Im Herbst war es wieder so weit: Die Expertinnen und Experten der Initiative zur Prognose der Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik im Deutschland (Logistikweisen) unter der Schirmherrschaft von Oliver Luksic, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, haben sich zu ihrem Gipfeltreffen zusammengefunden, um
- eine Prognose für die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik für das Jahr 2024 aufzustellen und
- Impulse zu geben,
- wie die Politik den Logistikstandort Deutschland für die Zukunft rüsten kann, und
- wie Unternehmen sich auf die aktuellen und kommenden Herausforderungen einstellen können.
Die Ergebnisse wurden erstmals in einer Zusammenfassung auf dem Deutschen Logistik-Kongress der Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) präsentiert (bspw. in der DVZ oder der LOGISTIK HEUTE).
1. Nach den Einschätzungen des Expertenkreises wird der Wirtschaftsbereich Logistik 2024 real einen Abschwung erleben
Die aktuellen Prognosen für die Entwicklung des BIP weisen einen leichten Aufschwung der deutschen Wirtschaft aus. Nach einer Abnahme der Wirtschaftsleistung in 2023 scheinen die Zeichen wieder auf Wachstum zu wechseln. Dies schätzen die Expertinnen und Experten der Logistikweisen anders ein. Nicht nur dass die Hochrechnung für 2023 real auf -2,0% und nominal auf +2,5% nach unten korrigiert wurde. Auch für das Jahr 2024 wird die Situation pessimistischer gesehen. So wird ein weiteres Minus der realen Entwicklung für die Logistik von -3,5% und ein leichtes Plus von +0,8% nominal erwartet. Auch wenn ein Prognosekorridor für beide Jahre von +/-1% die Unsicherheit widerspiegelt, rechnet der Kreis erst im 2. Halbjahr 2024 mit einer Kehrtwende bei der realen Entwicklung.
Insbesondere wird ein Einbruch der Bauaktivitäten erwartet, da die Bauanträge und -genehmigungen bereits 2023 stark zurückgegangen sind. Auch die Nachfrage im Maschinenbau wird aufgrund der ausbleibenden Aufträge einen leichten Rückgang erleben. Investitionen in regenerative Energien sind kein Wachstumstreiber.
Die stark gebeutelte Chemiebranche wird in 2024 tendenziell stagnieren. Die Branche ist ein Frühindikator und weist auf die insgesamt verhaltene Wirtschaftslage für 2024 hin. Auch in der Automobilindustrie ebenso wie bei der Nachfrage nach Gebrauchsgütern wie Möbel und Bekleidung wird eine Stagnation erwartet. Ein Hoffnungsschimmer zeigt sich ggfls. in HJ2/2024 bei Gebrauchsgütern für Privathaushalte – Sofern Vertrauen aufgebaut wird und damit die höhere Kaufkraft durch das Lohnplus zum Tragen kommt, könnte das Weihnachtsgeschäft belebend wirken. Dies wird den Einbruch jedoch maximal dämpfen.
Einzig die Elektronikbranche verspricht positive Impulse.
Aufgrund des Kostendrucks sind Produktivitätssteigerungen von 3 bis 4% notwendig. Da die Logistiknachfrage eher rückläufig ist, bleibt dieses Ziel insbesondere hinsichtlich der Auslastung herausfordernd. Es wird mit einer geringeren Quote gerechnet.
Die Personalkosten werden weiterhin auf hohem Niveau zulegen. Neben den Tarifabschlüssen fallen zusätzliche indirekte Kosten für Gewinnung, Bindung und Entwicklung der Beschäftigten an.
Nach dem Peak bei den Treibstoff- und Energiekosten in 2022 lag 2023 eine deutliche Entspannung vor. In 2024 wird in der Logistik ein ähnliches Niveau erwartet wie dieses Jahr.
Die Kosten für gemietete oder selbstentwickelte Lager- und Logistikimmobilien werden trotz der entspannteren Lage im Bausegment deutlich zulegen. Neben den hohen Zinsen und dem Flächenmangel wird das Angebot moderner Objekte reduziert sein.
