Ein Beitrag von
Wolfgang Kersten
Leiter des Insituts und Unternehmensführung, TU Hamburg, Mitglied Wissenschaftlicher Beirat der BVL
Moritz Petersen
Academic Director of Center for Sustainable Logistics and Supply Chains, Kühne Logistics University
Alle Wirtschaftsbereiche stehen mehr denn je in der Verantwortung ihre Treibhausgasemissionen schnell und umfänglich zu senken. Wie groß der Handlungsdruck ist, wurde erst Ende Februar 2022 erneut unterstrichen: der zweite Teil des vom Weltklimarat veröffentlichten IPCC-Reports ist eine deutliche Warnung vor den katastrophalen Folgen des voranschreitenden Klimawandels. Auch Logistikunternehmen sind aufgerufen ihren Treibhausgasausstoß signifikant zu reduzieren. Ihre Geschäftstätigkeit macht etwa 10% des globalen CO2-Ausstoßes aus (McKinnon, 2018). Der größte Anteil entfällt dabei auf den Straßengüterverkehr. Aufgrund hoher Wachstumsraten und der anhaltenden Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist die Senkung der CO2-Emissionen bzw. die so genannte Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs besonders herausfordernd (Toelke & McKinnon, 2021). Zugleich nimmt die Nachfrage nach nachhaltiger organisierten Transporten rasch zu (Kersten et al., 2020).
Der europäische Markt für Straßengüterverkehr ist mit mehr als 500.000 Akteuren stark fragmentiert und von einem intensiven Preiswettbewerb geprägt. 99 % der Transportdienstleister sind als kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger als 50 Beschäftigten zu klassifizieren (Toelke & McKinnon, 2021). Entsprechend liegt die Verantwortung der transportbedingten CO2-Emissionen zum größten Teil in den Händen vieler kleiner Unternehmen. Der gesamte Straßengüterverkehr macht ca. 6 % der europäischen CO2-Emissionen aus. Als Ergebnis technischer Innovationen sind z.B. schwere LKW auf Deutschlands Straßen in den vergangenen 25 Jahren deutlich effizienter geworden und verursachen rund ein Drittel niedrigere spezifische CO2-Emissionen. Da im gleichen Zeitraum die Transportleistung aber um fast 80 % stieg, ist der CO2-Ausstoß des Straßengüterverkehrs im Ergebnis um mehr als 20% gewachsen (Umweltbundesamt, 2021). Diese Zahlen verdeutlichen exemplarisch, wie groß die Herausforderung ist, die mit dem europäischen Green Deal angestrebte Klimaneutralität bis 2050 und das Zwischenziel einer Reduktion der CO2-Emissionen um 55% bis 2030 zu erreichen (European Commission, 2021). Erschwerend kommt hinzu, dass die Transportleistung weiter wächst: bis 2050 prognostiziert das International Transport Forum der OECD auf globaler Ebene eine Verdreifachung (ITF, 2019).
Um CO2-Emissionen effektiv reduzieren zu können, ist ihre korrekte Erfassung und Zuweisung von entscheidender Wichtigkeit. Verschiedene Studien der letzten Jahre zeigen deutlich auf, dass insbesondere bei KMU erheblicher Nachholbedarf rund um dieses Thema besteht. So geben z.B. in der Studie von Petersen & van Almsick (2022) nur 16% der befragten Transportdienstleister an, den CO2-Ausstoß auf Auftragsebene ausweisen zu können. 55% der Unternehmen führen keinerlei Berechnungen durch. Weiter zeigt sich, dass mit wachsender Größe des Unternehmens auch die Berechnungskompetenzen zunehmen. So weisen nur 9 % der Transportdienstleister mit weniger als 5 Mio. € Jahresumsatz die CO2-Emissionen auftragsbezogen aus, während der Anteil bei den Unternehmen mit mehr als 50 Mio. € Umsatz schon bei 26 % liegt. Außerdem zeigt die Studie auf, dass die Auftraggeber der Transportdienstleistungen heute kaum an CO2-Daten der operativ tätigen Unternehmen interessiert sind. Stattdessen basieren die Emissionsberechnungen der Auftraggeber auf modellierten Standardemissionsfaktoren. Diese Berechnungen können sich von den tatsächlich entstehenden CO2-Emissionen erheblich unterscheiden, z.B. wenn kaum Informationen darüber vorliegen wie der Transport durchgeführt wurde oder ein Transportdienstleister durch organisatorische oder technische Maßnahmen schlicht deutlich klimafreundlicher unterwegs ist als Mitbewerber. Solche relativen Vorteile in Sachen Umweltfreundlichkeit werden durch die Nutzung von Standardemissionsfaktoren verschluckt. Wird Nachhaltigkeit nun zunehmend zum Wettbewerbsfaktor, müssen engagierte KMU ihre Bemühungen nachweisen und weitergeben können.
An diesem Punkt setzt das Forschungsvorhaben „Ganzheitliche Ausweisung der Transportemissionen von KMU“ (GATE) an. Im Rahmen des Vorhabens soll im ersten Schritt genauer untersucht werden, wie KMU in der Transportlogistik heute CO2-Emissionen berechnen und weitergeben und welche Ursachen es für die niedrige Berechnungskompetenz gibt. Aus Perspektive der Versender soll ergänzend analysiert werden, warum CO2-Emissionsdaten von kleinen Dienstleistern heute in der Regel nicht abgefragt werden und welche Informationen regelmäßig in modellierte Werte einfließen. Im dritten Schritt soll ein konsolidiertes Instrumentarium entwickelt werden, welches Methoden und Entscheidungen rund um die Berechnung, Ausweisung und Weitergabe von CO2-Emissionen für KMU greifbar macht und situationsadequat Handlungsempfehlungen gibt. Denn CO2-Emissionen können z.B. auf verschiedenen Aggregationsebenen berechnet und ausgewiesen werden, die unterschiedliche Anforderungen an die Datenverfügbarkeit stellen. Das Instrumentarium wird in einem Handbuch dokumentiert, das KMU für die Relevanz des Themas sensibilisiert und eine unkomplizierte Einarbeitung in die CO2-Emissionsmessung ermöglicht. Die gesammelten Informationen werden während der Projektlaufzeit neben der Veröffentlichung in einem webbasierten Wissenswerkzeug auch in Projektbegleitenden Auschüssen, Vorträgen und Blogbeiträgen präsentiert. Darüber hinaus wird eine Zusammenstellung aller Erkenntnisse nach Projektende als Schlussbericht veröffentlicht. Somit erhalten KMU die Möglichkeit, die Auswirkungen der steigenden Anforderungen an CO2-Emissionsreduzierung und -berichterstattung auf das eigene Geschäft besser einschätzen zu können.
Das Vorhaben wird als Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Logistik und Unternehmensführung (LogU) der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und des Centers for Sustainable Logistics and Supply Chains (CSLS) der Kühne Logistics University (KLU) durchgeführt. Die Kooperation wird durch die Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) ermöglicht, welche das Bindeglied zwischen den Forschungsstellen und der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) darstellt. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
An dieser Stelle werden wir über den Fortgang des Projekts berichten, das auch im Rahmen des Wissenschaftlichen Beirats der BVL besondere Beachtung erfährt.
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