In Jahren mit hoher Unsicherheit ist es eine besondere Herausforderung, eine Aussage über die Entwicklung der Logistik zu treffen. Bekanntlich haben wir als der Expertenkreis der Logistikweisen uns jedoch das Ziel gesetzt, auch oder sogar besonders vor dem Hintergrund einer volatilen Entwicklung eine Orientierung zu geben. Aus diesem Grund haben wir nicht nur die beiden Gipfeltreffen im Frühjahr und Herbst genutzt, um uns über die derzeitige Lage auszutauschen und die analytisch entwickelten Prognosen zu bewerten, sondern auch eine kontinuierliche Online-Befragung der Experten initiiert. Die folgenden Aussagen geben also den aktuellen Stand der Analysen wieder. Ebenso wie viele andere Einrichtungen, die Prognosen veröffentlichen, werden auch wir kontinuierlich unsere Einschätzungen aktualisieren und auch diese veröffentlichen. Kurz: Der Ausblick auf das Wachstum des laufenden Jahres kann sich bis zur Veröffentlichung des Berichts der Logistikweisen im März und der Übergabe an unseren Schirmherrn, den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Steffen Bilger, durchaus ändern. Zu unsicher erscheint die aktuelle Lage noch zu sein. Der vorliegende Blog gibt lediglich die derzeitige Einschätzung wieder.
Vorab sollten Sie sich bewusst sein, dass der gesamte Wirtschaftsbereich Logistik betrachtet wird. Zwar können sich in einzelnen Bereichen der Logistik Effekte zeigen, die stark von der hier formulierten Gesamtaussage abweichen. Beispielsweise mag es sein, dass E-Commerce mit sehr hohen Wachstumsraten aufwarten kann. Da es sich hierbei jedoch um ein Segment handelt, das – je nach Abgrenzung – um die 10 Prozent Anteil am gesamten Wirtschaftsbereich Logistik hat, schlagen sich die Auswirkungen des Wachstums eher in der Nachkommastelle nieder.
Im Folgenden sind die Kernergebnisse in der Zusammenfassung zusammengestellt.
Die aktuelle Hochrechnung für das Jahr 2020 geht von einem Einbruch der Logistikleistung in Höhe von -5 Prozent real und -6 Prozent nominal aus (Stand Januar 2021)
Der Hinweis auf die Auswirkungen, die das Corona-Virus auf die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik haben könnte, wurde in der Ausgabe des Berichtes zum Jahr 2020 (Veröffentlichung 11. Februar 2020) noch sehr vorsichtig, aber deutlich formuliert (siehe dort S. 22). Aufgrund der sich dramatisch veränderten Situation in 2020 haben wir im Expertenkreis kontinuierlich abgefragt, wie die Entwicklung der Logistik aktuell bewertet wird und wie sie sich insgesamt in 2020 entwickeln wird. Die ersten Momentaufnahmen im ersten Halbjahr waren geprägt von dem Eindruck, dass der Wirtschaftsbereich Logistik stark einbrechen und sich erst spät wieder erholen wird. Hier wurde deutlich, wie heftig der Eindruck des Shutdowns zahlreicher Industrieunternehmen im Frühjahr auf die Erwartungen für das Gesamtjahr wirkte. Mittlerweile gehen wir davon aus, dass der Wirtschaftsbereich -6 Prozent nominal einbrechen wird und damit auf das Niveau des Jahres 2017 zurückfällt.
Dieser Einbruch ist insbesondere geprägt von den Rückgängen der Aufträge im Automobil- und Maschinenbau. Beide Schlüsselindustrien verzeichneten bereits in 2019 Rückgänge. Der Maschinenbau konnte sich sogar bis zum Jahresende 2020 im Gegensatz zur Automobilindustrie nicht erholen.
