Am 23. September 2022 tagte der Expertenkreis der Logistikweisen, der unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Digitales und Verkehr Oliver Luksic, MdB, die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik prognostiziert. Die Ergebnisse können hier heruntergeladen werden.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Analysen standen zwei große Themen:
- Es wurden zum einen Empfehlungen für Unternehmen entwickelt, wie sie sich vor den Herausforderungen einer drohenden Rezession wappnen können, zum anderen Empfehlungen für die Politik, wie sich der Logistikstandort Deutschland zukunftsfähig aufstellen kann. Die Logistikweisen stammen aus Dienstleistung, Industrie, Handel sowie der Wissenschaft, somit entwickelt der Expertenkreis Lösungen aus erster Hand, immer vor dem Hintergrund praktischer Erfahrungen.
- Eine quantitative Prognose für das laufende Jahr 2022. Die aktuelle Lage macht es aus Sicht des Expertenkreises unmöglich, eine fundierte und nachhaltige Prognose für das kommende Jahr zu erstellen. Trotzdem das Modell der quantitativen Prognose überarbeitet wurde, sind die Aussagen über die Entwicklung im Jahr 2023 zu unsicher. Auf Basis der Erkenntnisse des ersten Quartals 2023 wird sie im Zuge des Frühjahrsgipfels nachgeholt.
Unternehmen spüren Nachfrageunsicherheit, Fachkräftemangel und Kostendruck
Unternehmen müssen sich nach aller Wahrscheinlichkeit auf einen Nachfragerückgang einstellen. Nach Jahren des kontinuierlichen Wachstums, welches nur kurz durch die Corona-Pandemie unterbrochen wurde, stehen erstmals die Zeichen auf Rezession. Es ist nun notwendig, die Kunden stärker einzubinden und eine größere Kundenorientierung anzustreben. Es ist notwendig, die bestehenden Verträge aufgrund der extremen Volatilität neu zu überdenken. Sie benötigen eine größere Flexibilität, die Zusammenarbeit eine bessere Planbarkeit. Auf der einen Seite sind Leistungsversprechen wie JiT konkret abzustimmen, auf der anderen Seite trotzdem eine kundenzentrierte Dienstleistungsgestaltung zu gewährleisten. Dafür sind gewinnbringende und verlässliche Partnerschaften zu bilden, über die die Kräfte gebündelt werden, um die Entscheidungsfähigkeit und -geschwindigkeit erhöhen zu können. Dies ermöglicht eine bessere Reaktion auf dynamische Nachfrageschwankungen. Eine Grundvoraussetzung ist eine bereitwilligere Transparenz. Ein belastbares Forecasting ist nur durch eine Akteurs-übergreifende Transparenz möglich, mit deren Hilfe Produktion, Logistik und Handel miteinander verzahnt werden können.
Trotz des nahenden Nachfragerückgangs haben Unternehmen weiterhin mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Um diesem zu begegnen sind attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. In einem ersten Schritt können Effizienzsteigerungen gehoben werden, z.B. über den optimierten Einsatz des Fahrpersonals durch Umsetzung von Trailer-Konzepten oder zeitlich stärker entkoppelte Ladezeiten. Weiterhin ist es notwendig, durch Taten bzw. Investitionen (Unterstützung bei Unterkunft, Behördengängen, Transport etc.) die Wertschätzung zu zeigen, die den Fachkräften gebührt. Langfristig ist eine beschäftigtenorientierte Personalstrategie notwendig. Es sollten Recruiting-Ansätze ausdifferenziert nach Generationen und Potenzialgruppen wie Quereinsteiger oder ausländische Fachkräfte entwickelt werden, Perspektiven durch Aus- und Weiterbildung geboten und differenzierte Bindungsprogramme eingeführt werden. Dafür ist eine moderne Unternehmenskultur Voraussetzung, die einen Wandel des Führungsverständnisses verfolgt und eine transparente Kommunikation unter Einbindung der Beschäftigten zulässt.
