Traditionell im Herbst veröffentlicht der Expertenkreis der Initiative „Prognose zur Entwicklung der Logistik in Deutschland“ unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Steffen Bilger eine Einschätzung für das folgende Jahr – in diesem Fall 2022. Kurz zusammengefasst erwarten wir für den Wirtschaftsbereich Logistik im Jahr 2022 ein Wachstum von fast 6% nominal bzw. max. 3% real aufgrund der Erholungen im Privatkonsum und bei Investitionen sowie durch Auflösen der Beschaffungsengpässe. Das Wachstum ist aber auch maßgeblich durch deutliche Kostensteigerungen geprägt. Neben höherer Nachfrage und mehr Servicebedarf muss in 2022 entsprechend mit deutlich höheren monetären Belastungen für die gleiche Leistung gerechnet werden.
In 2022 sollte weiterhin an Zukunftsprojekten gearbeitet werden: Nur mit schnelleren Prozessen aller Akteure insbesondere seitens der öffentlichen Hand und höherer Wettbewerbsfähigkeit durch gesteigerte Kompetenz kann sich der Wirtschaftsbereich Logistik gemeinsam und kooperativ zukunftssicher positionieren und den Weg zur Klimaneutralität weltmeisterlich beschreiten. Dafür sind Beschleunigung, Unterstützung und Planungssicherheit seitens der Politik sowie Perspektivwechsel, Innovationen und Risiko-Management seitens der Wirtschaft notwendig.
Hintergründe
Lassen Sie uns nun ins Detail gehen:
Zu den Faktoren, die das reale Wachstum begründen, zählt, dass die Logistik für die Automobilindustrie und für Industriegüter eine größere Nachfrage erfahren wird, nachdem sich die Fesseln der Rohstoff- und Komponentenengpässe im Laufe des Jahres 2022 lösen. Bis dahin legen Industrie und Handel weiterhin hohe Sicherheitsbestände an. Daneben profitiert die Logistik durch das Nachholen insbesondere von Privatinvestitionen in Gebrauchsgüter. Auch die Leistungsansprüche an die Logistik wirken sich positiv auf die Entwicklung aus. So werden Schnelligkeit, Flexibilität und Kleinteiligkeit – bekannt aus dem B2C-E-Commerce – nun merklich auf den B2B-Markt übertragen. Dies spürt ebenso die Konsumgüterlogistik, die bspw. durch Ultrafrische, Essenslieferdienste oder Quick Commerce kontinuierlich komplexer wird, wenngleich noch auf niedrigem Niveau.
Die Wachstumstreiber des BIP sind die Branchen, die in der Coronakrise Einbrüche erlebt haben. Die Logistik ist nach den aktuellen Informationen davon weniger betroffen gewesen, weswegen auch die reale Prognose für 2022 relativ gesehen gering erscheint.
Das nominale Wachstum ist ungleich höher, was durch deutliche Kostensteigerungen begründet ist. Insbesondere die Engpässe bei Transportkapazitäten, der Fachkräftemangel und die hohen Baukosten führen zu höheren Ausgaben bei Unternehmen für die gleiche Leistung. Auch die IT-Ausgaben werden weiterhin mit hoher Rate steigen, um die Digitalisierung voranzubringen. Diese schlagen zu einem niedrigen Anteil zu Buche und werden tendenziell zu Kosteneinsparungen führen. Zudem werden in 2022 die zunehmenden Kosten für die Energiewende zu spüren sein. Hierbei wird der Weg zur Klimaneutralität im Segment der Konsumgüter deutlich schneller beschritten, als in den anderen Segmente, die aufgrund der Planungsunsicherheit hinsichtlich der „richtigen“ Technologien etwas verzögert folgen.
Prämissen für ein positives Bild So erwartet der Expertenkreis als Folge in 2022 ein nominales Wachstum von 5,2 bis 5,8 Prozent bzw. von 2,1 bis 3,0 Prozent real im Wirtschaftsbereich Logistik. Im Vergleich dazu prognostiziert der Sachverständigenrat in seinem Herbstgutachten aktuell ein reales Wachstum von 4,0% für das BIP in 2022. Aufgrund der immer noch hohen Dynamik, die durch die deutlichen Anpassungen der Prognosen der Wirtschaftsinstitute für das BIP in 2021 unterstrichen werden, veröffentlicht der Expertenkreis einen Korridor seiner Einschätzungen, auch, um eine Scheingenauigkeit zu vermeiden.
