Als wir uns in unserem Expertenkreis im Herbst 2019 in Mainz getroffen haben, um die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik 2020 zu prognostizieren, waren wir uns bereits bewusst: Das wird kein gutes Jahr. Insbesondere der Strukturwandel in den Schlüsselindustrien Automobil- und Maschinenbau hat bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen. Dass die Corona-Pandemie diese Prognose obsolet machte, ist logisch. Doch der Blick auf 2021 ist weiterhin dadurch geprägt. Dies zeigen die Ergebnisse aus dem jüngsten Treffen des Expertenkreises, die zusammenfassend auf der Internetseite der Logistikweisen zu finden sind und auch in der DVZ veröffentlicht wurden.
Zunächst: Die qualitative Bewertung der Situation und der weiteren Entwicklung
Wie die aktuellen Entscheidungen aufgrund der Entwicklung der Pandemie zeigen, werden auch 2021 die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus Bestand haben. Entsprechend wird mit weiteren punktuellen Einschränkungen gerechnet, was die wirtschaftliche Entwicklung bremsen wird. Um dies auf einem Minimum zu halten, ist eine Sensibilisierung der Beschäftigten für die Corona-Schutzmaßnahmen notwendig. Dies hilft den Unternehmen dabei, zumindest in ihrem Verantwortungsbereich weitere Beeinträchtigungen zu vermeiden.
Hinzu kommt, dass die anhaltende Verunsicherung einen dynamischen Aufschwung des Wirtschaftszweigs Logistik verhindert. Nach der Finanzkrise, 2010ff, waren die beiden Schlüsselbranchen aus dem verarbeitenden Gewerbe, der Automobil- und der Maschinenbau, wichtige Motoren des Aufschwungs. Gerade diese beiden Wirtschaftszweige befinden sich in einem Strukturwandel und haben aktuell gravierende Probleme, die sich bereits 2019 gezeigt haben. Es bestehen weiterhin Wachstumsimpulse für die Logistik aus der Konsumgüterindustrie und dem Einzelhandel, insbesondere dem E-Commerce, welche dies aber nur teilweise ausgleichen können.
Aus diesem Grund bleiben wir bei der Auffassung, dass der Wirtschaftszweig Logistik das Niveau von 2019 erst 2023 erreichen wird. Dieser Entwicklung nähern sich zahlreiche Prognosen für das BIP an. Nicht nur das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat den Ausblick für die weiteren Jahre korrigiert und sieht eine langsamere Erholung. Auch die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2020 hat das Wachstum des BIP in 2021 nach unten korrigiert.
Diese flachere Entwicklung in 2021 wird zu einer Marktkonzentration führen, vor allem durch eine deutlich zunehmende Zahl an Insolvenzen und zahlreiche Konsolidierungsbewegungen in dem durch 99,5 Prozent kleinen und mittleren Unternehmen geprägten Wirtschaftszweig Logistik. Die Staatshilfen und unterstützenden Maßnahmen wie die Kurzarbeiterregelungen können einen kurzen Einbruch überwinden helfen. Es bedarf jedoch einer schnellen Erholung, um die entstandenen Belastungen wieder abzuschütteln. Denn eines ist nicht von der Hand zu weisen: Kurzarbeit hilft den Unternehmen, für den Aufschwung bereit zu sein und auf ihre Leistungsträgerinnen und Leistungsträger schnell wieder zurückgreifen zu können. Sie verdeckt rational gesprochen aber auch die reale Arbeitslosigkeit. Umso länger die Erholung dauert, umso mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen um ihren Job bangen (ganz zu schweigen von den zahlreichen Selbstständigen, die insbesondere den Wirtschaftsbereich Logistik prägen). Trotzdem erwarten wir keine Nullrunden bei den kommenden Lohnverhandlungen.
Die beiden Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die in den letzten Jahren des steten Wachstums die Logistik dominiert haben, werden in 2021 bzw. in der „Nach-Corona-Zeit“ wieder verstärkt auf die Agenda gesetzt. So wird die Digitalisierung gefordert und auch gefördert, was entsprechend zu höheren Investitionen in diesem Bereich führen wird. Ebenso wird die Nachhaltigkeit wieder an Relevanz gewinnen und wird für die Politik und Unternehmen eine übergeordnete Rolle spielen.
