Teil 2: Die richtige Integration des Supply Chain Management in die Aufbauorganisation
In Teil 1 meines Blogs (erschienen 17.09.2017) habe ich die Frage behandelt, welche Aufgaben in der Supply Chain der Organisationseinheit „Supply Chain Management“ zugeordnet werden sollten – kurz „die richtigen Aufgaben für das SCM“. Hintergrund ist, dass es in der Praxis unterschiedlichste Abgrenzungen zwischen dem SCM (bzw. – im Blog synonym verwendet – der Logistik) und Funktionen wie Einkauf, Produktion, Marketing / Vertrieb gibt und damit viele Gestaltungsoptionen bestehen.
Im zweiten Teil möchte ich Lösungsansätze darstellen und begründen, wie das SCM in die Unternehmensorganisation integriert werden kann. Dabei lassen sich Zusammenhänge zwischen den Aufgabenschwerpunkten des SCM, also Design / Optimierung, Steuerung, Ausführung und Überwachung, und der richtigen organisatorischen Integration darstellen. Ausgangspunkt sind verschiedene klassische Organisationsansätze. In einem Exkurs wird zudem der richtige Zentralisierungsgrad des SCM für komplexe divisionale Unternehmen angerissen.
Die Überlegungen basieren auf meiner langjährigen Erfahrung als Bereichsleiter SCM in einem weltweit tätigen Industrieunternehmen sowie auf zahlreichen Beratungs- und Umsetzungsprojekten. Sie sind allgemein gehalten und müssen naturgemäß im konkreten Einzelfall vertieft werden. Darüber hinaus wird der Blickwinkel aus Sicht SCM immer nur eine von vielen Perspektiven darstellen, er muss sich in den Gesamtrahmen von Organisation und Führung einfügen.
Nullvariante
In der Nullvariante gibt es keine eigenständige Organisationseinheit SCM. Die Aufgaben in der Supply Chain werden durch andere Bereiche und Abteilungen wahrgenommen, wie Einkauf und Materialwirtschaft, Produktion, Vertrieb, IT/Organisation etc. Die Nachteile fallen sofort ins Auge: Die ganzheitliche Optimierung des Kernprozesses Supply Chain hat keinen Fürsprecher, Synergien in Planung, Steuerung und Ausführung werden nicht systematisch wahrgenommen. Diese Variante aus der „logistischen Steinzeit“ soll daher nicht weiter vertieft werden.
Projektorganisation
In der Projektorganisation werden Aufgaben der Supply Chain lediglich als Projekte bearbeitet, was den „einmaligen“ Charakter einschließt. Auftraggeber ist z.B. der Verantwortliche eines Geschäftsbereiches, das Projektteam wird aus Linienmitarbeitern, generell für Projekte vorgesehenen Mitarbeitern und/oder Externen besetzt. Die Projektorganisation fokussiert naturgemäß auf Design und Optimierung. Sie ist eine ideale Ergänzung für andere Organisationsformen, „frische“ Themen wie die Digitalisierung finden hier Platz. Außerdem existieren noch immer Unternehmen ohne eigenes SCM, hier kann ein Projekt eine sinnvolle erste Entwicklungsstufe bilden.
Teamorganisation
Bei der Teamorganisation werden Aufgaben der Supply Chain in interdisziplinären Teams aus verschiedenen Bereichen und Abteilungen wahrgenommen. Im Gegensatz zur Projektorganisation trägt diese einen dauerhaften, regelmäßigen Charakter. Ein ideales Aufgabenfeld ist die Planung und Steuerung der Supply Chain, z.B. monatliche Abstimmungsrunden zwischen Geschäftsbereich, Produktion und Einkauf. Auch wiederkehrende Aufgaben im Bereich Design und Optimierung können in Teams bearbeitet werden, z.B. die Weiterentwicklung von Prozessen und Regeln. Wer aber führt das Team verantwortlich, wie kann die notwendige Fokussierung der Mitarbeiter erreicht werden? Als alleinige Organisationsform für das SCM ist die Teamorganisation nicht geeignet, vielmehr kann sie eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Organisationsformen bilden.
Stabsorganisation (Stab-Linien-Organisation)
Bei der Stabsorganisation (oder Stab-Linien-Organisation) wird die funktionale Organisation mit einem Stab SCM ergänzt. Stäbe sind hierarchisch direkt an Leitungsfunktionen angebunden. Sie entwickeln üblicherweise Strategien und Konzepte und unterstützen die Führung. Bezogen auf die Supply Chain heißt das, das sowohl Design und Optimierung als auch Überwachung der Supply Chain durch einen Stab erfolgen können. Für die Ausführung der Logistik ist die Stabsorganisation ihrer Natur entsprechend ungeeignet. Bei der Steuerung können Stäbe (im Sinne der Führungsunterstützung) durchaus eine Rolle spielen, wenn nämlich die komplette Ausführung an einen Logistikdienstleister vergeben ist.