Die aktuelle Mittelfristprognose der BAG, die die Entwicklung des Transportaufkommens nach Tonnen und der Transportleistung nach Tonnenkilometer regelmäßig bewertet, zeigt insgesamt eine Reduzierung des Transportaufkommens von -3,5 Prozent und der Transportleistung von -7,8 Prozent für 2020. Nominal wirken zusätzlich die Preiseinbrüche auf der Straße, dem Verkehrsträger mit ca. 85 Prozent Anteil am Transportaufkommen bzw. 73 Prozent Anteil an der Transportleistung. Auch wenn die Daten noch nicht vollständig statistisch vorliegen (das Ergebnis der Vermessung des Wirtschaftsbereichs Logistik für das Jahr 2020 wird im Herbst 2021 veröffentlicht), sollte die Hochrechnung des Expertenkreises mit -5 Prozent real bzw. -6 Prozent nominal für 2020 größenordnungsmäßig stimmen.
Das Niveau von 2019 wird voraussichtlich bereits 2022 wieder erreicht sein.
Die Hochrechnung zeigt, dass der Einbruch geringer ausgefallen ist als in der Finanzkrise 2019. In dem Jahr verzeichnete der Wirtschaftsbereich Logistik ein Minus von 8 Prozent nominal. Bereits zwei Jahre später wurde das für die Logistik gute Jahr 2008 wieder übertroffen. Wie wird sich der Wirtschaftsbereich Logistik nach der Coronakrise entwickeln? Der Unterschied zu 2009 ist, dass damals alle Wirtschaftsbereiche gleichermaßen an der Erholung teilhaben konnten. Dass diese Erholung der Wirtschaft, auch unterstützt durch zahlreiche politische Instrumente, schnell vonstatten ging, war für viele überraschend.
Die aktuelle Situation ermöglicht nicht jedem Unternehmen, gleichermaßen an dem wieder eintretenden Wachstum zu partizipieren. Ganze Wirtschaftsbereiche dürfen ihre Leistung nicht anbieten. Andere hatten bereits in 2019 mit geringerem Wachstum zu kämpfen. In den drei Jahren vor der Finanzkrise dagegen waren in der Logistik noch nominale Wachstumsraten zwischen 6 und 9 Prozent zu verzeichnen. Es zeigte sich vor der Finanzkrise ein weltweiter Wirtschaftsboom, der kurz unterbrochen und danach weitergeführt werden konnte. Treiber war der Außenhandel, der das exportorientierte Deutschland zum viel beneideten Musterschüler machte.
Im gleichen Zeitraum vor der Coronakrise konnten nur nominale Wachstumsraten in Höhe von 2,5 bis 4 Prozent verzeichnet werden (siehe dort S. 21). Strukturwandel nicht nur in Industrien (Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Digitalisierung und Dienstleistungen), sondern auch in Regionen hat dazu geführt, dass die exportorientierten Wirtschaftsbereiche unter stärkerem Konkurrenzdruck standen. Zu dieser Herausforderung kommt noch der bereits genannte Umstand, dass ganze Wirtschaftsbereiche keine Leistungen erbringen dürfen. Diese Bereiche nehmen für die Logistik einen relativ geringen Teil ein, der auf ca. 10 Prozent geschätzt werden kann. Direkt hat ein Lockdown damit einen geringeren Einfluss auf die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik, als es wahrgenommen wird. Die indirekten Effekte sind hier nicht berücksichtigt.
Ist es unter diesen Bedingungen nun zu schaffen, wie nach der Finanzkrise 2009, innerhalb kurzer Zeit wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen? Nach den Einschätzungen des Expertenkreises wird dies in der zweiten Jahreshälfte 2022 wahrscheinlich der Fall sein. Noch im Herbst waren die Erwartungen – ähnlich wie die von den meisten Prognoseinstituten – verhaltener und lagen eher bei 2023. Hierbei ist zu erkennen, dass die positive Entwicklung insbesondere der Schlüsselindustrien Automobil und Chemie zum Jahresende optimistisch stimmt. Auch die verhältnismäßig schnelle Einführung einer Impfung sollte dem wirtschaftlichen Wachstum weltweit und der Binnennachfrage in Deutschland einen Schub geben. Insbesondere für den privaten Konsum und die private Investition in Gebrauchsgüter wird in 2021 ein Nachholbedürfnis gesehen, auch wenn der Ausgleich der Einbrüche in den Segmenten, die vom Lockdown besonders betroffen sind, faktisch nicht möglich sein wird.
