Die Quantensprünge in der Entwicklung von Datenverfügbarkeit und -verarbeitung verbessern nicht zwingend die Planungsgüte in der Logistik. Exogene Faktoren, wie das Verhalten der Wettbewerber und Kunden, aber auch sich ändernde politische, gesetzliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, machen die Logistikplanung zur Herausforderung.
Dieser Blog widmet sich der Frage, was man von professionell erarbeiteten Planungsgrundlagen erwarten darf, wo auch dort die Grenzen liegen und wie man mit diesen umgehen kann.
In den drei vorangegangenen Teilen (13.01. /10.02./10.03.2017) habe ich versucht zu zeigen, warum Planungsgrundlagen in der Logistik auch in Zeiten von Big Data so wichtig sind. Heute geht es um den Umgang mit der Begrenztheit von Planungsgrundlagen.
Flexibilisierung im Planungsprozess
Mit einer professionellen Erarbeitung von Planungsgrundlagen kommt man ceteris paribus zu einem besseren Ergebnis. Aber da sich die Zukunft nicht an den Plan hält, sind in der Planung Strategien zur Flexibilisierung zu entwickeln und einzubauen – frei nach meinem persönlichen Motto: „Planung schafft Raum für Spontanität“.
Der Planungsprozess für ein Logistiksystem verläuft typischerweise in den folgenden Phasen, die wiederum spezifische Ergebnisse erbringen:
Planungsphase | Typische Ergebnisse |
Zielplanung | Verabschiedete Planungsgrundlagen |
Konzeptplanung | Beschriebene Lösung mit Kennzahlen, Invest, Kosten als Entscheidungsgrundlage |
Detailplanung | Ausschreibungsreife Lastenhefte und Spezifikationen |
Ausschreibung | Erfolgte Vergabe an Generalunternehmer, Lieferanten oder Dienstleister |
Realisierung | Getestetes, abgenommenes System und geschulte Mitarbeiter |
Hochlauf | Stabiler Betrieb |
Die Flexibilität muss bereits in der Konzeptplanung vorgesehen werden, weil hier die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen. Sofern die Planungsgrundlagen mehrere Szenarien aufweisen, können auch mehrere Konzepte bzw. Konzeptvarianten geplant werden. Spätestens jedoch mit der Entscheidung zur Detailplanung kann man sich eine solche „Mehrgleisigkeit“ nicht mehr leisten.
Ansätze zur Flexibilisierung
Im Folgenden nenne ich einige Ansätze zur Flexibilisierung, hier am Beispiel der Planung eines Logistikzentrums. Diese sind im konkreten Fall zu ergänzen und zu vertiefen:
- Einsatz flexibler Materialflusstechnik: Flurförderzeuge und viele Lagersysteme bieten schon immer ein Höchstmaß an Flexibilität, sind also kurzfristig in der Nutzung zu verändern bzw. räumlich zu verlegen. Mittlerweile gilt das auch für automatisierte Systeme, z.B. flexible Förder- und Sortiersysteme mit dezentraler Steuerung und Installation nach dem Prinzip „Plug and Play“.
- Umnutzung von Funktionsflächen innerhalb der Gebäudestruktur: Häufig wird hierbei nur das Wachstum berücksichtigt, indem z.B. Blocklagerfläche für eine spätere Regalierung vorgesehen sind. Auch der umgekehrte Fall ist einzuplanen, d.h. die Nutzung freiwerdender Logistikfläche durch eine andere Funktion bzw. durch einen internen oder externen Dritten. Für Logistikdienstleister mit Multi-User-Standorten ist diese Flexibilität „Tagesgeschäft“.
- Veränderungen der Gebäudestruktur: Das Vorhalten von Erweiterungsflächen für eine Gebäudeerweiterung ist Standard. Dabei sollten von Anfang an die Verkehrsflächen, Tore, Lagermodule, Anschlüsse für Medien (Strom, Wasser, Abwasser, …) etc. für die Erweiterung in der Konzeptplanung berücksichtigt sein. Auch beim Bebauungsplan sollten diese Erweiterungen berücksichtigt werden. Die Einholung der Baugenehmigung für eine spätere Erweiterung gleich mit der Ursprungsplanung ist unüblich, da sie auch eine Detailplanung voraussetzt, was bei zu erwartenden Veränderungen nicht effizient ist, und ihre Geltungsdauer gesetzlich begrenzt ist. Aber auch die Teilung von Gebäuden, um völlig getrennte Betriebsabläufe zu ermöglichen, kann im Konzept geplant und damit für die spätere Umsetzung erleichtert werden.
