Die DVZ hat am 9. Juli zusammenfassend über die Einschätzung der Experten aus dem Kreis der Logistikweisen zur Entwicklung der Logistik im zweiten Halbjahr 2019 berichtet . In diesem Blog möchte ich den Artikel mit weiteren Inhalten und Aussagen der Logistikweisen Dr. Andreas Backhaus, Berit Börke, Dr. Andreas Froschmayer, Wolfgang Lehmacher, Michael Müller, Dr. Alexander Nehm, Arnold Schroven, Harald Seifert und Dr. Steffen Wagner ergänzen.
Der Logistik-Indikator der BVL hat im 2. Quartal vermeldet, dass die Lage deutlich besser ist als die Stimmung. In gewissem Sinne spiegelt dies auch die Meinung des Expertenkreises wieder – jedoch mit einem vorsichtigen Blick auf die weitere Entwicklung.
Folgen einer Überhitzung
Aktuell ist die Logistik noch ausreichend ausgelastet. So ist der Auftragsbestand im produzierenden Gewerbe noch ausreichend hoch, auch wenn er seit Januar 2019 kontinuierlich abnimmt – es wird ein Überbestand abgebaut. Harald Seifert sieht eine Abschwächung nach einer konjunkturellen Überhitzung, die nicht größer gemacht werden sollte, als sie ist. Gut erkennen lässt sich das am Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe (siehe folgende Abbildung). Trotz der Rückgänge seit dem Jahreswechsel ist der Stand von Anfang 2018 noch nicht unterschritten, was auf eine Überhitzung in 2018 hindeutet. Es bedeutet aber, dass kein weiteres Wachstum bei den Mengen zu erwarten ist. Dr. Andreas Froschmayer sieht auch bei den Straßengüterverkehren keine Talfahrt. Im Schienengüterverkehr erwartet Berit Börke ebenfalls eine relativ stabile Entwicklung für die 2. Jahreshälfte.
Die Mittelfristprognose des BMVI wurde im Frühjahr bereits nach unten korrigiert, ebenso wie viele andere Indikatoren. So rechneten die Autoren in ihrem Gutachten von Februar 2019 noch mit einem Zuwachs bei Transportmengen (+1,7 Prozent) und Transportleistung (+2,8 Prozent). Diese Prognose liegt schon deutlich unter der aus dem Gutachten vom Herbst 2018 (+2,3 Prozent bzw. +3,1 Prozent), verheißt aber immer noch Wachstum bei den Mengen – im Gegensatz zu den Aussichten, welche die Logistikweisen geben.
Mengenrückgang zu erwarten
Aktuelle Ist-Daten, um die Prognose zu validieren, liegen nur in wenigen Bereichen vor. Einzig die Luftfrachtmengen bis April 2019 sind schon verfügbar. Der Anteil an den Gesamtmengen ist zwar gering, als Indikator kann die Luftfracht jedoch herangezogen werden. Von Januar bis April 2019 gingen die Mengen gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 3,6 Prozent zurück, im Versand sogar um 5,6 Prozent. Die aktuellste Mittelfristprognose geht noch von einem Zuwachs von 1,8 Prozent aus. Es muss ein starker Anstieg in der zweiten Jahreshälfte stattfinden, um diese Prognose zu erreichen – dies ist eher unwahrscheinlich.
Der Expertenkreis der Logistikweisen geht von einem Wachstum des Wirtschaftsbereichs Logistik nach Euro in Höhe von 1,7 Prozent aus (siehe Ergebnisbericht bzw. Zusammenfassung und Blog). Dies bedeutet, dass aufgrund von höheren Anforderungen an die Logistikleistung, aber auch wegen der Kostensteigerungen insbesondere im Bereich Personal mit einer stabilen oder leicht rückläufigen Entwicklung bei den Mengen gerechnet werden sollte. Davon sind laut Dr. Steffen Wagner vor allem die grenzüberschreitenden Mengen betroffen, vor allem im Containergeschäft. Auch er betont, dass aufgrund der vorangegangenen extrem hohen Wachstumsraten die Rückgänge stärker wahrgenommen werden. Laut Berit Börke sind sie auf den Seehafenhinterlandverkehren vor allem bei den Exportvolumina bereits zu spüren, was Imbalancen in das Netzwerk bringt.
Dabei spielt der Brexit eine geringere Rolle als weithin vermutet. Laut Wolfgang Lehmacher ist der Brexit mit Blick auf die Lieferketten bereits vollzogen, sodass von dort keine negative Auswirkung in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten ist – eher im Gegenteil (eine detaillierte Diskussion von Wolfgang Lehmacher ist in der DVZ zu finden). Dass der Umbau im Zuge des Brexit bereits vollzogen wurde, könnte auch ein Grund für den rückläufigen Trend bei dem Neubauvolumen von Logistikimmobilien sein. Dr. Alexander Nehm weist auf eine deutliche Abnahme in Q1/2019 gegenüber dem Vorjahr hin (siehe Abbildung). Insgesamt kann nach seinen Analysen davon ausgegangen werden, dass 2019 weniger Logistikimmobilien gebaut werden, auch wenn für Investitionen noch viel Geld im Markt bereitsteht.
