Im Februar 2023 wurde die Studie „Begegnung von Kapazitätsengpässen im Straßengüterverkehr – Fokus Fahrpersonal“ veröffentlicht, die erstmalig
- den Mangel an Fahrpersonal wissenschaftlich quantifiziert,
- die Ursachen und Wirkungen strukturiert zusammenstellt,
- die daraus entstehenden Kosten für die Logistik und Wirtschaft in Deutschland beziffert sowie
- mögliche Maßnahmen dagegen bewertet.
Die Studie wurde unter der Leitung der Professoren Wolfgang Stölzle von der Logistics Advisory Experts (Spin-off der Universität St. Gallen), Thorsten Schmidt von der Technischen Universität Dresden und Christian Kille vom Institut für Angewandte Logistik der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) initiiert. Die hohe Bedeutung der Thematik wird auch durch die Zusammensetzung des Konsortiums unterstrichen: 16 Unternehmen, 5 Verbände und ein Betreiber einer digitalen Matching-Plattform für Arbeitgeber und gewerbliche Fachkräfte unterstützten die Studie.
Die wichtigsten Studienergebnisse im Überblick:
- Durch den Mangel an Fahrpersonal entstanden im Jahr 2022 zusätzliche Kosten für die deutsche Wirtschaft in Höhe von ca. 10 Mrd. €.
- Im Jahr 2023 fehlen voraussichtlich mehr als 70.000 Lkw-Fahrerinnen bzw. -Fahrer.
- Dafür sind über 40 verschiedene Ursachen direkt und indirekt verantwortlich.
- Eine aktuelle Umfrage zeigt: LKW-Fahrerinnen und -Fahrer sind grundsätzlich mit der Berufswahl zufrieden, jedoch besteht konkreter Verbesserungsbedarf der Rahmenbedingungen.
Das ist die Situationsbeschreibung. Besonders interessant für Unternehmen sind die Ergebnisse zu den möglichen Maßnahmen, um mit dem Engpass umgehen zu können. Generell können diese nach drei Säulen unterschieden werden:
1. Die Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber.
Darunter fallen Maßnahmen, die insbesondere die Wertschätzung der Beschäftigten unterstreichen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung einer dedizierten Stelle zur Unterstützung der angestellten Fachkräfte auch außerhalb des Berufs, bspw. beim Finden von KiTa-Plätzen, Wohnraum etc. Ebenso Gehaltserhöhungen und andere geldwerte Vorteile sowie die Bereitstellung von Sozialräumen, Kantinen oder Fitnessmöglichkeiten erhöhen die Attraktivität eines Unternehmens. Insbesondere letzteres hat einen großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung von Logistikimmobilien. Auch wenn die Investoren der Tatsache zurzeit noch wenig Beachtung schenken, dass die Immobilie auf die Bedürfnisse der Fachkräfte der Logistik ausgerichtet sein sollte, steigen die Anforderungen der Nutzer stetig. Und die Nutzer sind es, die sich mit der Herausforderung des Fachkräftemangels in der Logistik konfrontiert sehen – weniger die Investoren.
Im Idealfall wird diese Attraktivitätssteigerung allgemein wahrgenommen, allerdings steigt durch die indirekte Wirkung damit die Grundgesamtheit der Fachkräfte tendenziell erst mittel- bis langfristig. Zunächst führen diese Maßnahmen dazu, dass bei anderen Unternehmen abgeworben wird. Der Engpass verschiebt sich also und wird nur für das individuelle Unternehmen gelöst.
2. Steigerung der Attraktivität des Berufsfelds.
Dies führt zu einer zweiten Gruppe an Maßnahmen, die das gesamte Berufsfeld der Logistik adressiert und damit neue Beschäftigte von der Wahl eines Logistikberufs überzeugt. Die Defizite in der Logistik, die zu einer geringen Attraktivität für Fachkräfte führen, sind bekannt. So ist das Arbeitsumfeld insbesondere beim Fahrpersonal stetig Thema der Berichterstattung. Hierbei können Unternehmen ihre Wertschätzung für das Berufsfeld nicht nur dadurch zeigen, dass sie die Leistung von externen Partnerunternehmen bspw. durch Bereitstellung von Sozialräumen für wartende Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern anerkennen. Sie können auch durch modernes Recruiting, die Beteiligung an Image-Kampagnen wie „Die Wirtschaftsmacher“ oder besondere Ausbildungsprogramme auf die Logistik als attraktives Berufsumfeld hinweisen.