Auch wenn der Korridor eine gewisse Unsicherheit widerspiegelt, wurden noch weitere Prämissen für das positive Bild aufgestellt:
- So wird sich aus unserer Sicht der Engpass auf der Beschaffungsseite bei den aktuell kritischen Komponenten im Laufe des Jahres 2022 auflösen, was zu einer deutlich erhöhten Logistiknachfrage bei Automobilen und Industriegütern führt.
- Auch werden in 2022 die Investitionslücken, die sich im Zeitraum der Coronakrise ergeben haben, weiter geschlossen.
- Die Pandemie wird in 2022 keine prägende Rolle mehr spielen, was auch zu einem Konsumboom führen wird, da der private Verbrauch durch eine erhöhte Sparquote in 2021 und einer zu erwartenden Kauflust nach der Überwindung der Krise den größten Aufholbedarf aufweist.
- Der Engpass bei den Transportkapazitäten ist kein limitierender, sondern ausschließlich ein Kostenfaktor. Aus diesem Grund ist der Unterschied zwischen realem und nominalem Wachstum des Wirtschaftsbereichs Logistik bereits in 2021 deutlich ausgeprägt und tendenziell höher als in der Gesamtwirtschaft.
- Streitbar ist die Aussage, dass die sich abkühlende Konjunktur in China eine geringere Wirkung auf die Entwicklung der Logistik in Deutschland haben wird, da sie durch die erhöhte Abnahme anderer Länder ausgeglichen werden kann. Da der Export mit den EU-Ländern rund 75 Prozent ausmacht und deren Wirtschaft eine gute Entwicklung prognostiziert wird, fällt eine reduzierte Nachfrage aus China geringer ins Gewicht.
- Besondere Ereignisse und sogenannte „Schwarze Schwäne“ werden nicht erwartet und sind entsprechend nicht berücksichtigt. Auch die aktuelle Situation des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande führt zu keinem Einbruch der globalen oder der chinesischen Wirtschaftsleistung.
- Die Einschätzungen zu den Geschäftserwartungen, die aktuell ein pessimistischeres Bild auf hohem Niveau wiedergeben, erholen sich oder verbleiben zumindest im positiven Bereich.
Logistik wird teurer, aber kein Preistreiber
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Logistik für die meisten Branchen grundsätzlich teurer wird. Mit Preissteigerungen, die deutlich sein dürften, ist zu rechnen. Auch auf die Preise von Endprodukten wird dies eine Auswirkung zeigen, wenngleich die Logistik nicht der Treiber der Preissteigerungen an der Ladentheke ist. Der Anteil am Gesamtpreis der meisten Produkte ist auch zu gering, um die derzeit deutlich zu spürende Inflationsrate zu erklären.
Insbesondere werden die Transportkosten zulegen. Dafür sind nicht nur die Personal- und Treibstoffkosten verantwortlich (letztere werden tendenziell im Vergleich zu 2021 nicht stark zulegen), sondern auch Kapazitätsengpässe und die höhere Komplexität aufgrund kleinerer Sendungen. Das Horten von Waren auf den Handelsstufen und in der Beschaffung wird in 2022 noch Bestand haben, wodurch die entsprechenden Kosten gleichermaßen zulegen wie die Warehousing-Kosten. Diese erfahren tendenziell noch weitere Kostenzunahmen durch die höheren Bau- und Flächenkosten.
All dies zeigt auch auf, dass nicht nur ein reales Wachstum hinter den sehr positiven Aussichten für 2022 zu finden ist. Damit der Logistikstandort Deutschland und folglich die Akteure in diesem Wirtschaftszweig auch weiterhin erfolgreich bleiben, die Unternehmen aus Industrie und Handel in dynamischen Zeiten stützen können und damit den Wohlstand sichern helfen, sollten Politik und Unternehmen diesen Weg unterstützen:
Details zu den vorgestellten Ergebnissen sind hier nachzulesen. In den nächsten Wochen wird der Expertenkreis ein Thesenpapier für das zukünftig zuständige Bundesministerium verfassen. Im ersten Quartal 2022 erfolgt die Veröffentlichung der ausführlichen Diskussion zur Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik für das Jahr 2022, welche auf der Seite des Expertenkreises als Download zur Verfügung stehen wird.
Über die Initiative:
Die Initiative „Gipfel der Logistikweisen“ verfolgt das Ziel, die Entwicklung der Logistik für das jeweilige Folgejahr zu prognostizieren, um den Wirtschaftsbereich Logistik mit Prognosen anderer Branchen und Wirtschaftsbereiche vergleichen zu können. Dies soll dazu beitragen, dass die Diskussion über die Logistik und ihre Leistung für die Volkswirtschaft weiter professionalisiert, Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik eine Vorstellung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Logistik gegeben sowie eine breite Öffentlichkeit über die Leistungsfähigkeit der Logistik informiert wird. Dabei wird auf Basis analytisch entwickelter Prognosen unter Einbezug von Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen von moderierten Diskussionen auf Gipfeltreffen mittels fundierter Methoden eine Aussage über die Entwicklung der Logistik für das Folgejahr generiert.
