Das Jahr 2022 liegt in seinen letzten Zügen. In den vergangenen Monaten ist viel passiert: von den Klimaaktivisten auf der Straße bis hin zu den fossilen Aktivisten beim COP27 haben viele Interessensgruppen den Diskurs rund um die Dekarbonisierung des Gütertransports geprägt.
Aber was ist operativ im Jahr 2022 passiert? Wo stehen z. B. die 500.000 überwiegend sehr kleinen Akteure des europäischen Straßengüterverkehrs? Einen kleinen Einblick gewährt die Studie „Decarbonizing Freight 2022“, die Transporeon gemeinsam mit dem Smart Freight Centre und meinem Kollegen Alan McKinnon von der Kühne Logistics University durchgeführt hat. In einer Umfrage wurden zum dritten Mal in Folge Transportdienstleister und ihre Auftraggeber zu verschiedenen Themen der ökologischen Nachhaltigkeit befragt. Eine Analyse der Vorjahresergebnisse gibt es zum Beispiel hier, die gesamte Studie dieses Jahres kann hier eingesehen werden. Wo stehen wir also? Dafür möchte ich drei Aspekte herausgreifen.
Berechnungskompetenz: Knapp 60% der befragten Transportdienstleister geben an, dass sie transportbezogene Treibhausgasemissionen berechnen können. Das klingt gut und ist eine deutliche Verbesserung zum Vorjahreswert. Das bedeutet aber auch, dass im Jahr 2022 noch immer 40% der Transportdienstleister ihre Emissionen nicht berechnen können. Und dass, obwohl der erste Schritt nun wirklich nicht schwierig ist: man multipliziere den Treibstoffverbrauch mit einem Standardemissionsfaktor. Woran liegt es also wirklich?
Alternative Treibstoffe: Bei der Frage, welche alternativen Treibstoffe die Transportdienstleister priorisieren, zeigt sich zum Vorjahr eine deutliche Verschiebung weg von Wasserstoff hin zu Biodiesel, HVO und LNG. Es erfahren also Lösungen wachsenden Zuspruch, die im Mittel weniger kapitalintensiv und bereits heute verfügbar sind, die allerdings auch ein geringeres Einsparpotenzial aufweisen.
Treibstoffeffizienz: Bei der Frage, welche Maßnahmen zur Erzielung höherer Treibstoffeffizienz bekannt sind und genutzt werden, erklären Transportdienstleister durch die Bank, dass jahrzehntelang diskutierte Optionen wie aerodynamische Verbesserungen, Reifen mit niedrigerem Rollwiderstand, Fahrertraining usw. nur in erstaunlich geringem Maße bekannt sind und auch eingesetzt werden. In einer nicht unbedingt margenintensiven Branche erscheint das paradox. Oder nicht?
Als Wissenschaftler ist es mir wichtig, an dieser Stelle einen Disclaimer zu setzen, der beim Interpretieren solcher Studien allzu gerne vergessen wird: Die Ergebnisse sind nicht zwingend repräsentativ für die Grundgesamtheit aller europäischen Transportdienstleister. Außerdem sind die Samples aus 2021 und 2022 zwar sehr ähnlich, aber eben nicht identisch. Unterschiede können also mindestens in Teilen zufällig sein.
Aber zurück zum Thema. Zusammengefasst zeigen die Umfrageergebnisse: es geht in die richtige Richtung. Mit ausreichend Schwung? Da bin ich skeptisch, muss aber an ein Gespräch von vor ein paar Monaten denken. Damals hatte Wolfgang Lehmacher die Anstrengungen zur Dekarbonisierung des Transports mit einem Raketenstart verglichen: man steckt enorme Energieaufwendungen in den Start und trotzdem sieht es zu Beginn so aus, als würde sich nichts bewegen. Bis die Rakete dann doch abhebt und stetig an Geschwindigkeit gewinnt. Ich mag dieses Bild, denn es lässt optimistisch in die Zukunft blicken.
Damit eine Rakete abhebt, muss die Schubkraft größer als das Startgewicht sein. Die Schubkraft nimmt zu, das ist auch über den oben vorgestellten empirischen Ausschnitt hinaus deutlich zu erkennen. Ambitionierte Reduktionsziele großer Logistiker und Versender, Gesetzesinitiativen, viele hoch motivierte Nachhaltigkeitsverantwortliche, zunehmende technologische Reife und beginnende Marktdurchdringung „echter“ Alternativen zu fossilen Treibstoffen – die Liste an positiven Signalen ist lang. Leider wächst aber auch das Startgewicht der Rakete: durch einen weiter steigenden Treibhausgasausstoß oder plattes Greenwashing. Und durch Abwarten und Aussitzen: „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt anzufangen, wir müssen erst einen anderen Brand löschen.“ Oder: „Ich warte erstmal ab, bis sich ein dominanter Pfad herauskristallisiert hat.“ So oder so ähnlich habe ich das in den letzten Monaten häufig gehört. Für 2023 wünsche ich uns, dass endlich alle Akteure anfangen Schubkraft aufzubauen. Denn dafür brauchen wir keinen perfekten Plan der Zukunft – die grundsätzliche Richtung sollte bei dieser Rakete klar sein.
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