Die quantitative Prognose der Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik in 2021
Die qualitative Bewertung zeigt bereits auf, dass die für die Logistik wichtigen Nachfrageindustrien Automobil- und Maschinenbau nur geringe Wachstumsimpulse in 2021 geben können. Zwar erholt sich die Nachfrage in der Automobilindustrie bereits Ende 2020 merklich. Aufgrund des Strukturwandels, der weltpolitischen Entwicklung und der bereits in 2019 erkennbaren abflauenden Nachfrage nach Automobilen aus deutschen Werken wird sich die Automobillogistik in 2021 aber unterdurchschnittlich entwickeln.
Beim Maschinenbau zeigt sich zwar auch eine Erholung beim Auftragseingang. Hier wird jedoch die Besonderheit der Branche deutlich, dass der Zeitraum von Auftragserteilung bis Auftragserfüllung lang sein kann. Die Produktion ist in 2020 weitaus geringer eingebrochen als bei der Automobilindustrie. Hier wurden viele Aufträge aus den Vorjahren noch abgearbeitet. Aber der Auftragsbestand sinkt bereits seit Anfang 2019. Aus diesem Grund sind die Auftragsbücher weniger gefüllt und damit ist auch mit nur geringem Wachstum für 2021 zu rechnen. Wachstumsimpulse für die Logistik sind von diesem Wirtschaftszweig nur wenige zu erwarten.
Quelle der drei Grafiken: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Corona/Wirtschaft/kontextinformationen-wirtschaft.html
Anders ist es bei der Chemie, durch welche der der Expertenkreis für die Logistik ein deutliches Wachstum erwartet. Auch wenn der Wirtschaftszweig Zulieferer von schwächelnden Industrien ist, war weder der Einbruch in 2020 stark ausgeprägt, noch wird das Wachstum davon betroffen sein. Es wird vielmehr erwartet, dass der Wirtschaftszweig Chemie der Logistik deutliche Wachstumsimpulse geben wird.
Von diesen Entwicklungen sind entsprechend auch der Export und die grenzüberschreitenden Güterflüsse betroffen. So wird für 2021 wieder Wachstum erwartet, welches jedoch auch deutlich höher sein könnte. Denn: Wir sind davon überzeugt, dass der Logistikstandort Deutschland von Handelskonflikten eher profitieren wird, als negativ davon betroffen zu sein.
In Summe erwarten wir ein Wachstum von +3,0 Prozent (real) bzw. von +4,4 Prozent (nominal). Dabei ist zu bedenken, dass aufgrund der sehr unsicheren Wirtschaftslage und der dynamischen Entwicklungen mit einem Fehlerkorridor von +/- 10 Prozent gerechnet werden sollte, sodass das reale Wachstum +2,7 bis 3,3 Prozent ausfallen kann. Entsprechend der vergangenen Monate werden wir als Expertenkreis kontinuierlich unsere Einschätzungen aktualisieren und kommunizieren.
Während das reale Wachstum von Impulsen primär aus Konsum und Chemie getragen wird, sind Transport- und insbesondere Personalkosten die wichtigsten Treiber des nominalen Wachstums.
Der Expertenkreis: Dr. Andreas Backhaus (ehemals BASF), Berit Börke (TX Logistik), Dr. Andreas Froschmayer (DACHSER), Dr. Christian Grotemeier (BVL.digital), Gerd Hailfinger (geberit), Frauke Heistermann (AXIT.capital), Dr. Christian Jacobi (agiplan), Prof. Dr. Christian Kille (FHWS), Matthias Klug (STILL), Wolfgang Lehmacher, Eric Malitzke (DPD), Markus Meißner (AEB), Michael Müller (Müller – die lila Logistik), Dr. Alexander Nehm (Logivest Concept), Klemens Rethmann (Rhenus), Andreas Reutter (Bosch), Dr. Torsten Rudolph (Rudolph Logistik), Prof. Dr. Thorsten Schmidt (TU Dresden), Marc Schmitt (Evertracker), Arnold Schroven (Schroven Consulting), Martin Schwemmer (Fraunhofer SCS), Dr. Stefan Schwinning (Miele), Harald Seifert (Seifert Logistics), Lars Siebel (REWE), Dr. Michael Sternberck (dm), Prof. Dr. Wolfgang Stölzle (Uni St. Gallen), Jens Wagener (Commerzbank), Dr. Steffen Wagner (KPMG), Kerstin Wendt-Heinrich (TOP Mehrwert-Logistik), Patrick Wiedemann (Reverse Logistics Group), Prof. Dr. Peer Witten (LIHH)
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