von Michael Mehldau
Die Quantensprünge in der Entwicklung von Datenverfügbarkeit und -verarbeitung verbessern nicht zwingend die Planungsgüte in der Logistik. Exogene Faktoren, wie das Verhalten der Wettbewerber und Kunden, aber auch sich ändernde politische, gesetzliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, machen die Logistikplanung zur Herausforderung. Hinzu kommen endogene Faktoren, wie eigene Strategiewechsel, aber auch „hausgemachte“ Fehler bei der Erarbeitung der Planungsgrundlagen. Das gilt für die Planung von Intralogistiksystemen mit baulicher Infrastruktur, Lager- und Materialflusstechnik, IT-Systemen, Prozessen und – last but not least – für die handelnden Personen. Das gleiche gilt aber auch für die Planung umfassender Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsnetzwerke.
In diesem Blog werde ich aufzeigen, was man von professionell erarbeiteten Planungsgrundlagen erwarten darf, wo auch dort die Grenzen liegen und wie man mit diesen umgehen kann.
Planungsgrundlagen für Logistiksysteme beschreiben Funktionen (z.B. Kommissionierung, Konfektionierung, Konsolidierung). Weiterhin werden Leistungsanforderungen quantifiziert (z.B. Durchsatz- und Auftragsanforderungen, Warenverfügbarkeiten und Lieferzeiten) und Rahmenbedingungen geklärt (z.B. Zeiten für Auftragsschluss und Abholung der Sendungen durch Transportdienstleister, Vorgaben zu Budget oder Return on Investment). Für die Leistungsanforderungen ist man regelmäßig auf Bewegungs-, Bestands- und Strukturdaten aus der Vergangenheit angewiesen. Auswertungen aus den Systemen müssen geprüft, plausibilisiert und unter Berücksichtigung von Zielvorgaben der Geschäftsleitung auf einen zu definierenden Planungshorizont hochgerechnet werden, siehe Abbildung:
Wieso sind Planungsgrundlagen so wichtig?
- Planungsgrundlagen bilden zunächst die Funktionalität des Logistiksystems ab, sie sichern überhaupt das Ziel der Planung.
- Planungsgrundlagen beeinflussen über die Systemauswahl und Dimensionierung direkt die späteren Investitionen und Kosten.
- Planungsgrundlagen sind Vertragsbestandteil mit Anbietern, die Logistiksysteme planen, errichten und in Betrieb nehmen, bzw. mit Dienstleistern, die darüber hinaus als Betreiber auftreten.
Wenn dagegen ein Logistiksystem den gewünschten Service substantiell nicht erbringt und/oder die geplanten Kosten verfehlt werden, ist dieses erfahrungsgemäß häufig darauf zurück zu führen, dass die Planungsgrundlagen nicht mit der späteren Realität übereinstimmen (ohne dass die eigentliche Konzept- und Detailplanung, Realisierung oder Inbetriebnahme Mängel aufweisen würden).
Die Verfügbarkeit und Qualität der benötigten Daten zur Ermittlung der Planungsgrundlagen hat sich mit zunehmender Systemintegration in den Unternehmen generell verbessert. Die Datenauswertung ist mit Standardsoftware und – in ihrer Komplexität überschaubaren – Tools keine Geheimwissenschaft. Unter dem Begriff Big Data erscheint heute alles möglich, insbesondere das gezielte Erfassen von benötigten Daten direkt an der Quelle, also beim Endkunden, am Point of Sale oder wo auch immer. Auch die Prognosefähigkeit künftigen Nachfrageverhaltens macht große Fortschritte. Andererseits muss ein Logistiksystem für einen langen Zeitraum ausgelegt werden, einen Zeitraum also, bei dem viele zunächst an die „Glaskugel“ denken. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was man von professionell erarbeiteten Planungsgrundlagen erwarten kann und darf. Im Folgenden möchte ich einige Punkte in den Vordergrund stellen, die mir aus meiner beruflichen Praxis besonders am Herzen liegen.
1. Output oder Input?
Bei einer Planung ist ernsthaft und wiederholt zu hinterfragen, ob die erhobenen Planungsdaten fixe Eingabegrößen bzw. Prämissen darstellen oder selber Gegenstand und damit Ergebnis der Planung sind. Diese Betrachtung lohnt unter anderem bei
- Bestandshöhen
- Arten und Nutzung der Ladehilfsmittel und
- Regeln z.B. für den Durchlauf im Netzwerk (Routing).
Löst z.B. ein regionales Distributionszentrum mehrere dezentrale Standorte ab, so kann bei verbrauchsorientierter Lagerdisposition der durchschnittlich und in der Spitze gelagerte Bestand – bei konstanter Warenverfügbarkeit und gleichen Dispositionsregeln – gegenüber der Summe der bisherigen Einzelbestände gesenkt werden, die Reichweite kann also reduziert werden. Andererseits lässt sich infolge der Bündelung die Ladehilfsmittel-Nutzung optimieren, anstelle vieler kleiner Behälter können weniger größere verwendet werden, mit reduzierten Behälter- und Lagerinvestitionen und vermindertem Handling. Kritisch zu prüfen sind schließlich Regeln für den Durchlauf im Netzwerk, z.B. Warenströme am Distributionszentrum vorbei oder die gesamte Rückwärtslogistik: Werden die neu geschaffenen Möglichkeiten (hier: Distributionszentrum) effektiv und effizient genutzt werden oder werden aus Gewohnheit „alte Zöpfe“ beibehalten?
Letztlich soll die klare Unterscheidung von Output und Input den Lösungsraum erweitern und mögliche Potenziale bei Kosten, Kapitalbindung und Service erschließen.
2. Sind Anforderungen auch tatsächlich Anforderungen?
Auch bei den soweit geklärten Input-Daten ist zu hinterfragen, ob diese auf echten Anforderungen beruhen oder auf den bisher beschränkten eigenen Möglichkeiten.
Beispiel: Den Kunden eines Distributionszentrums wird generell als Versandtermin der Tag nach dem Bestelleingang zugesagt. Wird dieses nicht erreicht, baut sich gar im Verlauf jeder Woche eine Welle auf und (hoffentlich) wieder ab. In diesem Fall führt die Verwendung von historischen Versandterminen in den Planungsgrundlagen zu einem anderen Bild als die hier korrekte Verwendung von Auftragseingangsterminen, mit dem Effekt, dass Spitzenwerte reduziert werden. Wo doch der Engpass mit der geplanten Erweiterung gerade überwunden werden sollte!
Ein anderes Beispiel: Aufgrund (mit der neuen Planung zu überwindender) Engpässe werden die Kunden häufig mit Teillieferungen beliefert. „Aus den Vergangenheitsdaten sehen wir, dass unser Kunde im Durchschnitt zweimal wöchentlich mit Lagerware beliefert wird und also werden will.“ Nein, will er vielleicht eben nicht, wenn immer alles dabei wäre, würde ihm eine feste wöchentliche Belieferung reichen.
Eine Auseinandersetzung ist also essentiell für korrekte Planungsgrundlagen. Im Falle von Kundenanforderungen ist diese äußerst sensibel, denn „fordern kostet nichts“. Der Planer muss diese verstehen und sollte daher alle relevanten Informationsquellen nutzen, intern (Marketing, Vertrieb, Auftragsmanagement etc.) und – wo möglich und sinnvoll – beim Kunden selbst.