Wie sich die Logistik in den unsicheren Zeiten entwickeln wird, bleibt eine spannende Frage. Der Handelsstreit zwischen der EU und den USA, der Brexit oder die Spannungen mit der Türkei bedeuten insbesondere für die Exportnation Deutschland eine Herausforderung bei der Prognose des Wachstums. Hinzu kommen die spezifisch in der Logistik diskutierten Herausforderungen, die den Ausblick für die Logistik trotz einer laut Logistik-Indikator stabilen Stimmungslage „mit leichten Eintrübungen“ schwierig macht.
Um die Situation aus allen Blickwinkeln auf wissenschaftlicher Basis einschätzen zu können, wurde 2014 der Gipfel der Logistikweisen installiert, bei dem sich Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft über die Zukunft der Logistik austauschen und eine Aussage über die qualitative und quantitative Entwicklung des Wirtschaftsbereichs formulieren. Dafür werden zwei Treffen veranstaltet (weitere Informationen unter www.logistikweisen.de). Die Schirmherrschaft hat der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur Steffen Bilger.
Fünf relevante Themen für 2019
Am 13. April 2018 fand der Frühjahrsgipfel statt, bei dem die relevanten Themen für 2019 herausgearbeitet wurden. Ihre Wirkung auf die Entwicklung der Logistik werden auf dem Herbstgipfel am 28. September 2018 diskutiert. Es haben sich 22 Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft zum intensiven Austausch in Voigtsburg/Kaiserstuhl getroffen und fünf zentrale Themen identifiziert.
Im Mittelpunkt steht das Thema Kapazitäten, zum einen die der Unternehmen in Form von Equipment und Personal, zum anderen die der öffentlichen Hand. Hinzu kommt das Thema Innovationen und Digitalisierung, welches bereits seit Beginn der Initiative der Logistikweisen relevant ist. Das letzte Themenfeld umfasst den volatilen Welthandel.
Für jedes Themenfeld wurden im Zuge der Sitzung im Frühjahr jeweils zwei Statements dazu formuliert, was für die Logistik zu berücksichtigen ist.
Neues denken
Das Thema Innovationen umfasst nicht nur das viel diskutierte Thema der Digitalisierung – hier sind insbesondere für den Logistik-Mittelstand Wissensvermittlung und Know-how-Aufbau zum Thema unbedingt notwendig, um die Digitalisierung für sich als Wettbewerbsfaktor nutzen zu können. Auch Startups und andere neue Wettbewerber verändern das Umfeld, in denen Logistikunternehmen agieren. Jedoch reicht es nicht, in Startups oder neue Geschäftsmodelle nur finanziell zu investieren – ein Unternehmen muss auch organisatorisch, kulturell und strategisch dafür bereit sein, um daraus einen Erfolg zu generieren.
Wachstumsbremse Infrastruktur
Schon jetzt einen hohen und weiterhin zunehmenden Einfluss haben Interessensgruppen und Bürgerbegehren in Bezug auf öffentliche Kapazitäten. Obwohl sich das Image der Logistik nachhaltig verbessert und das Bewusstsein der Bevölkerung wie auch der Wirtschaft für die Relevanz und Notwendigkeit der Logistik zunimmt, wird der steigende Einfluss von Bürgern und Interessensgruppen auf Projektvorhaben zunehmend zur Wachstumsbremse. Hinzu kommt die begrenzte Verkehrs- und andere Infrastruktur in Deutschland. Die Infrastrukturen sind am Limit ihrer Leistungsfähigkeit und bilden Engpässe für den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des Logistikstandorts Deutschland.
Qualifikation noch zeitgemäß?