Dies alles wird die Kosten weiter steigen lassen. Deshalb sollte ein gezielteres Kostenbewusstsein bei allen Beschäftigten geweckt werden. Dafür ist eine Einbindung der Belegschaft in Unternehmens- und Kostenentwicklung mit offener und transparenter Kommunikation zur Förderung des Bewusstseins notwendig. Auch können sie für die Lösungsfindung bspw. über Ideenbörsen einbezogen werden. Ein weiterer wichtiger Schritt ist eine intensivierte Flexibilisierung. Die größten Kostentreiber sind zu identifizieren und die damit zusammenhängende Maßnahmenszenarien und Pläne zu entwickeln. Insbesondere die Möglichkeit von Home Office und die damit zusammenhängende Reduzierung der Büroflächen kann dabei unterstützen. Vor Investitionen sollte trotzdem nicht zurückgeschreckt werden, sofern sie produktivitätssteigernd wirken. Insbesondere Geld in Automatisierung, Digitalisierung, Energiesparmaßnahmen und Personal ist gut investiert. Dabei ist nüchtern vorzugehen und Entscheidungen zu entemotionalisieren.
Von der Politik werden gezieltere, schnellere und qualifiziertere Entscheidungen und Maßnahmen erwartet
Einer der wichtigsten Punkte im Koalitionsvertrag ist die Beschleunigung der Prozesse bei Genehmigung und Planung. Dies kann nur unterstrichen werden. Eine mögliche Maßnahme ist es, Entscheidungen über Genehmigungen von Gerichten auf Parlamente zurück zu verlagern. Weitere Hebel sind die Erhöhung der Planungskapazitäten auf allen Ebenen und ebenso die vernetzte Planung von Straße und Schiene. Auch die Umsetzung von Infrastrukturprojekten kann bspw. durch einen durchgängigen Zweischichtbetrieb, den schnelleren Aufbau von Lade-Infrastruktur für E- und H2-Fahrzeuge in Kooperation mit privaten Unternehmen und ein intelligentes Baustellenmanagement realisiert werden. Dabei darf die Bevölkerung nicht vergessen werden, die für Infrastrukturprojekte informiert werden muss und bestenfalls „begeistert“ werden sollte. Dafür ist eine positive Stimmung für Investitionen in Infrastruktur anzustreben, das bspw. über Leitfäden für Kommunen unterstützt werden kann.
Damit Unternehmen Vertrauen in den Logistikstandort Deutschland haben, ist ein verlässliche Strategie notwendig. Dabei sollte erkannt werden, dass die Wirtschaftspolitik aktiv gestaltet wird und konsequentere, durchdachtere, verlässlichere Entscheidungen getroffen werden, um auch in schwierigen Zeiten Unternehmen zu Investitionen zu ermutigen. Eine langfristige Planungssicherheit insbesondere auf dem Weg zu alternativen Antrieben im Güterverkehr sollte durch eine gezielte Vorgehensweise bei der kontinuierlichen Schaffung und Gewährleistung von Lademöglichkeiten gezeigt. Auch benötigen die einzelnen Akteure in der Logistik konkrete und differenzierte Formulierungen der Anforderungen des Lieferkettengesetzes, damit sich auch kleine und mittlere Unternehmen gezielt und ohne Fehlentscheidungen darauf einstellen können, die aktuell viele Herausforderungen zu meistern haben. Mit transparenteren Entscheidungen sollte die Politik nachvollziehbar gemacht werden. Dafür ist auch eine Stärkung der spezifischen Logistik-Kompetenz im Wirtschaftsministerium notwendig, um die Abstimmung zwischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium zu optimieren und diese Prozesse zu vereinfachen. Jede politische Entscheidung sollte Unternehmens- und insbesondere KMU-orientiert sein. Dieser allgemein und offensichtlich erscheinende Punkt ist genauso permanent zu wiederholen, wie in Unternehmen der der Kundenorientierung. Die Energiesicherheit in der Logistik muss aufgrund der Systemrelevanz gewährleisten werden. Insbesondere die zahlreichen KMU bedürfen einer zielgerichteten Förderung. Diese verstärkte Unterstützung systemrelevanter Unternehmen sollte insbesondere die Förderung der Modernisierung von bestehenden Logistikimmobilien und Fahrzeugen beinhalten. Weiterhin ist eine auf die Anforderung der Logistik angepasste Fachkräftegewinnung anzustreben. Dabei sollten konkrete Maßnahmen angegangen werden, die ergebnisoffen alle Hebel bedienen und auch eine gezielte Zuwanderung in Form eines Einwanderungsgesetzes einbeziehen sollten.
