Warum ist es derzeit eine so große Herausforderung, die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik zu prognostizieren? Dieser Blog gibt einen Blick hinter die Kulissen der Initiative der Logistikweisen und zeigt die wichtigsten Punkte auf, welche eine Prognose so schwierig machen.
Die Initiative zur Prognose der Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik in Deutschland (Logistikweisen) unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Digitales und Verkehr Oliver Luksic, MdB, hat zwei Zielsetzungen:
Es wird ein Ausblick auf die zu erwartenden Veränderungen gegeben und daraus Handlungsempfehlungen für Politik und Unternehmen abgeleitet, indem ausgewählte Expertinnen und Experten aus der Logistik die Lage und die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik in Deutschland einschätzen und diskutieren, welche Maßnahmen zu treffen sind, um auf dem Erfolgspfad zu bleiben oder dahin zurückzukehren.
Im Mittelpunkt steht die quantitative Prognose des Folgejahres, damit unser Wirtschaftsbereich bspw. mit der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau verglichen werden kann. Die Finanzkrise 2008/2009 hat den Bedarf insbesondere seitens der Politik gesteigert. Das stetige und stabile Wachstum in den Jahren 2012 bis 2019 reduzierte die Aufmerksamkeit etwas, da es nur um die Höhe des Wachstums ging, welches auch einem linearen Trend folgte. Erst mit dem Abflauen der Wirtschaft, das in 2019 bereits zu erkennen war, mit der Coronakrise in 2020 und mit dem Krieg in der Ukraine 2022 ist das Interesse wieder gestiegen. In diesem Zeitraum waren zwar die wenigsten Prognosen zu Branchen, Industrien, Wirtschaftszweigen und Ländern treffsicher. Trotzdem suchten die Akteure Leitplanken, an denen sie sich orientieren konnten.
Entsprechend ist auch jetzt nicht die beste Zeit für Prognosen in der Logistik. So haben die Logistikweisen entgegen der bisherigen Vorgehensweise während des Herbstgipfels 2023 keine quantitative Prognose für das Jahr 2024 diskutiert. Die Indikatoren waren zu unsicher und changierten zwischen wachsender Befürchtung einer Rezession und erfreulichen Nachrichten zu einer Erholung für das Jahr 2024. Dies zeigt, wie herausfordernd es ist, eine konkrete und auch fundierte Prognose zu entwickeln (insbesondere, wenn alle Beteiligten diese Initiative inkl. der Vor- und Nachbereitung pro Bono tragen).
Punkt 1, warum eine Prognose aktuell herausfordernder ist:
Nur die Hälfte der monetären Logistikleistung kann aus Statistiken direkt abgelesen werden!
In der Logistik erscheint eine Prognose noch herausfordernder als in anderen Bereichen, da ca. die Hälfte der Leistungen durch eigene Ressourcen von Industrie und Handel erbracht wird und damit interne Kosten darstellt, während die andere Hälfte bei Logistikunternehmen auf dem freien Markt eingekauft wird und damit externe Preise bedeutet. Dies ist auch ein Grund, warum in der Vergangenheit nur die nominale Veränderung des Wirtschaftsbereichs Logistik gemessen wurde: Die monetär gemessene Logistikleistung ist statistisch nicht abgebildet.
Bereits 2019 wurde die Entscheidung getroffen, auch die reale Veränderung zu prognostizieren, da sich bereits zu dem Zeitpunkt abzeichnete, dass die Niedrigzinspolitik nicht ewig aufrechterhalten werden kann und damit der Unterschied zwischen realer bzw. inflationsbereinigter und nominaler Entwicklung stärker zunehmen wird.
So wurde für das Jahr 2021 ein reales Wachstum in Höhe von 5,0% gemessen, was nach den Analysen der Logistikweisen eine „Logistik-Inflation“ (der Unterschied zwischen realer und nominaler Entwicklung) von 2,5% bedeutet. Die Corona-Krise führte zu zahlreichen Engpässen und damit höheren Kosten und Preisen. Im Jahr 2022 verstärkte sich diese Entwicklung mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine (7,9%). Für 2023 wird eine niedrigere Rate erwartet (4,0%), da bereits hohe Preise in der Logistik bestanden und trotz höherer Kosten geringere Steigerungsraten erwartet werden. Ein Treiber dafür ist die erwartete Abnahme der Nachfrage von Logistikleistungen um -0,5%.
Dies zeigt, dass eine Orientierung an den allgemeinen und auch branchenspezifischen Wirtschaftsdaten nicht mehr ausreicht, um eine Prognose zu entwickeln. Zwar kann die reale Entwicklung aus den Mittelfristprognosen des Bundesamts für Logistik und Mobilität, den Produktionsprognosen einzelner Verbände und den Einschätzungen des Konsumverhaltens abgeleitet werden. Abzusehen, wie sich die Veränderung der Kosten und der Preise auf die bisher in der Öffentlichkeit dominierende nominale Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik auswirkt, ist aufgrund der hohen Eigenanteile von Industrie und Handel herausfordernder. Ein eigenes Modell ist notwendig. Dieses Modell kam für die Hochrechnung des Jahres 2022 und die Prognose des Jahres 2023 erstmals zum Einsatz. Die Robustheit ist noch zu testen.