- Veränderungen im Logistik-Netzwerk, insbesondere die Erweiterung (bzw. Reduzierung) von Standorten, z.B. die Erweiterung von 2 auf 3 Lagerstandorte für Mitteleuropa. Damit verbunden sind dann Maßnahmen wie Abschluss, Anpassung bzw. Kündigung von Logistikdienstleistungen oder die Umnutzung, Errichtung bzw. Schließung eigener Standorte.
Masterplan mit schrittweiser Realisierung im Zeitablauf
Im Idealfall wird die Konzeptplanung als Masterplan erarbeitet. Entsprechend der tatsächlichen Entwicklung der Leistungsanforderungen und Rahmenbedingungen werden dann im Zeitablauf einzelne Elemente – z.B. Logistikstandorte oder Teile davon – ggf. konzeptionell überarbeitet, im Detail geplant und realisiert. Damit können auch unterschiedliche Szenarien bei der Hochrechnung der Planungsgrundlagen berücksichtigt werden. Im Idealfall gelingt es, die Szenarien logisch miteinander zu verknüpfen – z.B. Umsatz- und/oder Artikelwachstum in mehreren Stufen – und diesen mehrere Planungs- und Realisierungsschritte zuzuordnen.
Die folgende Abbildung zeigt beispielhaft den Masterplan zur Erweiterung eines Distributionszentrums mit Nachschublager und Kommissionierung, und zwar in den Auswirkungen auf die Erhöhung der Leistungsgrenzen „Anzahl Kommissionierpositionen pro Tag“ und „Artikelanzahl“. Nach einer vorangegangenen Optimierung von Abläufen, Belegung und Personaleinsatz können zwei alternative Investitionsprojekte in beliebiger Reihenfolge realisiert werden, um die tatsächlichen Entwicklung von Positions- und Artikelanzahl zu berücksichtigen.
Fazit
Nach diesem kleinen Ausflug in die Konzeptplanung kommen wir an den Anfang und damit zurück zum eigentlichen Thema des Blogs, die Ermittlung und Hochrechnung von Planungsgrundlagen. Die Fortschritte bei der Erfassung und Auswertung von Daten – im Sinne von Prognosen und Handlungsempfehlungen – sind immens, Beispiel Kurzfristwetterprognose, Beispiel Verkehrsbelastung von Straßen. Wird das die Planung von Logistiksystemen revolutionieren? Meiner Meinung nach nein, denn zum einen werden Logistiksysteme werden für Zeiträume jenseits exakter Prognosefähigkeit ausgelegt, zum anderen kann man mit Grundstrategien wie dem Bündeln von Mengen und Aufträgen Komplexität dramatisch reduzieren. Wichtig ist und bleibt, bei der Ermittlung von Planungsgrundlagen einschließlich Funktionen, Leistungsanforderungen und Rahmenbedingungen die richtigen Akzente zu setzen:
- Klare Trennung von Output und Input
- Konzentration auf echte Anforderungen
- Das richtige Maß an Vergangenheit
- Keine Scheingenauigkeit
- Richtige Interpretation der Daten
- Verwendung relevanter Spitzenfaktoren
- Prüfung der Daten auf Plausibilität und Konsistenz
- Planungshorizont diesseits reiner Spekulation
- Hochrechnung mit Inspiration
- Im Zweifel Szenarien bilden
- Committment der Stakeholder einholen
Nur dann besteht eine valide Planungsbasis, auf der – mit aller nötigen Flexibilität – die eigentliche Planung aufgesetzt werden kann.
Guten Tag! Vielen Dank für diese stukturelle Darstellung für ein Planungsvorgehen. Wir haben bei uns im Unternehmen (Pharma_Branche) stets die Schwierigkeit, die Planungsgrundlagen vernünftig zu definieren. Vergangenheitsdaten plus Glaskugel (im allgemeinen +10% p.a. sind für Erweiterungsprojekte ja sehr grob. Wie kann man sich dem Thema möglichst systematisch nähern und sich nach “unten und oben” vernünftig absichern? Denn kein Logistikverantwortlicher unseres Hauses will eine Zahl zementieren, die später unter seinem Initialen in die Unternehmensgeschichte eingeht. Besten Dank im Voraus!