Die Quantensprünge in der Entwicklung von Datenverfügbarkeit und -verarbeitung verbessern nicht zwingend die Planungsgüte in der Logistik. Exogene Faktoren, wie das Verhalten der Wettbewerber und Kunden, aber auch sich ändernde politische, gesetzliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, machen die Logistikplanung zur Herausforderung.
Diese Reihe widmet sich der Frage, was man von professionell erarbeiteten Planungsgrundlagen erwarten darf, wo auch dort die Grenzen liegen und wie man mit diesen umgehen kann.
In den beiden vorangegangenen Teilen (13.01. /10.02.2017) habe ich versucht zu zeigen, warum Planungsgrundlagen in der Logistik auch in Zeiten von Big Data so wichtig sind. Heute geht es um die Aspekte Planungshorizont und Hochrechnung sowie um das Commitment der Stakeholder.
8. Planungshorizont diesseits reiner Spekulation? Von der Erhebung der Planungsgrundlagen bis zur Inbetriebnahme vergehen oft mehrere Jahre. Auch nach dem Start will man für einige Zeit „seine Ruhe“ haben und nicht die Entscheidungsgremien wieder mit Investitionsanträgen belasten. In einer stabilen Umgebung kann es daher sinnvoll sein, den Planungshorizont – und das heißt hier: der Zeitraum, auf den die Planungsgrundlagen hochgerechnet werden – auf den Abschluss des Planungs- und Realisierungszeitraumes plus fünf Jahre festzulegen. Aber welche Umgebung ist schon stabil? Dann müssen drei Jahre reichen. Dass man ein Logistikzentrum, Einrichtungen und Geräte, aber auch (sofern Leistung, Qualität und Preis stimmen) einen Dienstleister sehr viel länger nutzen will, ist davon unbenommen – aber kein Gegenstand der Planungsgrundlagen.
9. Hochrechnung mit Inspiration? Mit der Hochrechnung auf einen Planungshorizont wird das Ist-Mengengerüst zum Plan-Mengengerüst. Input der Hochrechnung sind zunächst Erwartungen und Ziele des Managements. Diese können allgemein formuliert sein – prozentuale Veränderungen pro Jahr oder absolute Zielwerte – oder aber gezielt neue Programme, Märkte etc. betreffen. Ein weiterer wichtiger Input, wie unter 3. beschrieben, ist die Auswertung von Vergangenheitsdaten, um Trends z.B. bei der Entwicklung der Artikelanzahl zu erkennen und zu verifizieren. Die Hochrechnung selber muss differenziert für die unterschiedlichen Leistungsanforderungen erfolgen. Aufgrund der Unsicherheit bei der Hochrechnung sind Verständnis und kritisches Hinterfragen der Zusammenhänge und Daten absolut erforderlich.Beispiel Umsatzverdoppelung: Bedeutet das auch eine Verdoppelung der Absatzmengen oder wurden Preiseffekte eingerechnet? Und was heißt die doppelte Menge für die Auftragsstruktur? Die doppelte Anzahl Aufträge bei gleicher Auftragsgröße, oder doppelt so große Aufträge bei konstanter Auftragsanzahl oder ein Mix aus beiden? Hier hilft nicht nur der „Gudehus“ (Gudehus, Timm: Logistik. Grundlagen – Strategien – Anwendungen. 4. Auflage, Springer-Verlag 2010), sondern auch die Auseinandersetzung mit Marketing und Vertrieb: Wie entwickeln sich nicht nur Umsatz und Absatz, sondern auch Kunden- und Artikelanzahl? Was ist mit dem künftigen Bestellverhalten, gibt es substantielle Veränderungen, z.B. ein Wechsel von großen Lagerergänzungsaufträgen zu kleinen auftragsbezogenen Bestellungen?Ein anderes Beispiel ist die Veränderung von Beständen bei Veränderung von Absatzmengen: Bei gleicher Artikelanzahl und optimaler Nachschubdisposition entwickeln sich Pull-Bestände (permanent gelagert, bedarfsabhängig disponiert) nicht proportional zum Absatz, sondern nur mit der Wurzel (Gudehus, S.913). Dieses Phänomen ist in realen Systemen häufig im Zeitablauf zu beobachten, d.h. in umsatzstarken Perioden sinkt die durchschnittliche Reichweite, in umsatzschwachen steigt sie – trotzdem rechnen manche eisern mit konstanten Reichweiten.
10. Szenarien als Ausweg? Manchmal kann für den Planungshorizont keine Hochrechnung generiert werden, weil das Umfeld zu unsicher und volatil ist. Oder die unternehmerische Vorgabe zum geplanten Gesamt-Wachstum erbringt ein völlig anderes Ergebnis als die aufsummierte Hochrechnung der Umsatzerwartungen aus den einzelnen Geschäftsbereichen oder Produktgruppen. Ausweg ist die Erstellung mehrerer Szenarien, anhand derer die Planung durchgeführt und wirtschaftlich bewertet wird. Beliebt sind drei Szenarien –„pessimistisch“, „realistisch“, „optimistisch“. Spätestens vor der Freigabe von Detailplanung, Ausschreibung bzw. Realisierung muss dann die Entscheidung für ein Szenario getroffen werden, das wird dann häufig das realistische sein. Achtung: Die Beschränkung auf ein Szenario von vornherein heißt nicht etwa, bei der späteren Planung auf Risiko- und Sensitivitätsanalysen zu verzichten!
11. Commitment der Stakeholder? Die Erarbeitung von Planungsgrundlagen für Logistiksysteme ist also keine Aufgabe für das „stille Kämmerlein“. Alle Stakeholder – Geschäftsführung, Vertrieb, Marketing, Produktion, Logistik, operativ Verantwortliche und betroffene Mitarbeiter etc.) müssen für die zentrale Bedeutung der Planungsgrundlagen für das spätere Ergebnis – im doppelten Sinne, also Ergebnis der Planung und wirtschaftliches Ergebnis – sensibilisiert werden. Zudem vermeidet ein strukturierter Prozess Schleifen und Iterationen und damit Verzögerungen. Die kritischen Werte sind in einem oder mehreren Workshops zu darzustellen, festzulegen und freizugeben, gerne auch mit Datum und Unterschrift. Die verabschiedeten Planungsgrundlagen sind damit Ausdruck des Commitments der Stakeholder. Denn eines ist sicher: Die Planungsgrundlagen sind bereits bei Inbetriebnahme überholt, eine 100-prozentige Übereinstimmung wäre reiner Zufall. „Wer hat denn das festgelegt?“ – „Wir gemeinsam!“
Die Fortsetzung folgt im April: Dann geht es um die Grenzen von Planungsgrundlagen und ihre Überwindung.
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