Die Gesamtkosten der Lieferkette im Blick zu behalten und wirksam zu optimieren, ist eine der größten Herausforderungen im Supply Chain Management. In einer Studie von Emporias gibt jeder dritte Entscheider aus großen Industrieunternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 500 Millionen Euro an, die Gesamtkosten in seinem Betrieb nicht vollständig transparent ausweisen zu können. Jeder fünfte Befragte sagt sogar, dass in keinem einzigen Bereich seiner Lieferkette eine gute Kostenübersicht besteht. Ohne valide Kostenübersicht ist jedoch keine Bewertung und Optimierung der Effizienz möglich, denn es fehlen die wirklich relevanten Kennzahlen für die Steuerung
Das Problem: Versteckte Kosten und Zusammenhänge
Einsparpotenziale, die bestehende Controllingsysteme oder Excel-Berechnungen nahelegen, entpuppen sich nach der Umsetzung häufig als „Mogelpackungen“, wie Teilnehmer des von Emporias im Oktober durchgeführten Logistik-Expertenworkshops berichten. Das bedeutet: Kosten, die an einer Stelle eingespart werden – zum Beispiel beim Einkaufspreis – verursachen an anderer Stelle wieder höhere Kosten – etwa durch hohe Aufwände beim Lieferantenmanagement, Störkosten oder kostspielige notwendige Sondertransporte aufgrund mangelnder Termintreue des Lieferanten.
Die komplexen Liefernetzwerke machen produzierenden Unternehmen das Controlling im Vergleich zu anderen Branchen besonders schwer. Dazu kommen Interessengegensätze der involvierten Abteilungen. Während der Einkauf auf besonders günstige Teilepreise abzielt, ist für die Logistik die Lieferantenzuverlässigkeit das wichtigste Kriterium. Jede Abteilung erfasst Kosten und Aufwände zudem unterschiedlich. Viele Industrieunternehmen bestehen außerdem aus einer Vielzahl nationaler und internationaler Einzelunternehmen. Das Ergebnis sind in vielen Fällen intransparente, heterogene Kostendaten, die kein Gesamtbild ergeben und auch keine übergreifenden Kostenzusammenhänge. Auch im Emporias-Expertenworkshop berichten einige Teilnehmer über das Phänomen, dass errechnete Gesamtkosten nicht mit den realen Logistikkosten übereinstimmen.
Die Lösung: Der „Total Cost of Supply Chain“-Ansatz
Immer mehr Industrieunternehmen gehen aufgrund dieser Problematik dazu über, die Kosten ihrer Lieferkette mit einem Gesamtkostenansatz zu messen, bei dem alle zur Lieferkette gehörenden Kosten und Aufwände inklusiver indirekter Kosten einberechnet werden – dem „Total Cost of Supply Chain“-Ansatz, kurz „TCSC“. Während die einen Unternehmen diese Gesamtkosten auf Produkte herunterbrechen, legen die anderen den Fokus auf Prozesskosten. Versuche, sowohl Produkt- als auch Prozesskosten abzubilden, scheitern häufig an fehlenden Modellen. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass für viele Unternehmen weitere individuelle Kostenaspekte beziehungsweise Qualitätskennzahlen wichtig sind, die in bisherigen TCSC-Modellen nicht berücksichtigt werden können. Emporias hat daher für seine Kunden ein TCSC-Modell entwickelt, bei dem die Gesamtkosten auf Basis realer Kostenstellen-Buchungen erfasst und sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene ausgewiesen werden können. Darüber hinaus können flexibel weitere individuelle Kennzahlen ins Kostenmodell integriert werden. Empfehlenswert ist außerdem, nicht nur Einkaufspreise, sondern auch externe Kosten in die Analyse einzubeziehen. Somit kann die Kostenrechnung auch als Entscheidungshilfe für „Make-or-Buy“ verwendet werden.