Hier zeigt sich auch ein wichtiger Stellhebel für die Politik. Mit einer vereinfachten Berufsanerkennung von Fahrpersonal aus Drittstaaten, dem Führerschein mit 17, dem Ausbau von Park- und Rastanlagen wie auch einer staatlich geförderte Image- und Ausbildungsinitiative kann sie dazu beitragen, dass die Gesamtheit an Fachkräften insbesondere beim Fahrpersonal vergrößert wird.
Diese Maßnahmen können dazu führen, dass die Logistik für den Nachwuchs und Fachkräfte aus anderen Branchen interessant und attraktiv wird. Jedoch tritt damit die Logistik mit anderen Branchen und Wirtschaftsbereichen in den Wettbewerb um Nachwuchs und Fachkräfte. Das Hotel- und Gastgewerbe, der Pflegebereich, das Handwerk und viele andere haben die gleichen Herausforderungen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Maßnahmen führt entsprechend potenziell zu einem Defizit in anderen Branchen.
3. Steigerung der Produktivität und Effizienz.
Die dritte Säule an Maßnahmen verspricht Potenziale, bei denen die notwendigen Leistungen mit weniger Personal bewältigt werden können. Die Prozesse in der Logistik weisen zahlreiche Ansatzpunkte auf, an denen durch technische bzw. digitale Lösungen und organisatorische Veränderungen Kapazitäten besser ausgelastet, Wartezeiten reduziert oder Fachkräfte eingespart werden können. So steigern Online-Plattformen die Transparenz, helfen Leerfahrten zu vermeiden und sorgen damit für mehr Effizienz im Straßengüterverkehr. Auch der Paradigmenwechsel einer Integration der Logistik in die Produktionsplanung führt zu einer Prozesskette, die auf Verfügbarkeiten von Kapazitäten und auf die Rahmenbedingungen bei Versender und Empfänger über Unternehmensgrenzen hinweg abgestimmt ist. Insbesondere die Initiativen zur Entwicklung transparenter und digitaler Infrastrukturen können eine Basis für die weitere unternehmensübergreifende Optimierung von Transportnetzwerken bilden. (Einschub: Autonomes Fahren oder additive Fertigungsverfahren wie 3D-Druck werden an dieser Stelle absichtlich nicht genannt, da sie entweder wenig oder erst in ferner Zukunft Wirkung zeigen.)
Bei Umsetzung dieser Maßnahmen entsteht kein Wettbewerb um Fachkräfte. Vielmehr kann die Logistik den Engpass mit eigenen Mitteln lösen. Um dies zu erreichen, bedarf es neben einem hohen Maß an Investitionen auch ein erhöhtes Maß an Kooperation zwischen allen Akteuren in der Logistikkette. Industrie und Handel müssen sich bewusst werden, dass die Logistik ein Leistungsfaktor ist, und dass Logistikunternehmen nur mit der Sicherheit von Partnerschaftsmodellen zu großen Investitionen in Innovation fähig sind. Wiederum liegt es auch bei den Logistikunternehmen, eine Transparenz und damit eine Kooperation mit ihren Marktbegleitern anzustreben, um die Produktivitätssteigerung in Gänze umsetzen zu können.
Viel besser als andere Wirtschaftszweige kann die Logistik dem Fachkräftemangel so begegnen, dass sie Fachkräfte weder bei anderen Unternehmen noch aus anderen Branchen abwerben muss. Sie kann die Herausforderungen mit „eigenen“ Mitteln und Stärken lösen.
Der Artikel ist in ähnlicher Fassung in LogReal.Direkt Ausgabe 3/2023 erschienen.
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