Die Bedeutung immaterieller Vermögenswerte in der Vierten Industriellen Revolution
Disruption ist unvermeidbar – dies gilt auch für auch Logistik- und Supply Chain. Dort allerdings wird dies nicht 2019 geschehen. Zumindest nicht im großen Stil. Denn dieser Wandel setzt voraus, die Zukunft neu zu denken. Darin unterscheidet sich die Spreu vom Weizen – sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. In weiten Teilen sind Unternehmen und Institutionen nicht auf die digitiale Herausforderung vorbereitet. So fehlt es auf den Entwicklungs- und Entscheidungsebenen insbesondere an den für Transformation unumgänglichen weichen Faktoren und Kompetenzen. Offenheit, Vorstellungskraft, Experimentierfreudigkeit, Fehlertoleranz sowie die Bereitschaft zu Austausch und Zusammenarbeit sind entscheidend für die Kreation und Einführung von innovativen Geschäftsmodellen. Es geht nicht darum, alt hergebrachte Prozesse unverändert zu digitalisieren. Die Zukunft erdenken und für uns neu erfinden, ist die Aufgabe. Transformation in der Vierten Industriellen Revolution muss an den Wurzeln ansetzen. Innovative Unternehmen werden 2019 dazu nutzen, ihre Fundamente zu stärken. Die Transformationsagenda wird zunehmend von der Konzentration auf die weichen Faktoren geprägt sein.
1. Digitale Visionen und Verantwortlichkeiten
Disruption beginnt im Kopf. Der Mangel an Vorstellungskraft und entsprechenden organisatorischen Strukturen behindert den zügigen Fortgang der Transformationen von Wirtschaft und Verwaltung. Gemäß einer Studie der Personalberatung Korn Ferry ist nur in zehn der dreißig Dax-Konzerne ein Vorstand für Digitalisierung und/oder Transformation verantwortlich. In keinem Dax-Vorstand existiert ein eigenes Digital-Ressort. Im MDax operieren gar 95 Prozent der Unternehmen ohne ein öffentlich benanntes Vorstandsmitglied für Fragen der Vierten Industriellen Revolution.[1] Hier gilt es anzusetzen.
2. Digitales und vernetztes Denken
Die Vierte Industrielle Revolution erfordert digitales und vernetztes Denken. Es kommt zu einer verstärkten Verlagerung von linearen Prozessen hin zu Plattformen. Denn heute findet sich alles, was Unternehmen brauchen, im sogenannten Ecosystem: Arbeitskräfte, Betriebsmittel, Lagerflächen, Transportmittel usw. Plattformen sind das Instrument, das Transparenz und Zugang zum Ecosystem bietet. Plattformisierung und Automatisierung sind die zwei entscheidenden Entwicklungsebenen der Digitalisierung. Die Daten fließen durch die Kanäle geschaffen vom Internet-der-Dinge und erlauben das Monitoring und die Steuerung der Maschinen. Auch die Supply Chain wird künftig datengesteuert sein.
3. Experimentierfreudigkeit und konsequentes Handel
Erfolg und Überleben in der Vierten Industriellen Revolution erfordert die Transformation der operativen Modelle. Dies erfordert neben Kreativität auch Experimentierfreudigkeit und Fehlertoleranz. Dem stehen oft die Unternehmenskulturen im Weg. Ein Weg aus dem Dilemma sind Technologiepartnerschaften, die Gründung von Funds, Inkubatoren und Akzeleratoren, um Technologieführer und Startups aufzubauen, zu erwerben und zu fördern. Und um Zugriff auf, oder zumindest Zugang zu Menschen mit anderen Denkweisen zu erhalten. Bei der Bereitstellung entsprechender finanzieler Mittel besteht in Deutschland noch Nachholbedarf.[2]
4. Branchenübergreifende Zusammenarbeit
2018 konnten wir ein Umdenken in der Transport- und Logistikbranche beobachten – von Schutz- und Silo-Denken hin zur Bereitschaft, neue Formen der Zusammenarbeit auszuprobieren. So gingen beispielsweise der Rotterdamer Hafen und der Hamburger Hafen eine Datenpartnerschaft ein. Zur optimalen Abstimmung entlang der Lieferketten muss allerdings die Kooperation über die Grenzen der Transport- und Logistikbranche hinausgehen. Insbesondere das rasant steigende Cyberrisiko bedarf der Zusammenarbeit und der Einführung kollektiver Frühwarnsysteme. Hier ist das Zusammenwirken von Privatwirtschaft mit staatlichen und überstaatlichen Stellen, wie Europol und Interpol, gefragt.[3]
5. Die Fähigkeit zur Bildung von Gestaltungskoalitionen
Kokreation ist das Medium, welches den neuen Technologien ihren Sinn und ihre Tragweite gibt. Eine einzige globale Plattform, auf der die internationalen Handelsströme digital abgebildet und damit transparent und reibungslos abgewickelt werden können ist allerdings unwahrscheinlich. Zusammenarbeit erfordert Protokolle sowie regelmäßigen umfassenden Austausch zur Vermeidung von Spannungen. Das Weltwirtschaftsforum zielt mit der Initiative “Re-designing trust: Blockchain for Supply Chain” darauf ab, entsprechende Rahmenwerke zu kokreieren und diese dann in Prototypen umzusetzen. Die Initiative adressiert auch die Herausforderung um die kleinen und mittleren Unternehmen, die Gefahr laufen, den Anschluss zu verpassen.
