In der Paketlogistik geht die Wachstumskurve nach wie vor steil nach oben. Während sich noch bis vor kurzem alle Beteiligten über die rekordverdächtige Entwicklung gefreut haben, setzt bei einigen eine leichte Katerstimmung ein. Wie es scheint, ist im Onlinehandel des einen Freud des andern Leid. Die Onlinehändler sind sicherlich auf der Gewinnerseite, denn sie fahren immer höhere Umsätze ein. Für die Paketdienstleister gibt diese Entwicklung an sich auch Grund zur Freude – doch das anhaltende Wachstum bedeutet nicht unbedingt nur Gutes. Allem voran ist da die letzte Meile, die eine immer größere Herausforderung wird.
Die Studie “The final 50 Feet Urban Goods Delivery System“ vom Januar 2018 der University of Washington über die Zustellsituation in Seattle zeigte, dass es hierbei vor allem zwei große Baustellen gibt: Einerseits muss die Entladezeit vor den Gebäuden in den Innenstädten und Wohngebieten deutlich reduziert werden, um den Verkehr zu entlasten. Denn das Parken der Zustellfahrzeuge in zweiter Reihe bedeutet eine deutliche Verkehrsbehinderung. Zusätzlich nimmt die Anzahl der fehlgeschlagenen Zustellungen weiterhin zu. Inzwischen ist es nur noch ungefähr die Hälfte aller Paketsendungen, die dem Empfänger persönlich zugestellt werden kann. Diese schlechte Quote ist darin begründet, dass viele Paketadressaten tagsüber nicht zu Hause sind, wenn der Paketbote klingelt.
Halb-blinder Aktionismus statt Pragmatismus
Doch wie sieht es aktuell mit Lösungsvorschlägen aus? Man kann den Zustellunternehmen wahrlich nicht vorwerfen, dass sie daran nichts ändern möchten. Sie sind durchaus bemüht, die Situation für alle – also für Empfänger, Paketboten und Umwelt – zu verbessern. Die Ansätze hierfür sind ganz unterschiedlich. So setzt beispielsweise Hermes auf eine größere Anzahl an Paketshops, während DHL das Netz an Packstationen sowie die Lieferzeit in den Abendstunden ausweitet. Doch sind diese auf einzelne Anbieter beschränkte, auf Althergebrachtem beruhende Ansätze tatsächlich der Weisheit letzter Schluss?
Beobachtet man das Schauspiel, das sich einem täglich auf den Straßen bietet, kommen hier Zweifel auf. Weiterhin kämpfen sich die Paketboten unter hohem Zeitdruck durch die überfüllten Städte, die meist dieselbetriebenen Transporter blockieren den Verkehrsfluss und erzeugen große Mengen an CO2-Emissionen. Wohl auch deshalb wird immer wieder laut über Zusatzgebühren für die Haustürzustellung nachgedacht, um den Kunden für die Last-Mile-Kosten zu sensibilisieren und die Lieferungen an die Haustüre zu reduzieren. Derweil nahezu unbeachtet bleibt der Aspekt der anbieterübergreifenden Lösungsansätze. Dabei bieten gerade Sammelstellen, die von allen Lieferdiensten genutzt werden können, eines der größten Potenziale für die Belieferung in den Innenstädten.
Im Zusammenschluss viel mehr Gewicht
Eine Vorreiterrolle für Großstädte könnte Berlin einnehmen. Dort läuft seit Anfang Juni ein bislang einmaliger Pilot, der genau diesen Ansatz verfolgt. Das Modellprojekt KoMoDo – kurz für „kooperative Nutzung von Mikro-Depots – vereint die fünf großen KEP-Dienste DHL, DPD, GLS, Hermes und UPS, die gemeinsam einen Umschlagplatz nutzen, um von dort die Sendungen per Lastenräder abgas- und lärmfrei zu verteilen. Alternativ versprechen,auch spezielle Mikrodepots wie i-Bring, exklusive Paketshops des Startups Qool oder offene Paketschranklösungen bzw. die digital gelotste Zustellung an den Arbeitsplatz – beides von pakadoo – Abhilfe. Die Empfänger stattdessen mit zusätzlichen Gebühren erziehen zu wollen, wird kurzfristig sicherlich nicht gelingen.
Ob man nun weiterhin die Gratis-Preismentalität bei Versandkosten, die im deutschen Onlinehandel herrscht, unterstützen sollte, sei dahingestellt. Ebenso wie die Frage, ob eine nachhaltige und effiziente Paketzustellung tatsächlich allein Sache der Lieferunternehmen ist. Denn inzwischen hat das Problem ein derartiges Ausmaß erreicht, unter dessen Konsequenzen wir bereits heute leiden. Allein deshalb gibt es keinen Grund, auf die Alleinstellung zu beharren und auf einsamem Posten zu kämpfen. Vielmehr sollten sich die Beteiligen ganz im Sinne der Vernetzung zusammenzuschließen. Das bedeutet in der Folge auch, die bewährten Systeme für Mitbewerber zu öffnen. Paketdienste sollten offene Lösungen weniger als Bedrohung sehen, sondern viel mehr als Ergänzung der eigenen Systeme, die von allen genutzt werden können. Die letzte Meile ist schlicht zu lang und zu steinig, als dass sie einer allein bewältigen kann.
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