Das Teilsegment der Logistik mit dem größten Wachstum ist unbestritten der Paketmarkt. Seit 2015 wachsen die Mengen besonders dynamisch. War davor hauptsächlich B2B der Wachstumstreiber bei den Mengen, ist es heute B2C. So wuchs die B2C-Paketzahl gemäß der BIEK-Studie in 2017 um fast 10 Prozent, demgegenüber die B2B-Mengen nur um gut 1 Prozent. Auch in den nächsten Jahren wird sich daran wenig ändern, wenngleich die Prognosen für B2C mit knapp 6 Prozent etwas geringer ausfallen.
Der Umsatz der KEP-Unternehmen kann mit dieser Entwicklung nicht mithalten. Kontinuierlich reduziert sich der Erlös pro Paket. Lag er laut der BIEK-Studie 2007 noch bei 6,22€, wurden 2017 nur noch 5,78€ pro Paket eingenommen. Woher rührt dies?
Gründe für den Preisverfall
Ein gern genannter Grund ist der harte Wettbewerb zwischen den Playern. Da das Wachstum im B2C stattfindet, müssen sich DHL und Hermes auf den Wettbewerb durch UPS, DPD und GLS einstellen. Ein weiterer Grund ist der Struktureffekt, da B2C-Pakete geringere Erlöse abwerfen. Warum ist das so?
Erklärt wird es mit den Mengenrabatten: Der bezahlende Kunde (in dem Fall das Handelsunternehmen, insbesondere die großen E-Commerce-Unternehmen) übergibt eine große Zahl an Paketen und erhält einen Mengenrabatt. Im Gegensatz dazu prägt den B2B-KEP-Markt eher die mittelständische Unternehmenslandschaft mit weniger Paketen pro Versender, womit die Kosten pro Paket für den Versender höher liegen als im B2C.
Das ist die eine Seite – die Versandseite. Soweit, so verständlich, denn wer zahlt, der kann die Preise verhandeln.
Wer zahlt?
Nun erfolgt die Auslieferung im B2C an sehr viele einzelne Empfänger – pointiert ausgesprochen geht jeweils ein Paket an eine Adresse. Noch ist es so, dass Privatempfänger pro Tag tendenziell eher ein oder kein Paket zugestellt bekommen. Damit wird auf der First Mile gebündelt, und auf der Last Mile in maximaler Form entbündelt (von einem Versender zu einer großen Zahl an Empfängern).
Bekanntlich ist die Letzte Meile mit 50% und mehr Kostenanteil an der gesamten Prozesskette der Paketauslieferung der teuerste Prozessschritt, da mit kleinen Fahrzeugen und zahlreichen Stopps wenige Pakete pro Fahrerschicht verteilt werden können. Es werden damit tendenziell mehr Kapazitäten, also Fahrer und Fahrzeuge pro zusätzliches Paket im B2C benötigt, als dies im B2B mit der potenziell höheren Bündelung der Fall ist. Trotzdem fällt der Erlös pro Paket. Bekanntlich zahlt auch nicht der Empfänger, der schlussendliche Verursacher dieser Entbündelung ist, für die Auslieferung (eine kostenlose Lieferung wird vom Endkunden fast erwartet), sondern der Versender.
Den Effekt des höheren Bedarfs an Kapazitäten spüren wir an Weihnachten: Pakete kommen später oder gar verspätet an, da sie nicht mehr ausgeliefert werden können. Davon gehen 84% der vom Händlerbund befragten Teilnehmer der „Weihnachtsstudie 2018“ aus. Im Jahre 2017 waren es gerade die Hälfte, 2016 nur gut ein Drittel. Dies mag auch an den Sortierkapazitäten liegen, der Hauptgrund findet sich jedoch auf der Last Mile.
Marktmacht und Gewohnheit
Der offensichtlichste Grund liegt in den fehlenden Fachkräften für die Paketauslieferung, wie auch in einem anderen Beitrag hier auf dem BVL-Blog beschrieben. Während im Fernverkehr das Fahrerproblem weitestgehend durch unternehmensinterne Maßnahmen in den Griff zu bekommen ist, ist dies im Nahverkehr weniger leicht möglich – wie im letzten Blog der Logistikweisen beschrieben. Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind neben dem Image sicherlich die wichtigsten Gründe. KEP-Unternehmen werden in die Zange genommen und sind Opfer ihres Erfolgs: Weder die Versender, insbesondere die großen (wegen ihrer Marktmacht), noch die Empfänger (wegen der Gewohnheit) sind bereit, mehr oder überhaupt etwas für die Verteilung der Pakete zu bezahlen. Auch wenn die Paketdienste (zuletzt DPD und Hermes, wie das Handelsblatt berichtete) höhere Preise ankündigen – die Frage bleibt, ob sie sich gegen die Einkaufsmacht der großen Online-Konzerne diese durchsetzen können.