Punkt 2, warum eine Prognose zurzeit herausfordernder ist:
Die Dynamik der Veränderungen hat sich verstärkt!
Die Zeit ist nicht die beste für Prognosen. Auch wenn wir als Expertenkreis Informationen direkt aus der Praxis aufnehmen, diese mit wissenschaftlichen Analysen unterstützen und die Ergebnisse in einem engen Austausch bewerten, weichen die Ausblicke auf die quantitative Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik in den letzten Berichten deutlich von der Realität ab. So haben wir für 2020 zwar einen schwierigen Verlauf und nur ein mageres Plus von 0,4 Prozent erwartet – dies jedoch ohne Berücksichtigung der Coronapandemie. Unter dem Eindruck der Shutdowns und partiellen Lockdowns wurden auch die optimistischsten Akteure ernüchtert. Die im Laufe des Sommers 2020 monatlich aktualisierten Einschätzungen pendelten sich bei einem hohen realen Einbruch von 5 Prozent ein. An dieser Bewertung hielten wir noch lange fest. Dass der Einbruch nach den Veröffentlichungen von Schwemmer und Klaus in 2021 zumindest nominal „nur“ bei 2 Prozent gelegen haben soll, ist vor dem Hintergrund der zahlreichen schwächelnden Branchen erstaunlich. Dies lässt sich jedoch zumindest teilweise damit erklären, dass
- die besonders stark betroffenen Branchen und Unternehmen eine relativ geringe logistische Leistung nachfragen,
- viele der Industrien nur eine kurze Pause einlegen mussten und sich damit der Einbruch über das Jahr hinweg wieder ausgeglichen hat,
- Verlagerungen der Nachfrage wie bspw. vom stationären Handel zum E-Commerce zu größeren logistischen Aufwendungen geführt haben und
- die Kapazitätsengpässe insbesondere in der Logistik Preissteigerungen zur Folge hatten, die einen stärkeren realen Einbruch ausgleichen konnten.
Insbesondere der letzte Punkt zeigte einen eindrücklichen Effekt der unterschiedlichen Zusammenhänge: Die Kapazitätsengpässe bspw. im Straßengüterverkehr kamen nicht nur dadurch zustande, dass osteuropäisches Fahrpersonal aufgrund der Einschränkungen fehlte. Auch haben bspw. viele Beschäftigte wie in anderen Wirtschaftszweigen die „Pause“ zur Neuorientierung genutzt.
In 2021 konnte vor dem Hintergrund, dass sich schon in 2020 eine Erholung abzeichnete, mit einem Wachstum gerechnet werden. Dieses hat unser Expertenkreis mit nominal +5 Prozent prognostiziert, was durch die Veröffentlichung der Messung auch bestätigt wurde. Mit dem Krieg in der Ukraine, der durch den Angriff von Russland am 24.2.2022 begann, folgte ein weiteres überraschendes Ereignis nur zwei Jahre nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Europa. Dieses Ereignis führte dazu, dass der für das Jahr 2022 vorbereitete Bericht des Expertenkreises nicht veröffentlicht werden konnte. Die getroffenen Aussagen und Prognose waren vor dem Hintergrund der Ereignisse zu überarbeiten. Dies erfolgte im Zuge des Berichts zum Jahr 2023. Entgegen der Zielsetzung konnte nur eine vorsichtige Einschätzung über die quantitative Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik im Jahr 2023 veröffentlicht werden – erst Ende Q1/2023 war die Datenlage ausreichend für eine verspätete Veröffentlichung (das Jahr 2024 wird erst im September im Zuge des nächsten Treffens prognostiziert).
Dies zeigt, dass auch bei einer vermeintlich gut abschätzbaren Entwicklung trotz stark wirkender Ereignisse (siehe Prognose zum ersten Corona-Jahr) eine valide Prognose herausfordernd ist. Die Wechselwirkungen sind zu mannigfaltig, ihre Wirkstärke zu unterschiedlich. Dies macht den Expertenkreis der Logistikweisen umso wertvoller, da er unterschiedlichste Persönlichkeiten, Erfahrungen, Expertisen und Meinungen zusammenbringt, die intensiv im Zuge der halbjährlichen Klausurtagen bzw. Gipfeltreffen diskutiert werden. So mag die quantitative Prognose aufgrund der Herausforderungen nicht immer treffsicher sein. Jedoch wird eine Einschätzung über die Relevanz der erwarteten Entwicklungen gegeben, die praxisorientiert und strukturiert generiert wurde.
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