Wachstum trotz dunkler Wolken
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in einigen Branchen die Rückgänge sehr deutlich ausgeprägt sind. Neben der Automobilindustrie, die laut VDA im ersten Halbjahr 2019 im Export Einbußen in Höhe von 15 Prozent hinnehmen musste und in der Produktion in Höhe von 12 Prozent (), hat auch die Chemieindustrie spürbare Rückgänge zu verzeichnen. Dr. Andreas Backhaus von BASF weist darauf hin, dass die Chemieindustrie sich bereits seit Ende 2018 auf einer Talfahrt befindet. Es sei derzeit auch nicht klar absehbar, ob sich das in der zweiten Jahreshälfte ändern wird, zumal da dieser Zeitraum in der Branche gewöhnlich schwächer ist. Die Binnennachfrage, die sich aus den Unternehmensinvestitionen und den Konsumausgaben speist, wirkt derzeit noch stabilisierend. Aber auch der GfK-Konsumklima-Index zeigt seit Februar 2019 nach unten und steuert laut Prognose auf ein Tief zu – siehe folgende Abbildung:
Arnold Schroven sieht trotzdem eine zunehmende Logistiknachfrage insbesondere aufgrund der E-Commerce-Entwicklung. Der höhere Aufwand dafür und die neuen Anforderungen an die Logistik insgesamt, die aus dem Brexit, der Erweiterung des Leistungsspektrums bspw. durch Individualisierung, den Zollabwicklungen und anderem resultieren, führt trotz der dunklen Wolken am Konjunkturhimmel zu einem Wachstum in der Logistik.
Brexit birgt auch Chancen
Vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung in dynamischen Märkten wie dem KEP-Markt bestätigt Arnold Schroven, dass wesentliche Verschiebungen nicht über Nacht kommen, diese aber längerfristig die Logistik massiv verändern können. Steffen Wagner geht davon aus, dass die internationalen Handelskonflikte den logistischen Binnenmarkt Europas nicht signifikant schwächen werden, auch wenn die Exportnation Deutschland von möglichen Strafzöllen besonders betroffen sein wird. Dies bekräftigt Wolfgang Lehmacher: Speziell für Deutschland und Europa ergeben sich Möglichkeiten, engere Wirtschaftsbeziehungen zu China sowie erweiterte Beziehungen zu Afrika und den Mercosur-Staaten aufzubauen – da die USA sich auf andere Themen konzentrieren.
Es können aber auch Ereignisse eintreten, bei denen nicht mehr nur von Abkühlung oder langfristigen Veränderungen geredet werden kann, sondern tatsächlich von einem Einbruch. Abnehmende Nachfrage aus China, Spannungen in der Straße von Hormuz und die instabile Lage in der Türkei sowie die Herausforderungen in der EU können ein Ausmaß annehmen, dass es zu einer Krise ausarten kann, die nicht nur in einzelnen Branchen bzw. Industrien und nicht erst langfristig zu sehen ist, sondern schnell über die gesamte Wirtschaft hinweg Wirkung zeigt – auch wenn dies erst 2020 zu spüren sein wird. Über 2019 hinaus kann die Entwicklung entsprechend noch nicht sicher eingeschätzt werden. Diese Veränderungen der einzelnen genannten Indikatoren, Kennzahlen und Entwicklungen wird der Expertenkreis der Logistikweisen auf dem nächsten Gipfeltreffen im Herbst 2019 diskutieren, zu einer Prognose für das Jahr 2020 zusammenführen und das Ergebnis zum Deutschen Logistik-Kongress 2019 veröffentlichen.
Gelegenheit für Neues
vorzubereiten. Tendenziell ist es nicht mehr notwendig, viel Aufwand in Kapazitätsgewinnung, -sicherung und -jonglage zu stecken. Es bleibt also Luft, um sich strategischen Themen der Optimierung des Tagesgeschäfts, der Erweiterung des Portfolios, der Personalgewinnung und -bindung sowie der Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu widmen. Daher lautet ein Appell von Michael Müller, den technischen Fortschritt und das sich ändernde Käuferverhalten als Chance zu sehen, um Neues zu konzipieren. Es sollte ruhig Blut bewahrt und die Zeit genutzt werden, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Im Idealfall haben die Logistiker ein „Fettpolster“ für die mageren Wintermonate „angefressen“, um sich jetzt mit Zukunftsthemen auseinandersetzen zu können und nicht ausschließlich mit Vertrieb und Operations. Das macht Unternehmen zukunftssicherer – und dies gilt nicht nur für Logistikdienstleister, sondern auch für Unternehmen aus Industrie und Handel und deren Logistikstrategie.
Auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit, die nach Jahren wieder auf die Agenda der Logistikweisen gekommen ist, kann und sollte die Logistik noch einiges tun. Dabei existieren zahlreiche Möglichkeiten, sich als Teil der Veränderung hin zu einer klimaschonenden Gesellschaft und Wirtschaft zu etablieren – ein Hebel ist neben Energiesparen und Transportoptimierung sicherlich die verstärkte Nutzung der Schiene, was auch das Bundesverkehrsministerium verfolgt, wie u. a. das Handelsblatt berichtet. Dass dafür auch verladende Unternehmen offener sind, bestätigen die Eindrücke von Berit Börke auf der Messe transport logistic in München. Die Logistik in Deutschland hat in der Vergangenheit Flexibilität, Innovationskraft und Kundenorientierung gezeigt. Damit macht sie Deutschland nicht nur zu einem Weltmeister, die Logistik gilt auch als wichtige Säule für einen prosperierenden Wirtschaftsstandort, wenn nicht gar als Wirtschaftsmacher.
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