Diese Faktoren führen dazu, dass eine Abflachung der steigenden Preiskurve generell nicht zu erwarten ist. Insbesondere bei den Straßentransporten werden die Preise auch ohne die Zusatzbelastung durch die deutlich höhere Maut in 2024 weiter zulegen. Mit einem größeren Wettbewerb aufgrund mehr freier Kapazitäten ist zu rechnen. Eine Kapazitätsreduktion durch Marktkonsolidierung ist in geringem Maße wahrscheinlich.
2. Neun Kernmaßnahmen, die die Politik umsetzen sollte, damit Deutschland in der Logistik an der Spitze bleibt
- Die Verkehrsinfrastruktur gilt (noch) als Standortfaktor Deutschlands. Sie sollte für die Bewältigung der Herausforderungen ausgebaut bzw. modernisiert werden.
- Die Infrastrukturen für Strom, Kommunikation etc. bilden einen weiteren wichtigen Bestandteil des Ökosystems Logistik. Diese sind unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten für eine funktionierende Logistik über 2050 hinaus zu planen und umzusetzen.
- Dafür sind jeweils Masterpläne zu erstellen, die ganzheitlich und deutschlandweit auf die logistischen Anforderungen und Potenziale ausgerichtet sind. Sie sollten den Betrieb, die Wartung und die Weiterentwicklung der Infrastrukturen berücksichtigen. Eine Bewertung des volkswirtschaftlichen Gesamtnutzens wird zeigen, dass es einen Mehrwert bietet, logistische Anforderungen in die Entscheidungen über die Strategie beim Ausbau der relevanten Infrastrukturen zu integrieren.
- Die staatlichen Einnahmen aus Güterverkehrs- und Logistikabgaben (insbesondere die Maut) sollen dazu dienen, den Ausbau der Infrastruktur für die Logistik zu finanzieren.
- Die Masterpläne sind konsequent umzusetzen, kontinuierlich zu kontrollieren und regelmäßig auf notwendige Anpassungen zu prüfen.
- Es ist notwendig, dass Ressort- und Stakeholder-übergreifend und damit über Organisationsgrenzen hinweg gehandelt wird. Ein neuer Dialogansatz zwischen Politik und Wirtschaft, Ministerien, Bund und Ländern etc. ist dafür notwendig.
- Um den Strukturwandel zu bewältigen sind strategische Themen zu forcieren, wie die Vorbereitung auf die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und das Heben der damit verbundenen Potenziale.
- Der Wirtschaftsbereich Logistik ist als Arbeitgeber ein wichtiger Partner in der Bewältigung des Strukturwandels. Die Logistik kann nicht nur vormalig industriell genutzte Flächen für ihren Nutzen aufbereiten. Sie bietet auch alternative Arbeitsplätze zu Industrien im Strukturwandel. Dies ist in den politischen Entscheidungen zu berücksichtigen und durch Imagekampagnen bei den Kommunen und durch Fördermöglichkeiten zu unterstützen.
- Ein besonderes Augenmerk ist auf Forschung und deren Stärkung zu legen, um die Innovationskraft der Logistik und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auszubauen.
3. Zwölf Kernmaßnahmen, die Unternehmen umsetzen können
- Strategie: Entwicklung von Roadmaps für Energieeffizienz im Unternehmen unter Berücksichtigung von unternehmensübergreifender Zusammenarbeit (Ladeinfrastruktur, Energiegewinnung etc.) und weiterer Themen jenseits der althergebrachten, wie PV-Anlagen, LED-Beleuchtung etc.
- Technologie: Verstärkte Investition in Digitalisierung, Automatisierung und Industrialisierung von Prozessen (insbesondere in KI, Robotik etc.) zur Steigerung der Produktivität und zur Reduzierung des mittelfristigen Bedarfs an Beschäftigten, begleitet durch ein „Change Management“.
- Unternehmenskultur: Neue Themen (Leistungsbereitschaft, „Purpose“, wertorientiertes Handeln, Nachhaltigkeit etc.), Kompetenzorientierung statt fachliche Expertise[SA1] , Modernisierung der Weiterbildung in Richtung „Change“ und Führungskultur, als Arbeitgeber aktives Vorleben der Offenheit gegenüber allen Menschen in den Mittelpunkt stellen.
- Austausch: Etablieren von unternehmensübergreifenden Plattformen zum Austausch von Kapazitäten und Beschäftigten bei Schwankungen, Transparenz über im Idealfall alle Partner hinweg zu Vermeidung des „Bullwhip“-Effekts sowie firmenübergreifender Austausch von Mitarbeitenden zur Steigerung des gegenseitigen Verständnisses.