Ergebnis 2: Für das Jahr 2021 wird mit einem Wachstum von +3,1 Prozent real bzw. +4,4 Prozent nominal gerechnet
Mit einem Wachstum im Jahr 2021 rechnen nahezu alle Wirtschaftsbereiche. Dies war zu Beginn der Corona-Krise und auch noch im Herbst 2020 nicht so eindeutig. Eine Impfung war nicht in Sichtweite, die wachsenden Fallzahlen im Herbst/Winter mit der Konsequenz weiterer Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus dämpften die Ausblicke, die Schlüsselindustrien befanden sich bereits vorher in einem Strukturwandel. An vielen Stellen zeigte sich jedoch deutliche Erholung. Diese fußte auf zahlreichen Maßnahmen der Politik in Deutschland und der EU, aber auch auf der wieder wachsenden Nachfrage aus den USA und Asien. Dass die Prognosen in solch unsicheren Zeiten volatil sind, liegt dementsprechend nahe. So hat der Expertenkreis für die Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Logistik im Herbst noch einen Korridor veröffentlicht, der von einem Wachstum zwischen +2,7 und +3,3 Prozent real bzw. zwischen +4,0 und +4,8 Prozent nominal ausging. Die Einschätzung des Expertenkreises, erhoben Ende Dezember 2020 gekoppelt mit der Aktualisierung der Einzeldaten, führt zu einem erwarteten Wachstum in Höhe von +3,1 Prozent real bzw. +4,4 Prozent nominal in 2021. Diese Einschätzung speist sich aus zahlreichen Einzelindikatoren (siehe dort S. 119ff.), die im Bericht für einzelne Segmente detaillierter beschrieben werden (Veröffentlichung im März 2021 nach Übergabe an den Schirmherrn).
Fokus Einzelhandel und Konsumgüter
Der Einzelhandel ist geprägt von Gewinnern und Verlierern. Der stationäre Einzelhandel von Gebrauchsgütern wie Bekleidung, Möbel oder Elektronikartikeln musste nicht nur in 2020 zwei Perioden der Schließungen verzeichnen und verlor insbesondere das wichtige Weihnachtsgeschäft. Auch in 2021 mussten sie nach Stand zum Redaktionsschluss am 1. Februar 2021 weiterhin ihre Türen geschlossen halten. Die Befürchtungen bestehen, dass viele der Einzelhändler auch nach der Lockerung der Maßnahmen aufgrund der zu erwartenden Hygienemaßnahmen Einbußen verzeichnen werden. Auf einen Nachholeffekt hofft dieses Segment. Dieser wird niedrig ausfallen, da die Umsätze in andere Kanäle gewandert sind, wie im Weiteren beschrieben wird. Deshalb wird hier mit Insolvenzen gerechnet.
Ein weiterer Verlierer, der diesem Bereich zugeordnet werden kann, ist die Gastronomie. Ähnlich wie der genannte stationäre Einzelhandel von Gebrauchsgütern leidet dieser Wirtschaftsbereich unter den Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus. Die Einbrüche waren in 2020 deutlich. Ein Nachholeffekt kann nur in einem geringen Maß erwartet werden.
