Herausforderungen und Lösungen diesseits und jenseits des Atlantiks
Miteinander voneinander lernen. Gemeinsam gestalten wir die Logistik der Zukunft.
Als langjähriger Partner der Messe München, die vom 8. bis zum 10. November 2022 die Messe transport logistic Americas und air cargo Forum Miami veranstaltete, war die BVL mit einer kleinen Delegation aus Deutschland und Vertretern der USA-Chapter aktiv dabei.
220 Aussteller aus 31 Ländern hatte sich im Miami Beach Convention Center versammelt, rund 5.900 Besucher sind gekommen – trotz „Nicole“, die als tropischer Sturm so manche Reisepläne durcheinander wirbelte.
Die in Deutschland intensiv diskutierte Frage nach den jetzt notwendigen Veränderungen wird in den USA ähnlich beantwortet, wie es jüngst die deutschen Wirtschaftsweisen getan haben: Die Resilienz von Lieferketten durch Diversifizierung erhöhen? Ja! Stärker auf Re- und Nearshoring setzen? Nein – da kürzere Wertschöpfungsketten nicht per se weniger anfällig für Störungen seien! Friendshoring? Auch nicht – da es selbst zwischen strategischen Partnern keine Garantie für fortwährende Verlässlichkeit gebe.
Steve Markham, SVP und Leiter der Nordamerika-Sektion der Körber Supply Chain Consulting ordnete das Geschehene ein: Die Störgrößen für Verlader und Logistik-Dienstleister während der Krisen der letzten zwei Jahre waren vielfältig und komplex – auch in ihrer Kombination und in ihren Wechselwirkungen: Covid-19, die große Resignation, der Arbeitskräftemangel, Behinderungen der Schifffahrt, Containerknappheit, lokale oder regionale Betriebsstillstände, Inflation, Krieg, politische Instabilität, dramatischer Anstieg der Energiepreise, sich ändernde und vielfältige neue Vorschriften zu Themen wie Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit, aber auch Wahlen, politische Veränderungen und Unruhen. Sie hatten verschiedenste Auswirkungen in den globalen, aber auch in den nationalen Wertschöpfungsketten.
Dr. Philip Blumenthal, CTO von ECU360, einer weltweiten Digitalisierungsplattform für globalen Handel, berichtete über eine Umfrage, an der 800 Kunden aus 131 Ländern teilgenommen haben: Die Top-Drei Disruptoren waren und sind die Volatilität der Frachtraten, das Thema Vorhersehbarkeit von Ereignissen und die Verlässlichkeit der Daten. Die Schwankungsbreite, die Dynamik und die Unvorhersehbarkeit steigender und auch sinkender Raten führe zu permanenten Risiko-Bewertungen: Verlader und Logistik-Dienstleister sein zu Spotkäufen und -verkäufen gezwungen – und diese passen nicht immer zur Geschäftsentwicklung.
Die Vorhersehbarkeit logistischer Ereignisse wie das Eintreffen und die Verfügbarkeit von Ware beginnt bei der Sichtbarkeit und der zeitnahen Informationsübermittlung von Statusinformationen: ohne Status keine Perspektive in Lieferketten. Doch wie zuverlässig sind Versand- oder Auftragsstatus-Meldungen? Kann man den Daten vertrauen?
Wie konnten Logistik-Dienstleister trotz aller Widrigkeiten und Unsicherheiten in den letzten zwölf Monaten wachsen? Die Antworten waren ebenso verblüffend wie erwartbar: durch Gewinnung neuer Kunden (27%), durch erhöhte Preise (20%), durch beides (23%), durch neue Routen (15%) und durch neu angebotene Dienstleistungen (7%).
Und was halten die Logistik-Dienstleister für ihre größten Herausforderungen beim zukünftigen Wachstum? Die Containerkosten, die Unvorhersehbarkeit und den Trend, dass Seefrachtführer künftig direkt an Verlader verkaufen.
