In einem Kommentar vom 9. Februar bei LinkedIn Pulse habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie das Thema Digitalisierung im Koalitionsvertrag berücksichtigt ist. Mit 13 Seiten nimmt es den meisten Platz ein! Ein wichtiges Zeichen, denn die 13 Seiten sind auch inhaltlich sehr dicht formuliert und umfassen viele gute aber auch viele längst überfällige Ideen. Meine persönlichen Top-8-Themen möchte ich an dieser Stelle der Logistik-Community gezielt noch einmal vorstellen:
- „Neugier auf digitale Technologien wecken“ – finde ich extrem wichtig, denn heute herrscht oft noch Skepsis und Ablehnung u.a. auch, weil die Menschen sich von neuen Technologien überfordert fühlen. Über Neugier schafft man das notwendige Verständnis für neue Technologien, und das ist wichtig, um optimale, nutzenbringende Einsatzszenarien für diese Technologien zu finden. Die Digitalisierung der Verwaltung, die der Koalitionsvertrag vorsieht, ist dabei die beste Möglichkeit, die Bürger die Vorteile neuer Technologien positiv erleben zu lassen. Außerdem braucht der Staat selbst mehr Erfahrung in Digitalisierung und das geht nur, indem er sie selber für sich und seine Prozesse nutzt. Wer selbst mehr Erfahrungen hat, kann auch kompetenter Rahmenbedingungen setzen.
- Den größten und konkretesten Teil nimmt im Koalitionsvertrag das Thema digitales Netz ein mit: Gigabit-Netz, Glasfaser, 5G Lizenzen und einer konkreten Investitionssumme von 10-12 Mrd. Euro. Die Umsetzung dieser Punkte ist überfällig und dringend. 2025 als Ziel ist zu spät, gemessen an der schnellen Weiterentwicklung der Digitalisierung. Leider werden im Rest des Papiers kaum noch konkrete Budgetzahlen für Digitalisierungs-Initiativen genannt, sie wären ein guter Indikator für ihre Bedeutung.
- Der Mut zum Digitalministerium fehlt leider. Statt dessen sind eine Digitalagentur, ein Digitalrat und eine eGovernment-Agentur – Digitalisierung ist eine Querschnittsfunktion mit deutlichen Schnittmengen z.B. zu Bildung, Forschung, Arbeit, Wirtschaft. Unerläßlich für das Gelingen der Vorhaben ist es daher, dass die Ministerien übergreifend bei Digitalisierungs-Initiativen zusammenarbeiten und sich bei den Maßnahmen abstimmen. Hoffentlich hilft dabei die Digitalagentur, der Digitalrat etc. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, kommt nur eine fade Brühe heraus…
- Die digitale Bildungsoffensive hat einige überfällige Punkte und einige gute neue Ideen. Überfällig sind: Digitale Ausstattung der Schulen, pädagogisches Know-how vermitteln, Förderung außerschulischer Medien- und Digitalisierungsprojekte. Gut und neu sind: Vermittlung von Best Practices (sehr pragmatisch), regionale Kompetenzzentren.
- Der Koalitionsvertrag umfasst wichtige Ideen zur Stärkung der Gründerkultur, die aber auch längst überfällig sind: z.B. Bedingungen für Wagniskapital verbessern, Bürokratie reduzieren, Gründungen aus der Beschäftigung heraus erleichtern, mehr Frauen zu Gründungen motivieren. Schaut man sich hier Deutschland i. Vgl. zu den USA an, haben wir dringendsten Handlungsbedarf. Das Ziel „Wir wollen, dass die Ideen aus Deutschland auch mit dem Kapital aus Deutschland finanziert werden“ soll z.B. durch die „Auflage eines der größten nationalen Digitalfonds“ unterstützt werden. Cool, denn heute geben die USA 20x mehr Risikokapital aus als Deutschland. Dabei denkt der Koalitionsvertrag nicht nur im nationalen Rahmen, sondern will auch die Gründerkultur in Europa stärken. Auch der Schutz von sicherheitsrelevanten Technologien vor dem Ausverkauf oder Übernahmen steht auf dem Plan. Super Sache, jetzt muss sie unbedingt umgesetzt werden!
- Insgesamt ist beim Thema Digitalisierung oft von Europa zu lesen. Die Position Europas soll gestärkt werden und sich von dominanten Playern wie den USA „freischwimmen“. Hier unabhängiger zu werden und einen eigenen Footprint und Kompetenzen zu entwickeln ist ein wichtiger Schritt.
- Entwicklung gemeinsamer globaler Standards und Normen – Achtung, das kann ein Lebenswerk sein. Am besten ist es, wenn sich die Standards aus dem Business / der Praxis heraus entwickeln. Aufgesetzte Standards sind meist theoretisch und werden in der Praxis unterlaufen. Hier kann man viel Zeit verschwenden und sollte sich aufs Wesentliche konzentrieren.
- Forschung und Innovation: 3,5 Prozent des BIP sollen hierfür ausgegeben werden. Das ist gut. Allerdings mit der Einschränkung bis 2025. Das ist zu spät. Insgesamt soll im Bereich Forschung der Wissens- und Technologietransfer zur Wirtschaft erhöht oder Experimentierräume geschaffen werden. Der Staat will Innovation beschleunigen, indem er die Vernetzung der Akteure vor Ort stärkt. Das ist wichtig, aber hier sollten die Unternehmen und Wissenschaft auch selbst das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Warum explizit die östlichen Bundesländer bei ihren Anstrengungen in der Wissenschafts- und Innovationspolitik besonders unterstützt werden sollen, erschließt sich mir nicht.
Der Koalitionsvertrag ist natürlich nicht perfekt, enthält aber viele wichtige Punkte. Wenn diese alle umgesetzt würden, wären wir einen sehr großen Schritt weiter. Wichtig ist es aber auch, dass die Unternehmen nicht auf die Impulse vom Staat warten, sondern selbst aktiv werden wo immer es möglich ist. Denn vieles, was im Koalitionsvertrag steht, könnten sie auch einfach so selbst umsetzen. Eigeninitiative ist bei Digitalisierung noch immer das Wichtigste.
Dank an den Autor für Analyse und Einsichten! – In der Politik steht meist “der gute Wille, d.h. die Ankündigung für die Tat”. Verantwortlich ist am Ende des Tages niemand, insbesondere, wenn es um Infrastruktur geht, deren Entwicklung über Wahlperioden hinausgeht. Die EU-Wirtschaftsstrategie ist ein Beispiel. Den künftigen “Digitalagenten und -räten” sei eine Studienreise z.B. nach Korea empfohlen, um jetzt die Zukunft unserer Zukunft zu besichtigen. – Meinerseits sei der Politik empfohlen , sich mit der Matrixorganisation zu befassen, um zu verhindern, dass wichtige Anliegen von/für Bürger(n) und Industrie nicht im Kompetenzgerangel von Ministerien untergehen.
Auszug aus “EU 2020” von 2010
Digitale Agenda für Europa – Erzielen nachhaltiger wirtschaftlicher und sozialer Vorteile durch einen digitalen Binnenmarkt auf der Grundlage des Hochgeschwindigkeitsinternet. Dieses sollte bis 2013 allen Europäern zugänglich sein. [ http://europa.eu/rapid/press-release_IP-10-225_de.htm ]