Herausforderung einer quantitativen Prognose in unsicheren Zeiten
Die Methodik und das Modell der Prognose wurden auf die aktuellen Rahmenbedingungen angepasst und überarbeitet (die ausführliche Beschreibung erfolgt nach der Validierung der Ergebnisse für das Jahr 2022 mit der Veröffentlichung des Berichts zum Jahr 2023 im ersten Quartal 2023. Das Modell wurde zunächst mit Prognosen, Entwicklungen und Einschätzungen über Desk Research und Praxisgespräche zu den notwendigen Inputfaktoren gefüllt. Dabei wurden wie bisher die minimale und die maximale Entwicklung für einen Prognosekorridor verwendet. Datenlücken wurden mit Ableitung von Analogien und Schätzungen geschlossen. Die Eingabe der Einzeldaten in das Prognosemodell ergab einen Korridor auf Basis der Inputfaktoren. Das Ergebnis wurde als Grundlage für die Expertendiskussion genutzt. Im Zuge der Expertendiskussion in Fachgruppen wurden die Inputfaktoren diskutiert und interpretiert, um zu einer plausiblen und praxisnahen Prognose der Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik zu gelangen.
Der Wirtschaftsbereich Logistik spürt die drohende Rezession und aktuelle Inflation deutlich.
Das Ergebnis zeigt, wie schwierig sich eine Prognose in den aktuellen Zeiten gestaltet. Durch steigende Kosten und Preise wächst die Logistik in 2022 zwar um nominal +8,5 %, dies aber bei geringer realer Steigerung von +0,6 %. Eine solche Abkopplung von nominaler und realer Entwicklung hat sich bereits vor Ausbruch des Ukrainekriegs gezeigt. Bereits vor einem Jahr hat der Expertenkreis eine überdurchschnittlich hohe Inflation vorhergesehen, ohne dass mit einer Explosion der Energiepreise gerechnet werden konnte.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage verändern wird und ob die Prognosen der Wirtschaftsinstitute sich bewahrheiten. Derzeit ist die Nebelwand noch sehr dicht, die Prognosen werden kontinuierlich nach unten korrigiert. Erste Klärung verspricht das erste Quartal 2023, wenn die Wirkung der politischen Maßnahmen bewertet werden können.
Zielsetzung der Initiative zur Prognose der Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik
Die Initiative „Gipfel der Logistikweisen“ verfolgt das Ziel, die Entwicklung der Logistik für das jeweilige Folgejahr zu prognostizieren, um den Wirtschaftsbereich Logistik mit Prognosen anderer Branchen und Wirtschaftsbereiche vergleichen zu können. Dies soll dazu beitragen, dass die Diskussion über die Logistik und ihre Leistung für die Volkswirtschaft weiter professionalisiert, Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik eine Vorstellung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Logistik gegeben sowie eine breite Öffentlichkeit über die Leistungsfähigkeit der Logistik informiert wird. Dabei wird auf Basis analytisch entwickelter Prognosen unter Einbezug von Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen von moderierten Diskussionen auf Gipfeltreffen mittels fundierter Methoden eine Aussage über die Entwicklung der Logistik für das Folgejahr generiert.
Die Schirmherrschaft hat Oliver Luksic, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr sowie Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik.
