Die Initiative longdistance-cargocycling.org regt zum Nachdenken an
Stehen Sie wieder in den Startlöchern? In den Startlöchern, um dort anzuknüpfen, wo wir vor den COVID-19-bedingten Einschränkungen aufgehört haben? Und was hat Lastenradfahren damit zu tun? Nun, es zeigt uns, dass es Alternativen zu fossil-getriebenen Transporten für eine konsum-getriebene Wirtschaft gibt; ja geben muss.
Lastenräder sind in unseren Städten bereits allgegenwärtig für die letzte Meile. Aber mit dem Lastenrad über lange Strecken Waren zu transportieren, um damit anzuregen, über unsere Konsum- und Transportmuster nachzudenken? Schräg, meinen Sie? Ich nicht.
longdistance-cargocycling.org ist eine Initiative für die Beschaffung von Bio-Produkten. Die Initiative organisiert Einkaufsgemeinschaften, die direkt bei Erzeuger Lebensmittel erwerben. Transportiert wird mit dem Lastenrad, auch über längere Strecken, rund um Bremen, zufälligerweise auch dem Sitz der BVL. Dabei kommen je Tour meist 100 km bis 150 km zusammen. Die Touren werden dann auf der Webseite vorgestellt. Die Initiative arbeitet ohne Profit; für den Transport fällt lediglich eine Spende an.
longdistance-cargocycling.org möchte das Bewusstsein dafür schärfen, wie komfortabel wir es uns mit dem Lkw eingerichtet haben. Täglich stehen wir vor vollen Regalen. Die Kunden wissen kaum, woher die Zutaten für die Produkte kommen geschweige denn, wie sie transportiert wurden. Vielleicht sollen sie das auch gar nicht.
Die COVID-19-Krise schärft den Blick für Regionalität und grundlegende Bedrohungen wie den Klimawandel. Radfahren ist symptomatisch für einen Erkenntnisprozess in Teilen der Gesellschaft, dass ein „Weiter-so“ in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht die Antworten auf drängende globale Fragen bietet; eine Erkenntnis, die in ihren Wirkungen auch die Logistik umfassen wird.
Es geht nicht darum, andere Verkehrsträger zu ersetzen. Es geht darum, Transformationsprozesse anzuregen.
Hinsichtlich Radfahren ist in der Logistik dieser Prozess vielfach reduziert auf die Ablösung vom Lkw durch das Lastenfahrrad in der urbanen Logistik. Diese Sicht verengt Radfahren auf den reinen Transport. longdistance-cargocycling.org geht hier weiter: Es geht nicht darum, andere Verkehrsträger zu ersetzen. Es geht darum, Transformationsprozesse anzuregen. Prozesse, die diskutieren, ob es Alternativen zu einem „Weiter-so“ gibt.
Mit Effizienzgewinnen im bisherigen System, z. B. beim Treibstoffverbrauch, kommen wir nicht weit. Rebound-Effekte zehren diese Gewinne durch mehr Gebrauch der effizienteren Sache auf. In der Summe steigt der Ressourcenverbrauch.
Klar, mit einem Lastenrad sind große Mengen weder gewichts-, entfernungsmäßig noch zeitlich zu bewältigen. Auch klar, ich brauche spezielle Räder, die bei der Herstellung CO2 emittieren. Und ich habe Stimmen gehört, ein menschlicher Organismus emittiert rechnerisch je Lastkilometer mehr CO2 als ein Verbrennungsmotor. Solche Argumente gehen aber ins Leere, weil sie das Ziel der Initiative verkennen.
Wir können entscheiden, wie steil unsere Lernkurve in Zukunft sein wird.
Mit Lastenrädern können wir unsere derzeitigen Konsum- und Transportgewohnheiten nicht befriedigen. Genau das ist aber der Punkt: Nachzudenken, ob diese Ausgangslage überhaupt zeitgemäß ist. Nicht nur COVID-19, sondern auch Lastenradfahren regt an, über vermeintlichen Wachstumsdruck und Beschleunigung nachzudenken: Wir können entscheiden, wie steil unsere Lernkurve in Zukunft sein wird.