E-Commerce boomt, Logistik schwitzt
Ende 2017 schrammte die Logistik noch gerade so am Kollaps vorbei. Dass dieses Jahr das Weihnachtsgeschäft logistisch eleganter gelöst wird, bezweifeln Logistikexperten. Tendenz: Es wird schlimmer. Sie prophezeien extreme Engpässe. Späte Bestellungen werden in diesem Jahr zur Risikogruppe gehören. Die Last Mile-Logistik wird also auch in diesem Weihnachtsgeschäft viel Angriffsfläche bieten. Lieferwagen, die Innenstädte verstopfen, verspätete oder verlorene Paketzustellungen und immer mehr verärgerte Kunden gehören längst zum Weihnachts-Alltag der Logistiker. Der Erfolgsschlüssel: ausreichend Personal. Wenn das so einfach wäre …
Paketzusteller müssen Personal aufstocken
Während Händler von November bis Dezember einen beachtlichen Teil ihres Jahresumsatzes generieren, bedeutet dies für die Paketzusteller vor allem eines: eine hohe Arbeitsbelastung. Dass Millionen von Sendungen täglich befördert werden können, macht vor allem der intelligente Einsatz von Personal möglich. Viele setzen dabei auf Zeitarbeitskräfte. Rund 25.000 Zusteller werden dieses Jahr bei den Unternehmen zusätzlich während der Weihnachtszeit beschäftigt, um die Paketfluten und die damit verbundene Mehrarbeit effektiv zu stemmen. Zeitarbeitsfirmen ermöglichen es, kurzfristig, dringend benötigte Hilfsarbeiter, Kraftfahrer, Verwaltungs- oder Fachkräfte für Lagerlogistik einzustellen. Jedes Jahr mehr steht die Logistikbranche vor der Herausforderung, diese Menge an Saisonarbeitern zu einzustellen. Dank moderner Recruiting-Systeme gibt es heute neben Zeitarbeit noch andere Wege, Personal zu beschaffen. Online-Job Matching zum Beispiel kann mit Hilfe der algorithmischen Technologien schnell passende Mitarbeiter finden.
Weihnachtsgeschäft durchbricht 100 Milliarden Euro-Schwelle
Dass die Logistik immer mehr unter Personalengpässen leidet, verdeutlichen aktuelle Zahlen. Eigentlich das ganze Jahr über schon, aber im November und Dezember geht es besonders rund. Der boomende Online-Handel gibt ein Tempo vor, mit dem die Logistik kaum mithält. Nach Erhebungen des Bundesverbands Paket und Expresslogistik verarbeiteten die Dienstleister im vergangenen Jahr erstmals mehr als 3,3 Milliarden Sendungen, 6,1 Prozent mehr als noch 2016. Seit der Jahrtausendwende hat sich das Volumen nahezu verdoppelt. Und in den kommenden Jahren wird es noch mehr werden. Der Verband rechnet für 2022 mit rund 4,3 Milliarden Sendungen. “Das Umsatzplus fällt in diesem Jahr größer aus, als bisher angenommen“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Der Einzelhandelsumsatz 2018 wird nach neuen Schätzungen 525 Milliarden Euro betragen. Umsatztreiber bleibt der E-Commerce. Die Onlineumsätze steigen um 9,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die stationären Umsätze um 1,5 Prozent. In den Monaten November und Dezember rechnet der HDE mit einem Wachstum von 2,3 Prozent für das Weihnachtsgeschäft. „Der Einzelhandel knackt damit erstmals die 100 Milliarden-Euro-Umsatzschwelle im Weihnachtsgeschäft“, so Genth. Allein in den letzten beiden Monaten des Jahres liegen die Umsätze um rund 15 Prozent, in bestimmten Branchen sogar bis zu 100 Prozent über dem Durchschnitt der anderen Monate. Der stationäre Handel erzielt knapp 19 Prozent, der Online-Handel gut ein Viertel seines Jahresumsatzes nur im November und Dezember.
Lösungen für die Zukunft
Tatsächlich sind die gewaltig steigenden Mengen der Einzelzustellungen auf Dauer kaum noch zu deckeln. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Weihnachten 2019 könnte es also zum logistischen Kreuzfeuer kommen. Das liegt unter anderem am Mangel an Zustellern. Bis zu 10.000 Stellen sind bundesweit unbesetzt. Ein Grund: Die schlechte Bezahlung. Um die steigenden Sendungsmengen erfolgreich zu bewältigen, muss die Zustellbranche kontinuierlich in Personal, Fahrzeuge, Umschlagsinfrastruktur und innovative Zustellkonzepte investieren. Aber nicht nur das. Sie ist gezwungen, sich in den kommenden zehn Jahren neu zu erfinden. Im Lager und auf der letzten Meile geht es in Zukunft vor allem um Tempo und um die Kosten. Dabei dürfen vier Fragen nicht auf der Strecke bleiben: Wie werden wir unsere Umweltbelastung verringern? Wie können wir die Margen der KEP-Dienstleister verbessern? Wie kann man im Zuge der gesteigerten Produktivität die Zusteller ohne Verluste fair entlohnen? Und wie können wir die Zustelloptionen der Händler in ein besseres Licht rücken?
Kollaps oder haarscharf dran vorbei?
Bis man Antworten auf diese Fragen findet, werden einige Jahre ins Land gehen. Zahlreiche Arbeitskreise und Gremien beschäftigen sich täglich mit diversen Zukunftsszenarien. Es geht um neue Zustellmodalitäten, Technologien, aber immer wieder auch um die Ausführung der Jobs durch Menschen. Bei allen digitalen Modellen müssen wir HR in der Grundbeschaffenheit im Fokus behalten. Unterm Strich bleibt das Problem auch in der Zukunft das Gleiche: Ohne kompetente Mitarbeiter am richtigen Ort, werden wir die steigenden Volumina nicht meistern. Wir brauchen dringend Maßnahmen mit HR Fokus. Unter heutigen Bedingungen sagen Branchenbeobachter dem Weihnachtsgeschäft 2019 den Kollaps voraus. 2018 werden wir vielleicht noch einmal mit einem Schluckauf davon kommen. Das ist aber eher hoffnungsvolle Spekulation. Unbeeinflussbare und unvorhersehbare Faktoren spielen entscheidende Rollen. Dass die meisten Paketdienstleister mit ihren Kapazitäten komplett am Anschlag sind, ist offensichtlich. Allein Schnee und glatte Straßen könnten den Super Gau herbeizitieren. Also, Vorsicht, der alljährliche Wunsch nach weißer Weihnacht könnte in diesem Jahr zum Zünglein an der Waage werden.
Welche Zukunftsszenarien der Branche helfen können, lesen Sie im BirdieBlog-Beitrag: „Schluss mit Besinnlichkeit – es ist Weihnachten! “