Die Supply Chain der Zukunft wird digitaler, automatisierter und nachhaltiger, das sind Kernaussagen einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung der Miebach Consulting GmbH basierend auf den Ergebnissen einer Delphi-Studie mit 30 Experten aus aller Welt über Zukunftsthemen. Der Einschätzung von Miebach stimme ich generell einmal zu. Die Studie geht insbesondere auf die bedeutende Rolle von Nachhaltigkeit sowie auf die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Technologie ein. Dieser Beitrag ist keinesfalls eine Kommentierung der Studie, sondern meine persönliche Einschätzung wesentlicher Zukunftstrends, die die weltweiten Supply Chains prägen können, sowie ein Aufruf einer Revolution, die schon zu lange auf sich warten lässt.
Die Treiber der Entwicklung der Supply Chains sind zuvorderst technologischer Fortschritt, Änderungen beim Nachfrageverhalten und neue Gesetzgebung. Das Ausmaß der technologischen Transformation liegt allerdings in der Bereitschaft der Akteure zusammenzuarbeiten, zum Beispiel beim Datenaustausch und bei der Schaffung von Datenstandards, oder der Abstimmung des Bedarfs an alternativen Treibstoffen oder dem Aufbau von Recyclingkapazitäten. Was aber genau ist es, dass die Supply Chain-Verantwortlichen zu bewältigen haben und was Logistiker wissen sollten? Nachstehend einige Punkte, denen die Planer und Entscheidungsträger im Bereich von Supply Chain und Logistik Aufmerksamkeit schenken sollen.
1. Der Mensch und Maschine Hybrid
Zukünftige Supply Chains werden durch die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen geprägt sein. Die Ergebnisse digitaler Pioniere in der Logistikbranche zeigen, dass 70 bis 80 Prozent der Routineprozesse digitalisierbar und damit automatisierbar sind. Dieses Potenzial wird schrittweise ausgeschöpft. Auch langfristig nicht digitalisierbar sind ad-hoc und komplexe Prozesse. Diese erfordern weiterhin menschliches Intervenieren.
Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass Künstliche Intelligenz (KI) ohne Digitalisierung weitgehend nutzlos ist. KI ist nicht der Engpassfaktor. Obwohl wir bei der KI-Entwicklung noch am Anfang stehen, liegen die Schwierigkeiten eher in der Qualität von operativen Daten und spezieller in der Verfügbarkeit von Primärdaten. Dies unterstreicht, dass nicht der technologische Fortschritt, sondern die Bereitschaft der Unternehmen zum Austausch von verlässlichen Daten die Geschwindigkeit der digitalen Transformation der Supply Chain bestimmt. Dabei ist positiv festzuhalten, dass die Bereitschaft zum Datenaustausch durch die Erfahrungen der Corona Pandemie erheblich gestiegen ist.
Technologie erhöht die Leistungsfähigkeit und erweitert die Möglichkeiten der Menschen. KI ist Erweiterung der menschlichen Denkleistung. Aber es ist das Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschine, das die Zukunft bestimmen wird, und nicht die Maschinen allein. Einiges ist ohne Technologie gar nicht zu lösen, wie beispielsweise die Circular Economy. Wie sollen Unternehmen ohne Technologie tausende von Teilen in ihrer Grundsubstanz und Zusammensetzung zu verstehen?
2. Differenzierungsmerkmal Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ohne Technologie ist mit circa acht Milliarden Menschen auf der Erde unmöglich. Die gute Nachricht ist, dass technologisch nahezu alles lösbar ist. Wir brauchen lediglich Zeit und Geld. Die Schwierigkeit ist, dass der Mensch, obwohl Ermöglicher hinter allem, dennoch der Engpassfaktor ist. Gesetzgebung zur Schaffung positiver und negativer Anreize, einer einheitlichen Ausgangssituation für alle Beteiligten, sowie Rechtfertigungshilfe gegenüber Investoren und anderen resistenten Gruppen in Unternehmen und Wirtschaft ist ein weiterer kritischen Faktor.
Die Pioniere zeigen auf, dass bereits heute vieles möglich ist. Forschung und Entwicklung auf staatlicher und unternehmerischer Seite sind gefordert, die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Lösungen im Bereich der Nachhaltigkeit schrittweise zu verbessern und sicher zu stellen. Nur Allheilmitte gibt es leider nicht. Das Heil liegt, wie so oft, im Mix, bei der Dekarbonisierung beispielsweise in Elektromobilität plus Biodiesel auf der Straße, in windunterstützten Antrieben plus Elektrifizierung sowie Wasserstoff, Methanol, und Ammoniak auf dem Wasser, und in Elektrifizierung und nachhaltigem Flugzeugtreibstoff in der Luft. Natürlich spielen auch die Abnahmemengen bei der Skalierung eine Rolle. Damit ist die Wirtschaft gefordert, klare Nachfragesignale zu setzen. Bei der Dekarbonisierung hört es keinesfalls auf. Auch Wasser zum Waschen der Fahrzeuge ist nach Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu nutzen, zu behandeln und wiederaufzubereiten. Ebenso sind Maßnahmen zur Sicherstellung der mentalen und körperlichen Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeit.