Die Kür: Dynamisches BI Tool mit Vorhersage-Funktion
Modernes Controlling erfolgt aus gutem Grund technologiegestützt. Business-Intelligence-Systeme ermöglichen es, große Datenmengen auch aus heterogenen Quellen weitgehend tagesaktuell auszuwerten. Der Status Quo sowie relevante Zusammenhänge werden in übersichtlichen Online-Dashboards dargestellt, die den Verantwortlichen Stellschrauben für Verbesserungen aufzeigen. Ein TCSC-Modell sollte optimalerweise in genau so ein BI Tool überführt werden. Der Vorteil: Es lassen sich ad-hoc die Auswirkungen veränderter Parameter simulieren. So wird bei vermeintlichen Einsparmaßnahmen sofort sichtbar, was sich dabei an der Gesamtkostenstruktur verändert – zum Beispiel bei der Verlagerung eines bisher lokalen Lieferanten nach China, bei der die Einsparungen bei den Einkaufspreisen die gesamten Logistik- und Steuerungskosten überkompensieren müssen. Emporias hat sein TCSC-Kostenmodell daher in ein eigens entwickeltes Business Intelligence System überführt. Mit dem „TCSC-Cockpit“ sind genau diese Simulationen möglich.
Wie Studien des Lehrstuhls für Fördertechnik Materialfluss Logistik von Professor Johannes Fottner an der TU München belegen, wird der Beschaffungsmarkt zunehmend dynamischer und erfordert eine höhere Flexibilität der Lieferkette. „Kundenanforderungen werden immer individueller und ändern sich kurzfristig. Die Supply Chain muss laufend an diese Veränderungen angepasst werden, noch bevor Kostendruck oder Engpässe entstehen“, so Fottner. Auch andere kurzfristige Marktveränderungen wie veränderte Rohstoffpreise, Wettbewerberfusionen bis hin zu Strafzöllen aufgrund politischer Entwicklungen machen dem produzierenden Gewerbe verstärkt zu schaffen.
Eine profunde Gesamtkostenrechnung für die Supply Chain, verbunden mit Business Intelligence, ermöglicht den Verantwortlichen, die Lieferkette laufend auf veränderte Marktbedingungen hin zu optimieren – und das nicht nur unter Kostengesichtspunkten. Sie unterstützt bei der Optimierung des Lieferantennetzwerks, der Ausnutzung von Lagerflächen, der effizienten Ressourcennutzung, Steigerung von Umschlagraten, Personal-Einsatzplanung und kann als Frühwarnsystem fürs Risikomanagement genutzt werden. Ein individuell aufgesetztes, technologiegestütztes TCSC-Kostenmodell wird so zum maßgeblichen Steuerungsinstrument in der Logistik.
Hallo Herr Dr. Ohlen,
vielen Dank für das Teilen des sehr interessanten Artikels.
Ich bin aktuell dabei meine Bachelorarbeit in einem Unternehmen zu schreiben wo es darum geht, die Logistikkosten einer Baureihe transparenter auszuweisen. Der “total cost of supply chain” – Ansatz wäre dazu ein sehr passendes Thema, was ich sehr gut verknüpfen kann.
Können Sie mir sagen, ob es zu diesem Thema bereits interessante Literatur gibt?
Beste Grüße
Paul-Christoph Kühn
Hallo Herr Kühn,
vielen Dank für Ihre Frage.
Wie sie ja gelesen haben, sind wir gerade dabei das Thema Total Cost of Supply Chain zusammen mit der TU München zu erforschen und entwickeln. Daher gibt es zu unserem spezifischen Ansatz noch keine Literatur / Ergebnispräsentation.
Allgemein zum Thema Total Cost gibt es sehr viel Literatur, auf welche Sie sicher auch schon gestoßen sind.
Ich glaube, dass für Ihr Thema ein Total Cost Ansatz sinnvoll ist. Wir beobachten zur Zeit bei unseren Kunden ein Umdenken, weg von einem Prozesskostenansatz und hin zu einem Total Cost Ansatz, was auch die ersten Ergebnisse aus unserer Zusammenarbeit mit der TUM untermauern. Bei einer ‘bottom-up’-Prozessrechnung haben Sie das Risiko, dass wichtige Kosten in der Rechnung nicht berücksichtigt werden, da es viele Kosten gibt, welche nicht direkt den Prozessen zugeordnet werden können. Bei dem Total Cost Ansatz werden alle auszahlungswirksamen Kosten für die Teilbereiche der Supply Chain, welche berücksichtigt werden sollen, ermittelt und ‘top-down’ verursachungsgerecht den einzelnen Materialien (oder Materialgruppen / Baureihen) zugeordnet.
Dadurch haben sie die Logistikkosten für jedes Material in den einzelnen Supply Chain Bereichen – ohne das Risiko, Kosten nicht berücksichtigt zu haben.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen hier weiterhelfen. Viel Erfolg mit Ihrer Bachelorarbeit!
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Ohlen