum Elektromotor ist das Pflichtprogramm, um Abhängigkeiten von Despoten und Tycoonen zu reduzieren sowie vor allem die klimapolitisch essenzielle Energiewende zu beschleunigen. Die Kür wird jedoch sein, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie wir morgen leben wollen. Auf dieser Grundlage können wir entscheiden, welches Re-Design unsere Straßenräume erhalten müssen, um die Städte an die bereits absehbare Klimaerwärmung anzupassen. Städte wie Paris und Barcelona entwickeln diesbezüglich spannende Blaupausen, die weltweiten Vorbildcharakter erlangen könnten. Konzepte wie die 15-Minuten-Stadt sind ressourcensparsam, hackerresistent und verheißen auch das Wiedererstarken lokaler sozialer Bindungen. In diese Richtung kreativ weiterzudenken ohne naiv zu romantisieren, ohne nur auf kleine wohlbetuchte Bevölkerungsteile und die heute schon bestehende Allianz der Willigen aufzubauen, das reizt mich.
BVL: Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen – was ist der wichtigste Schritt, den wir heute unternehmen müssen, um nachhaltige Mobilität auch für die kommenden Generationen gewährleisten zu können?
Sauter-Servaes: Wir müssen endlich Fahrt aufnehmen beim Umbau des Verkehrssystems. Andernfalls werden wir entweder die Klimaziele weit verfehlen oder irgendwann sehr extreme Maßnahmen durchsetzen müssen. Verkehrswissenschaftlich erscheinen die wesentlichen Fragen schon lange geklärt, wie Mobilität und Logistik zukünftig enkeltauglich organisiert werden können. Das Problem ist zuvorderst ein kommunikatives. Bislang ist die Politik anscheinend nicht von der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit der grundlegenden Transformation unseres Verkehrssystems überzeugt. Viele Menschen haben ihre Geschäftsmodelle und Lebensentwürfe auf der Basis sehr kostengünstiger Raumüberwindung aufgebaut, die jahrelang mit Pendlerpauschale, Treibstoff- und Dienstwagensubventionen sowie massivem Infrastrukturausbau befeuert wurde. Die hohe Kunst wird sein, diese Bevölkerungsgruppen «mitzunehmen», ohne weiterhin falsche verkehrsplanerische Anreize für die folgenden Generationen zu setzen. Eine Nagelprobe stellt dabei sicherlich der nahende Neustart unseres Infrastrukturfinanzierungssystems dar.
BVL: Warum halten Sie ein persönliches Treffen auf dem Forum Automobillogistik gerade in diesen turbulenten Zeiten für wichtig?
Sauter-Servaes: Ich bin ein großer Freund intensiver Diskussionen, insbesondere mit denen, die grundsätzlich andere Lösungswege favorisieren. Viel zu häufig verharren wir in unseren sozialen Blasen und verlieren den realen Kontakt zu Gruppen mit anderen Meinungen. Eine gute Streitkultur ist für mich im virtuellen Raum immer noch schwer abbildbar. Sicherlich auch, weil man sich nicht nach hitziger Debatte bei einem kühlen Bier zusammensetzen und die persönliche Wertschätzung abseits alles inhaltlichen Dissens zeigen kann. Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf inspirierende Debatten auf dem Forum Automobillogistik und interessante neue Kontakte.
BVL: Herr Prof. Sauter-Servaes, vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen zum Programm des Forums Automobillogistik und die Möglichkeit zur Anmeldung finden sich unter www.forum-automobillogistik.de.
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