- Resilienz: Etablierung eines professionellen Risiko-Managements mit Risikoanalyse und dem Einsatz der adäquaten Werkzeuge zur Steigerung der Resilienz in volatilen Zeiten (Bestandsaufbau, Komplexitätsreduzierung, Transparenzerhöhung, Alternativen zu den Beschaffungsmärkten und Sourcing-Strategien etc.).
- Kooperation: Bündelung von Mengen und partnerübergreifende Abstimmung der Anlieferungen zur optimalen Auslastung der bestehenden Infrastrukturen (neben Verkehr auch Strom, Kommunikation etc.) und der Verkehrsträger Schiene und Binnenschiff.
- Cyber-Security: Entwicklung eines Notfallplans und einer Strategie für eine höhere IT-Sicherheit.
- Klimaneutralität: Unternehmensbezogene Entwicklung einer Roadmap zur Erreichung der Klimaneutralität inkl. der notwendigen Maßnahmen im Unternehmen und deren Umsetzungszeitraum (Meilensteine).
- Supply-Chain-Ansatz: Umsetzung von Standards bspw. für Verpackung und Produkteigenschaften als Basis für Circular Economy und Postponement.
- Resistenz: Berücksichtigung des Einflusses klimatischer Veränderungen auf den operativen Betrieb und der Anforderungen der Finanzwirtschaft (Versicherungen, Investoren etc.) bei Unternehmensentscheidungen.
- Alternative: Etablierung der Logistik als Alternative zu den bekannten Arbeitgebern aus der Industrie durch geeignete Kampagnen und Initiativen vor Ort.
- Kulturwandel: Entwicklung einer unternehmensspezifischen Roadmap zur Steigerung der Offenheit gegenüber Veränderungen der Rahmenbedingungen, Zusammenarbeit mit Partnern, Definition gemeinsamer Ziele, Transparenz und Standardisierung zur Bewältigung des Digital-, Energie-, Klimawandels etc.
Die ausführlichen Ergebnisse des Gipfeltreffens werden in den nächsten Monaten in einem Bericht zum Logistikjahr 2024 veröffentlicht. Der Bericht wird Ende Q1/2024 an den Schirmherrn Oliver Luksic, MdB, Parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, übergeben.
Zusammensetzung des Expertenkreises (Stand September 2023)
- Berit Börke, PARTNER FOR PIONEERS GmbH
- Dieter Braun, AUDI AG
- Ralf Busche, BASF AG
- Dr. Andreas Froschmayer, DACHSER SE
- Gerd Hailfinger, Geberit AG
- Gerritt Höppner-Tietz, hagebau Logistik GmbH & Co. KG
- Dr. Christian Jacobi, agiplan GmbH
- Prof. Dr. Christian Kille, THWS
- Wolfgang Lehmacher
- Antje Lochmann, GEODIS FF Germany GmbH & Co KG
- Markus Meißner, AEB SE
- Michael Müller, Müller – die lila Logistik SE
- Prof. Dr. Alexander Nehm, DHBW Mannheim
- Dr. Martina Niemann, DB Cargo AG
- Karsten Obert, Rhenus SE & Co. KG
- Dr. Torsten Rudolph, Rudolph Logistik Gruppe GmbH
- Prof. Dr. Thorsten Schmidt, TU Dresden
- Marc Schmitt, Fr. Meyer’s Sohn (GmbH & Co) KG
- Arnold Schroven, Schroven Consulting GmbH
- Dr. Martin Schwemmer, BVL e.V.
- Dr. Stefan Schwinning, Miele & Cie
- Harry Seifert, Seifert Logistics GmbH
- Lars Siebel, REWE Group
- Prof. Dr. Michael Sternbeck, dm – drogerie markt GmbH
- Dr. Steffen Wagner, KPMG AG
- Michael Wegener, Commerzbank AG
- Jürgen Wels, Porsche Logistik Gesellschaft (PLoG) (i.R.)
- Kerstin Wendt-Heinrich, TOP Mehrwert-Logistik GmbH & Co. KG
- Patrick Wiedemann, Reverse Logistics Group
- Prof. Dr. Peer Witten, Otto Group
Leave a Reply