Zu diesem Zweck finden zwei Gipfeltreffen pro Jahr statt. Die jeweiligen Ergebnisse, die Methodik und Fachartikel zu Schwerpunktthemen sind in einer Zusammenfassung auf unserer Internetseite kostenlos zugänglich und werden über den Medienpartner DVZ sowie weitere Presseorgane veröffentlicht. Die einzelnen Aufsätze werden durch Mitglieder des Expertenkreises verfasst. Damit wird gewährleistet, dass Wissenschaft und Praxis in einem ausgewogenen Maße zu Wort kommen und damit die Vielfalt des Wirtschaftsbereichs Logistik hinsichtlich ihrer Akteure widergespiegelt wird.
Bei der Auswahl der Mitglieder des Expertenkreises werden folgende Kriterien angewendet:
- Logistikbereich: Die Besetzung der einzelnen Logistikbereiche steht an erster Stelle bei der Nominierung des Expertenkreises. Für jeden dieser Bereiche werden einzelne Personen gesucht, die potenziell geeignet erscheinen.
- Position: Angesprochen werden ausschließlich Vorstände, Geschäftsführer oder Bereichsleiter. Im Mittelpunkt steht dabei die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der strategischen Logistikplanung im Unternehmen.
- Renommee: Eine besondere Leistung oder Kompetenz auf dem Gebiet der Logistik sollte nachweisbar sein.
- Demografie: Angestrebt wird eine gesunde Mischung aus „jung“ und „erfahren“ sowie „weiblich“ und „männlich“.
Die Mitglieder werden aus dem Expertenkreis vorgeschlagen, bedürfen ausreichender Empfehlung und werden durch die Initiatoren angesprochen. Von den in den Kreis aufgenommenen Expertinnen und Experten wird eine aktive Beteiligung in Form von Teilnahme an den Treffen und inhaltlichen Vor- bzw. Nachbereitungen erwartet.
Die Zusammensetzung des Expertenkreises kann aufgrund verschiedener Umstände angepasst werden. Eine Nominierung gilt nur für den aktuellen Turnus, d.h. für den Frühjahrs- und Herbstgipfel eines Kalenderjahres. Die Entsendung eines Vertreters ist nicht zugelassen.
Die Schirmherrschaft hat Steffen Bilger MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik.
Die Initiative zur Prognose der Entwicklung des Logistikstandortes Deutschland und der „Gipfel der Logistikweisen“ wurden von Christian Kille und Markus Meißner initiiert und am 23. August 2013 gegründet.
Der Expertenkreis Stand 2021
- Berit Börke, PARTNER FOR PIONEERS GMBH
- Ralf Busche, BASF SE
- Dr. Andreas Froschmayer, DACHSER Group SE
- Dr. Christian Grotemeier, BVL e.V.
- Gerd Hailfinger, Geberit Logistik GmbH
- Frauke Heistermann, AXIT.capital GmbH
- Dr. Christian Jacobi, agiplan GmbH
- Prof. Dr. Christian Kille, FHWS
- Matthias Klug, STILL GmbH
- Wolfgang Lehmacher
- Eric Malitzke, DPD Deutschland GmbH
- Markus Meißner, AEB SE
- Michael Müller, Müller – Die lila Logistik AG
- Prof. Dr. Alexander Nehm, DHBW Mannheim
- Klemens Rethmann, Rhenus AG & Co. KG
- Dr. Torsten Rudolph, Rudolph Logistik Gruppe
- Prof. Dr. Thorsten Schmidt, TU Dresden
- Marc Schmitt, Evertracker GmbH
- Arnold Schroven, Schroven Consulting GmbH
- Dr. Martin Schwemmer, Fraunhofer SCS
- Dr. Stefan Schwinning, Miele & Cie. KG
- Harald Seifert, Seifert Logistics GmbH
- Lars Siebel, REWE Markt GmbH
- Prof. Dr. Michael Sternbeck, dm-drogerie markt GmbH + Co. KG
- Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Universität St. Gallen
- Jens Wagener, Commerzbank AG
- Dr. Steffen Wagner, KPMG AG
- Jürgen Wels, Porsche SE
- Kerstin Wendt-Heinrich, TOP Mehrwert-Logistik GmbH & Co. KG
- Patrick Wiedemann, Reverse Logistics Group
- Prof. Dr. Peer Witten, Logistik-Initiative Hamburg
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