Dagegen profitieren die Lebensmitteleinzelhändler und Food-Lieferdienste deutlich. Der Konsum von Lebensmitteln findet nun zu Hause statt. Die Lebensmittelprodukte werden damit mehr in die Supermärkte bzw. deren Regional- und Zentrallager transportiert. Zahlreiche Mengen sind vom Großhandel, der der Hauptversorger der Gastronomie ist, zum Einzelhandel gewandert. Tendenziell hat sich der Bedarf an Gütern in diesem Fall weder in 2020 stark verändert, noch wird dies in 2021 stattfinden. Die Verluste einzelner aufwändigerer Zulieferungen an größere Küchen bzw. Abnehmer wird durch die kleinteiligere Distribution in die Filialen der Lebensmitteleinzelhändler kompensiert. Für den gesamten Wirtschaftsbereich Logistik bedeutet dies im Großen und Ganzen ein Nullsummenspiel.
Anders sieht dies bei den Gebrauchsgütern aus, die stationär über eine gewisse Zeit nicht mehr erworben werden konnten. Hier hat nicht nur eine Verlagerung auf den Online-Kanal stattgefunden, wie dies auch die Zahlen des bveh zeigen. Das dahinterliegende Wachstum bedeutet auch einen deutlichen Mehraufwand für die Logistik, sodass die Logistik für den Einzelhandel (stationär und online) in Summe trotz oder eher wegen der Verlagerung wächst. Dieser Trend wird zumindest in 2021 Bestand haben und damit auch ohne höheren Konsumausgaben ein Wachstum in der Logistik bedeuten.
Der Expertenkreis geht von einer Erholung in 2021 aus, die nicht nur durch nachgeholte Investitionen in Gebrauchsgüter gestützt wird, sondern auch durch ein größeres Vertrauen in den Aufschwung. Diese Annahme fußt auf den Prognosen verschiedener Forschungsinstitute, die zwar korrigiert wurden, aber trotzdem noch von einem Wachstum ausgehen. Auf Basis dieser Ausblicke geht der Expertenkreis davon aus, dass die Logistik für den stationären und Online-Einzelhandel sowie den Gastronomiebereich inkl. der Food-Delivery-Services ein Wachstum von rund 6 Prozent nominal verzeichnen wird.
Andere Wirtschaftsbereich werden tendenziell weniger Beitrag zum Wachstum leisten. So wird die Logistik für den Maschinenbau eher stagnieren und für den Automobilbau maximal leicht wachsen. Die Chemieindustrie hatte bereits 2019 ein schwieriges Jahr, weswegen dort mit einer deutlicheren Erholung ausgegangen wird. Gleiches ist in der Elektroindustrie zu erwarten, die u.a. von der weiteren Digitalisierung profitieren wird.
Sehen wir, wie die Pandemie-Lage sich weiter entwickelt. Im März können Sie und ich anhand des Berichtes checken, wie gut wir mit der vorliegenden Einschätzung waren.
Der Expertenkreis:
Dr. Andreas Backhaus (ehemals BASF), Berit Börke (TX Logistik), Dr. Andreas Froschmayer (DACHSER), Dr. Christian Grotemeier (BVL.digital), Gerd Hailfinger (geberit), Frauke Heistermann (AXIT.capital), Dr. Christian Jacobi (agiplan), Prof. Dr. Christian Kille (FHWS), Matthias Klug (STILL), Wolfgang Lehmacher, Eric Malitzke (DPD), Markus Meißner (AEB), Michael Müller (Müller – die lila Logistik), Dr. Alexander Nehm (Logivest Concept), Klemens Rethmann (Rhenus), Dr. Torsten Rudolph (Rudolph Logistik), Prof. Dr. Thorsten Schmidt (TU Dresden), Marc Schmitt (Evertracker), Arnold Schroven (Schroven Consulting), Martin Schwemmer (Fraunhofer SCS), Dr. Stefan Schwinning (Miele), Harald Seifert (Seifert Logistics), Lars Siebel (REWE), Dr. Michael Sternbeck (dm), Prof. Dr. Wolfgang Stölzle (Uni St. Gallen), Jens Wagener (Commerzbank), Dr. Steffen Wagner (KPMG), Kerstin Wendt-Heinrich (TOP Mehrwert-Logistik), Patrick Wiedemann (Reverse Logistics Group), Prof. Dr. Peer Witten (LIHH)
Leave a Reply