Produkte und Supply Chains werden zukünftig zunehmend nach den Prinzipien der Circular Economy (vormals Kreislaufwirtschaft) gestaltet. Die Gesetzgebung fordert bereits heute bei einigen Produkten, dass ein gewisser Anteil an Rohstoffen aus dem Recycling stammen muss. Aber Recycling ist auch nicht das Allheilmittel, sondern nur ein Teil der Lösung. Zur Schaffung einer wahren Circular Economy sind Produkte so zu gestalten, dass ihre maximale Weiterverwendbarkeit in Gänze, Teilen oder Materialien ohne schädliche Nebenwirkungen ermöglicht wird. Dies kann beispielsweise Modularität, Reparierbarkeit und Aufrüstbarkeit, und zum anderen auch umwelt- und klimaschonende Produktions- und beispielsweise Distributionsverfahren erfordern. Wichtige Faktoren sind auch Materialauswahl und Programme, die die Weiterführung der Produkte, Teile und Materialien ermöglicht, beispielsweise durch Reverse Logistics. Das dies alles Technologie und Teamarbeit erfordert, liegt auf der Hand.
3. Zusammenarbeit – Imperativ der Zukunft
Ohne abgestimmte Zusammenarbeit wird es weder Digitalisierung noch Dekarbonisierung im großen Stil geben. Zudem bedingen sich beide Faktoren gegenseitig. Zusammenarbeit ist Grundvoraussetzung für umfangreiche Digitalisierung und Digitalisierung der Schlüssel zur effektiven Zusammenarbeit. Daher wird die Supply Chain der Zukunft viel digitalisierten und kollaborativer organisiert sein. Hersteller werden Lieferanten und Kunden digital integrieren, um eine höhere Transparenz zu schaffen. Damit dies erfolgen kann, sind auf der einen Seite Verhaltensänderungen und auf der anderen Seite Industriestandards gefordert. An letzterem wird gearbeitet, das Daten-Ecosystem der Automobilindustrie Catena-X ist nur ein Beispiel. Eine branchenübergreifende Konvergenz der Standards ist allerdings anzustreben. Dies erfordert nicht nur neue Denkmuster, sondern vielmehr eine Abkehr vom reinen Wettbewerbsverhalten hin zu viel kollaborativeren Verhaltensweisen.
Bei der Nachhaltigkeit ist die Lücke zwischen den Praktiken von gestern und denen von morgen noch viel größer. Zur effektiven Dekarbonisierung ist die enge Abstimmung zwischen Energieversorgern, Transportmittelherstellern und Transportunternehmen unumgänglich. Grüne Motoren ohne nachhaltige Treibstoffe sind ebenso nutzlos wie mit erneuerbaren Energien betriebene Fahrzeuge, die nicht erworben und eingesetzt werden. In der Circular Economy laufen Zusammenarbeit und Digitalisierung ebenfalls zusammen. Diese braucht nicht nur Daten-Ecosysteme, die den reibungslosen Austausch von Materiallisten und Weiterverwendungsmöglichkeiten ermöglicht, sondern auch zirkuläre Ecosysteme in denen Produkte, Teile und Materialien vom einen zum anderen Akteur fließen können. Denn das Überschussmaterial des einen ist die Ressource des anderen Wirtschaftsbeteiligten.
Schlussgedanken – die Notwendigkeit einer Verhaltensrevolution
In unserem ureigensten Interesse, müssen Menschen und Maschinen Hand in Hand arbeiten. Kooperation auf der Mensch-Maschine aber vielmehr der Mensch-Mensch Ebene ist für viele Fortschrittsprojekte Voraussetzung. Dies keineswegs nur um Effektivität und Effizienz zu steigern, sondern insbesondere um die Nachhaltigkeit und den Fortbestand der Menschheit sicher zu stellen. Angesichts des schleppenden Fortschritts bei Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsthemen ist in Anbetracht der Notwendigkeit zu größerer Kooperation, der Verhaltenswandel vermutlich das wichtigste Innovationsfeld der Zukunft. Ein Gebiet, dem bislang eher weniger Beachtung geschenkt wurde.
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