Erfolgsfaktor Urbane Logistik
Ein weiterer Grund für Beeinträchtigungen liegt darin, dass die (KEP-)Logistik im Stau steht (so die Logistikweisen in ihren Thesen zum Logistikjahr 2019, nachzulesen in dem erwähnten Blog), wie alle anderen Verkehrsteilnehmer auch, und dabei Zeit in der Auslieferung verliert. Eine staufreie Auslieferung (plus eine effiziente Übergabe an den Empfänger) könnten sicherlich die Effizienz deutlich steigern, so dass weniger Fahrerkapazitäten benötigt würden. Die Idee der Packstation von DHL adressiert bekanntlich nichts anderes: Bündelung der Ablieferpunkte mit garantierter Abgabe der Pakete an oftmals gut erreichbaren Orten.
Auch wenn der Anteil des KEP-Verkehrs am gesamten Wirtschaftsverkehr je nach Erhebung und Stadt nur zehn bis 20 Prozent beträgt (der Großteil sind mit zwischen 30 und 40 Prozent Handwerker und Techniker) und unter Einbezug der PKW weit unter fünf Prozent läge, werden zahlreiche Projekte initiiert, um dieses Problem zu lösen. Die Logistik lehnt sich nicht zurück und argumentiert mit ihrem geringen Anteil („es sollen zunächst die anderen Verkehrsteilnehmer etwas tun“), sondern packt an. Das Bundesumweltministerium hat dafür einen Wettbewerb ausgeschrieben und kürzlich die Preisträger prämiert.
Innovative Insellösungen
Was hierbei auffällt, sind die vielen kleinen Projekte. Aktuell ist also eine enorme Innovationskraft in der Urban Logistics vorzufinden. Man kann auch sagen: Die Logistik für Städte ist ein wichtiger Innovationstreiber in der gesamten Logistik, der auch hilft, das Image der Logistik deutlich zu verbessern.
Doch es fällt noch etwas Zweites auf: es sind in den meisten Fällen Insellösungen. Dies offenbaren die Projekte, die beim Bundeswettbewerb „Nachhaltige Urbane Logistik“ des Bundesumweltministeriums eingereicht wurden. Eine abgestimmte Strategie auf Landes- oder gar Bundesebene ist nicht zu erkennen. Auch entwickeln viele Unternehmen und Startups ihre Lösungen isoliert von manch anderen Stakeholdern der urbanen Logistik (ein interessanter Aufsatz von Dr. Christian Jacobi und Frederik Betsch wurde im aktuellen Ergebnisbericht der Logistikweisen für das Jahr 2018 veröffentlicht, zu finden unter S. 71ff.). Der Erfolg liegt demnach in der Kooperation aller Beteiligten, nicht nur der Logistik und insbesondere der KEP-Unternehmen, sondern auch der Bürger und der öffentlichen Verwaltung. Ein Silo-Denken bringt keine nachhaltigen Lösungen. Dazu gehört auch die Kollaboration (oder anders ausgedrückt: die Zusammenarbeit mit dem Feind bzw. Wettbewerber).
Kleine Ideen zu großen zusammenführen
Hier liegt auch die Schwierigkeit – wie können die zahlreichen Aktivitäten von Bund, Land, Kommunen und Unternehmen zu orchestrierten Gesamtkonzepten zusammengebracht werden? Oder anders ausgedrückt (frei nach dem Bestseller von Christian Gansch): wie kann aus den vielen Solisten eine Symphonie gespielt von einem harmonisch zusammenarbeitenden Orchester entstehen? Sicherlich ist die Koordination über die Wettbewerbs- bzw. Stadt-, Landes- und Bundesgrenzen hinweg notwendig. Eine erste Lösung ist eine Plattform aufzubauen, die die Projekte unter dem Dach der Bundesregierung vereint (ähnlich wie bei der Plattform Industrie 4.0) und den Austausch der einzelnen Beteiligten moderiert.
Damit kann es möglich werden, dass kleine Ideen größer und erfolgreicher werden, da sie „Economies of Scale“ erreichen. Denn wenn die Umsetzung auf eine Kommune beschränkt wird und evtl. auch noch mehrere ähnliche Lösungen in anderen Städten umgesetzt werden, können die kleinen Lösungen an der Wirtschaftlichkeit scheitern. Dabei soll nicht der Wettbewerb beschränkt werden. Es soll dabei geholfen werden, die aussichtsreichste Lösung zur kritischen Masse zu entwickeln.
Gleichwertige Lebensverhältnisse sicherstellen
Abschließend sollte dabei nicht vergessen werden, dass es Städte und Kommunen gibt, die weniger Finanzkraft besitzen und damit weniger Mittel für Experimente haben. Und es sollte auch nicht vergessen werden, dass Lösungen für das ländliche Gebiet entwickelt werden müssen, um „gleichwertige Lebensverhältnisse“ gemäß Artikel 72 des Grundgesetzes zu gewährleisten. Dies verfolgt bspw. das Modellvorhaben „Langfristige Sicherung von Versorgung und Mobilität in ländlichen Räumen“ (siehe http://www.modellvorhaben-versorgung-mobilitaet.de/), bei dem auch das Institut für Angewandte Logistik der FHWS unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Müller-Steinfahrt in der Modellregion Landkreis Bad Kissingen und Landkreis Rhön-Grabfeld Vorschläge zur Versorgung und Mobilität erarbeitet hat.
Guter Artikel