6. Inner- und überbetriebliche digitale Aus- und Weiterbildung
Technologische Fähigkeiten und Projektmanagement-Expertise sind nur die Spitze des Eisbergs in Bezug auf die erforderlichen Kompetenzen. Wenn die Investition in die Qualifizierung nicht gegeben ist, steigt der Widerstand aufgrund von Unverständnis und Unsicherheit. Hier ist entsprechend in Bildung zu investieren. In Deutschland betragen die öffentlichen Bildungsausgaben gerade einmal 5,1% des BIP (2010).[4] Inhalt, aber auch die Art des Lernens muss sich ändern. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Vierte Industrielle Revolution vollzieht, erfordert, das sich Menschen schnell und ohne große externe Unterstützung selbst kontinuierliche Wissen aneignen können.
7. Digitaler Kulturwandel
Der Wandel zum erfolgreichen Unternehmen in der Vierten Industriellen Revolution bedingt eine transformationsfördernde Kultur. 70% der komplexen Großprojekte im Bereich digitaler Transformation scheitern oder verfehlen die gesetzten Ziele[5]. Die Kultur verspeist die Strategie zum Frühstück – so hat Peter Drucker die Herausforderung auf den Punkt gebracht. Kultur besteht aus Einstellungen, Normen, Werten und Verhaltensmustern der Mitglieder der Organisation. Diese wurden im Laufe der Geschichte einer Organisation entwickelt. Ihre Veränderung erfordert ein Kraftakt – und scheitert in den meisten Fällen.
Transformation beginnt in den Führungs- und Steuerungsgremien. Digitalisierung und Vernetzung wirken sich auf alle Bereiche, auf alle Tätigkeiten und Aktionen aus. Wer verharrt, verschwindet. Die nächste Phase der Transformation in der Vierten Industriellen Revolution wird sich weniger spektakulär und zunehmend hinter den Kulissen abspielen. Die führenden Unternehmen setzen auf die weichen Faktoren.
Seit jeher stehen die immateriellen Vermögenswerte hinter dem materiellen Erfolg: die schönen Geister außergewöhnlicher Menschen, die sich unsere Zukunft vorstellen. Die Kraft des intelligenten und qualifizierten Kollektivs, das die Transformation schließlich in Gang setzt. Die Technologien werden weiterhin die Schlagzeilen machen, die immaterielle Güter allerdings zwischen Erfolg und Misserfolg entscheiden!
[1] www.wiwo.de/erfolg/beruf/digitalisierung-kaum-digitalvorstaende-in-deutschlands-unternehmen/23655852.html, abgerufen am 9. April 2019
[2] vgl. www.unesco.de/wissen/wissenschaft/deutschland-weltweit-vierter-stelle-bei-investitionen-forschung-und-entwicklung, abgerufen am 09.04.2019
[3] vgl. Lehmacher, Wolfgang: Steht unsere Versorgung auf dem Spiel?: Über terroristische Bedrohungen entlang der Supply Chain, Springer Gabler, 2017
[4] vgl. www.laenderdaten.de/bildung/bildungsausgaben.aspx, abgerufen am 09.04.2019
[5] www.mckinsey.com/industries/retail/our-insights/the-how-of-transformation, abgerufen am 09.04.2019
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