Welche war die überraschendste Antwort? Dass 87% der befragten Logistik-Dienstleister glauben, die Zukunft des Buchens sei digital, aber immer noch nur 49% ihre Angebote elektronisch übermitteln oder wenigstens per E-Mail buchen. Dabei stehen Tracking-Lösungen, digitale Angebotserstellung und Buchung als Top-Themen auf der Agenda, um die Margen- und Wachstumskrise zu überwinden. 80% der befragten Unternehmen sind überzeugt, dass sie pro Vorgang zwischen 5 und 25 US-$ mehr Marge erzielen könnten, wenn sie ihren Kunden digitale Services anböten.
Was hält Logistik-Dienstleister davon ab, elektronische Lösungen zu implementieren? Die Antworten waren eindeutig: Hohe Kosten für Digitalisierung und das Fehlen der richtigen Partner. Der Expertenrat aus dem BVL Supply Chain Forum kam prompt: „Verstehen Sie den Kundenstamm, wählen Sie nur ein oder zwei der Initiativen aus und diskutieren Sie, wie die Kunden darüber denken.“ Kurz gesagt: „Einfach mal machen“.
Steve Markham unterstrich, dass in den letzten beiden Jahren aus der im Supply Chain Management üblichen Optimierung eine “Optionalisierung” geworden sei. Jeder USA-Logistiker nutze alle nur denkbaren Möglichkeiten, egal ob Re-Sourcing, Near-Sourcing oder Multi-Sourcing. Oftmals erfolge ein Re-Engineering von Produkten und Prozessen. Alles zusammen führe zu Überschussangeboten und Redundanz.
Aus seiner Sicht sei die Sicherstellung der Flexibilität der Arbeitskräfte erstes Gebot. Automatisierung, Digitalisierung und Virtualisierung von Prozessen seien dabei sehr hilfreich. Und ähnlich wie Philip Blumenthal mahnt er den erneuten Fokus auf Daten und Datenqualität an: Prädiktive Analysen, Big Data, IOT, Automatisierung und KI brächten die notwendige Transparenz oder Verifizierung von Informationen.
Eine Lieferketten-FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) und der Aufbau von Fehlermodus-Szenarien seien hilfreich, um mehr Resilienz in Lieferketten zu erreichen. Darüber hinaus bleibe die Frage, welche Verfügbarkeit zu welchen Konditionen realisierbar sei, das normale tägliche Geschäft im Supply Chain Management.
Dann gab es für alle eine Metapher mit auf den Weg. Wer könne sofort die Frage beantworten „Wie kommen Sie nach der Messe nach Hause?“ Weiß jeder sofort, ob der Flug stattfindet oder pünktlich ist? Hier helfe der Blick in die App „Flight aware“. Aber wie ist die Verkehrssituation zum Flughafen? Gibt es Staus, Unfälle, Streiks, Demonstrationen? Da müssen andere Informationssysteme herangezogen werden. Hier gelte wie im Supply Chain Management: Daten und Vorhersagen seien vorhanden, meist sind sie genau, zeitnah oder in Echtzeit vorhanden. Trotzdem ist es kompliziert, denn es ist nicht alles miteinander verbunden. Die Szenarien sind nicht automatisiert und schlimmstenfalls gewinnt der Schnellste und der Langsamste schläft am Flughafen.
Damit schließt sich der Kreis zu den Ausführungen von Philip Blumenthal und zu den „Zehn Erkenntnissen aus Berlin“, die die DVZ als Zusammenfassung des Deutschen Logistik-Kongresses veröffentlicht hat. Die Thematiken diesseits und jenseits des Atlantik seien gleich. Auf beiden Seiten gelten: Erhöhte Anforderungen an Transparenz und Pünktlichkeit, erhöhte Redundanz und Kapazität in den Lieferketten, Beschleunigung der Automatisierung, Digitalisierung und Virtualisierung und Beschleunigung der Planungszyklen. Eine kontinuierliche automatisierte Planung und automatisierte oder unterstützte Reaktionen, wie sie an den Finanzbörsen üblich sind, können Benchmark sein. Die Frage, ob der Markt weiterhin die Risikofreudigen belohne, die ohne Sicherheitsnetze arbeiteten, müsse jeder für sich selbst beantworten.
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