Präambel der Initiative
Es finden zwei Gipfeltreffen pro Jahr statt. Die jeweiligen Ergebnisse, die Methodik und Fachartikel zu Schwerpunktthemen sind in einer Zusammenfassung auf unserer Internetseite www.logistikweisen.de kostenlos zugänglich und werden über den Medienpartner DVZ sowie weitere Presseorgane veröffentlicht. Die einzelnen Aufsätze werden durch Mitglieder des Expertenkreises verfasst. Damit wird gewährleistet, dass Wissenschaft und Praxis in einem ausgewogenen Maße zu Wort kommen und damit die Vielfalt des Wirtschaftsbereichs Logistik hinsichtlich ihrer Akteure widerspiegeln.
Bei der Auswahl der Mitglieder des Expertenkreises werden folgende Kriterien angewendet:
- Logistikbereich: Die Besetzung der einzelnen Logistikbereiche steht an erster Stelle bei der Nominierung des Expertenkreises. Für jeden dieser Bereiche werden einzelne Personen gesucht, die potenziell geeignet erscheinen.
- Position: Angesprochen werden ausschließlich Vorstände, Geschäftsführer oder Bereichsleiter. Im Mittelpunkt steht dabei die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der strategischen Logistikplanung im Unternehmen.
- Renommee: Eine besondere Leistung oder Kompetenz auf dem Gebiet der Logistik sollte nachweisbar sein.
- Demografie: Angestrebt wird eine gesunde Mischung aus „jung“ und „erfahren“ sowie „weiblich“ und „männlich“.
Die Mitglieder werden aus dem Expertenkreis vorgeschlagen, bedürfen ausreichender Empfehlung und werden durch die Initiatoren angesprochen. Von den in den Kreis aufgenommenen Expertinnen und Experten wird eine aktive Beteiligung in Form von Teilnahme an den Treffen und inhaltlichen Vor- bzw. Nachbereitungen erwartet.
Die Zusammensetzung des Expertenkreises kann aufgrund verschiedener Umstände angepasst werden. Eine Nominierung gilt nur für den aktuellen Turnus, d.h. für den Frühjahrs- und Herbstgipfel eines Kalenderjahres. Die Entsendung eines Vertreters ist nicht zugelassen.
Die Initiative zur Prognose der Entwicklung des Logistikstandortes Deutschland und der „Gipfel der Logistikweisen“ wurden von Christian Kille und Markus Meißner initiiert und am 23. August 2013 gegründet.
Aktuelle Zusammensetzung des Expertenkreises (Stand September 2022)
- Berit Börke, PARTNER FOR PIONEERS GmbH
- Ralf Busche, BASF AG
- Dr. Andreas Froschmayer, DACHSER SE
- Gerd Hailfinger, Geberit AG
- Gerritt Höppner-Tietz, hagebau Logistik GmbH & Co. KG
- Dr. Christian Jacobi, agiplan GmbH
- Prof. Dr. Christian Kille, FHWS
- Matthias Klug, STILL GmbH
- Wolfgang Lehmacher
- Antje Lochmann, GEODIS FF Germany GmbH & Co KG
- Markus Meißner, AEB SE
- Michael Müller, Müller – die lila Logistik AG
- Prof. Dr. Alexander Nehm, DHBW Mannheim
- Karsten Obert, Rhenus SE & Co. KG
- Dr. Torsten Rudolph, Rudolph Logistik Gruppe GmbH
- Prof. Dr. Thorsten Schmidt, TU Dresden
- Marc Schmitt, Fr. Meyer’s Sohn (GmbH & Co) KG
- Arnold Schroven, Schroven Consulting GmbH
- Dr. Martin Schwemmer, BVL e.V.
- Dr. Stefan Schwinning, Miele & Cie
- Harry Seifert, Seifert Logistics GmbH
- Lars Siebel, REWE Group
- Prof. Dr. Michael Sternbeck, dm – drogerie markt GmbH
- Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Universität St. Gallen
- Jens Wagener, Commerzbank AG
- Dr. Steffen Wagner, KPMG AG
- Jürgen Wels, Porsche Logistik Gesellschaft (PLoG)
- Kerstin Wendt-Heinrich, TOP Mehrwert-Logistik GmbH & Co. KG
- Patrick Wiedemann, Reverse Logistics Group
- Prof. Dr. Peer Witten, Otto Group
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