Öffentliche Institutionen haben auch einen großen Einfluss auf das Thema Personal bzw. den Umgang mit dem Fachkräftemangel. So wird die Qualifikation und Integration von potenziellen Fachkräften ein Erfolgsfaktor, der nur durch Anpassung zu erreichen ist. Es fehlen generell nicht nur ausgebildete Fachkräfte. Es zeichnet sich mit den zu erwartenden Veränderungen in der Logistik (u.a. Digitalisierung) auch ab, dass die Form und die Inhalte der Aus- und Weiterbildung die zukünftigen Anforderungen nicht mehr treffen. Insbesondere vor dem Hintergrund der notwendigen Integration von fremdsprachigem Personal sind alternative Möglichkeiten zur Qualifizierung zu bedenken. Hinzu kommt die Wandlung der Arbeitswelten und Rollenprofile. Die traditionellen Tätigkeitsbeschreibungen im gewerblichen und kaufmännischen Bereich werden sich auch dann wandeln, wenn bspw. der klassische Kommissionierer nicht durch Automatisierung und der traditionelle Spediteur nicht durch Plattformen oder sonstige digitale Anwendungen ersetzt wird.
Offenheit als Chance
Nicht nur der Fachkräftemangel bildet einen Engpass für die Ausführung logistischer Leistungen, auch die Verfügbarkeit weiterer Kapazitäten der Unternehmen, insbesondere des Equipments, bremst die Entwicklung der Logistik – derzeit wie auch in Zukunft. So bleibt der Mangel an Kapazitäten jeglicher Art auch in Zukunft eine Herausforderung. Trotz der zahlreich propagierten digitalen Lösungen gegen den Kapazitätsmangel können in einer Zeit der boomenden Wirtschaft und der erfreulichen Binnennachfrage die Lücken zwischen den vorherrschenden spezifischen Anforderungen der Nachfrage an das Equipment, die Zeit oder den Preis nicht durch die vorliegenden Angebote bedient werden. Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen, eröffnen die Kooperation und Offenheit der Akteure in der Logistik. Ob interne oder externe, ob öffentliche oder private Kapazitäten: in Zeiten von Wirtschaftsboom und steigenden städtischen Verkehren geraten sie an vielen Orten und zu vielen Zeiten aufgrund von Nachfragespitzen an ihre Grenzen. Statt eines Gespräches übereinander, sollte miteinander gesprochen werden, damit die Spitzen durch Entschleunigung, Verteilung oder gemeinsame Nutzung ausgeglichen werden können.
Risikofaktor Welthandel
Die Entwicklung der Weltwirtschaft bzw. des Welthandels kann jedoch zu einem Ende des Booms führen. Regionale Instabilitäten erscheinen zwar weit entfernt. Jedoch ist die derzeit vorherrschende Konfrontation der Welt- und Regionalmächte ein Damoklesschwert für die Entwicklung der Logistik. Die weltpolitische Situation ist an vielen Stellen fragil und damit nicht vorhersehbar. Kleine Störungen im Gefüge können eine große Wirkung haben. Wenn sogar Protektionismus als Gegenbewegung zur Globalisierung in Europa oder durch langjährige Partner jenseits des Atlantiks forciert werden, sind negative Einflüsse auf die deutsche Wirtschaft insgesamt und den Wirtschaftsbereich Logistik im Speziellen zu erwarten. Hinzu kommt, dass der sich abzeichnende Hang zu Protektionismus nicht nur eine Veränderung der grenzüberschreitenden Wirtschaftsströme nach sich ziehen, sondern maßgeblichen Einfluss auf die Binnennachfrage haben wird.
Die Zusammenfassung der Ergebnisse kann auf http://www.logistikweisen.de/de/ergebnisse.php heruntergeladen werden. Ein ausführlicher Bericht zu 2018 wird dort nach Übergabe an den Schirmherrn ebenso demnächst zur Verfügung stehen.
In Summe bestehen große Potenziale, aber auch viele Risiken, die für den Wirtschaftsbereich Logistik gelten. Deren qualitative und quantitative Einschätzung ist die Aufgabe, die unseren Expertenkreis der Logistikweisen im Herbst beschäftigen wird.
Über Ihre Eindrücke, Meinungen und Anmerkungen freuen wir uns.