Matrixorganisation
Bei der Matrixorganisation erfolgt die Leitung durch zwei unabhängige, gleichberechtigte Dimensionen, die z.B. nach Verrichtungen und Produkten strukturiert sind (Produktbereiche, Geschäftsfelder, Regionen, …). Um Führungskonflikte zu entschärfen, wird im Einzelfall unterschieden nach disziplinarischer und fachlicher Weisungsbefugnis. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur Stabsorganisation, die per se keine Weisungsbefugnis hat.
Das SCM kann in einer Matrixorganisation Design und Optimierung sowie die Überwachung der Supply Chain zentral wahrnehmen. Werden Steuerung und Ausführung der Logistik durch die verschiedenen Produktbereiche jeweils disziplinarisch und kostenseitig verantwortet, kann das SCM über eine „dotted line“ fachlich führen: Es gibt Prozesse und Systeme vor, stellt fachliche Qualifikation und Qualität sicher, berücksichtigt übergreifende Synergien, ist beim Zielvereinbarungs- und Zielüberwachungsprozess beteiligt etc.
Seltener, aber denkbar ist auch der umgekehrte Fall, dass das SCM in der Matrix die ausführende Logistik der Produktbereiche und ggf. die Steuerung disziplinarisch führt, diese aber fachlich den Produktbereichen zugeordnet sind.
Beide Organisationsformen – Stab und Matrix – eignen sich für den Aufbau von Prozessmanagern, die Supply-Chain-Prozesse definieren, dokumentieren, implementieren, überwachen und verbessern, ohne operativ verantwortlich zu sein.
Funktionale Organisation
Die funktionale Organisation unterscheidet zwischen teilintegriertem und (voll-) integriertem SCM (siehe BME/FH SWF-Logistik-Umfrage 2015/16 ).
Beim teilintegriertem SCM werden Supply-Chain-Aufgaben in einer funktionalen, anderen Bereichen oder Abteilungen wie Produktion, Marketing und Vertrieb gleichwertigen Organisationseinheit zentralisiert. Diese Organisation bietet sich v.a. für die Ausführung an. Sie kann ergänzt werden durch weitere Aufgaben aus dem gesamten SCM-Spektrum, also Design und Optimierung, Steuerung sowie Überwachung.
Das vollintegrierte SCM umfasst alle relevanten Aufgaben der Supply Chain, d.h. ggf. auch die Unterordnung von Produktions- und Einkaufsaufgaben. Dies erlaubt eine durchgängige Optimierung der Supply Chain ohne Schnittstellenverluste. Andererseits steht der vollintegrierte Ansatz in Konkurrenz zu klassischen und absolut berechtigten Organisationformen, wie im ersten Teil des Blogs dargestellt wurde. Ein vollintegriertes SCM bietet sich daher für sehr logistikaffine Unternehmen an.
Großer Vorteil der funktionalen Organisation sind die klaren Verantwortlichkeiten für Investitionen, Budget und Kosten bzw. Ergebnis.
Exkurs: SCM in divisionalen Unternehmen
Mittlere und größere Unternehmen sind häufig divisional aufgestellt, mit mehr oder weniger unabhängigen Produktbereichen, Geschäftsfeldern oder Regionen. Hier stellt sich die Frage nach dem richtigen Zentralisierungsgrad der SCM-Organisation. Die Antwort muss sich natürlich in die Führungs- und Organisationsgrundsätze des betrachteten Unternehmens einfügen, sie lässt sich abstrakt kaum beantworten.
Denkt man die Divisionen als weitgehend eigenständige Unternehmen, gibt es zu einer dezentralen Steuerung und Überwachung kaum Alternativen.
Sinnvoll kann es in jedem Fall sein, die Aufgaben Design und Optimierung zu zentralisieren, um standardisierte Prozesse, Führungsinstrumente und Best-Practice-Konzepte effizient, effektiv und flexibel skalierbar auszuarbeiten und durchzusetzen. Dieses gilt umso mehr, wenn auch die – inhaltlich eng mit den Supply-Chain-Prozessen verwobenen – ERP-Systeme zentralisiert sind. Das wäre ein zentraler SCM-Planungsstab, wie er in der Praxis zu finden ist.
Bezüglich der ausführenden Aufgaben sollten die potenziellen Synergien bei den Materialflüssen im Vordergrund stehen. Um eine emotionslose Diskussion im Unternehmen darüber zu erleichtern, kann man sich die Frage stellen: Wie würde sich ein Dienstleister aufstellen, der die Logistik mehrerer Divisionen übernimmt? Wenn durch eine divisionsübergreifende Nutzung von Logistikstandorten und Transportnetzwerken erhebliche Kostenvorteile realisiert werden können, ohne in Komplexität zu ersticken, bildet das ein starkes Argument für eine zentrale Wahrnehmung der Logistik-Ausführung. Diese kann – analog zu eigenen Produktionsgesellschaften – in einer Logistikservice-Gesellschaft gebündelt und natürlich auch fremdvergeben werden.
Fazit und Ausblick
Die folgende Abbildung fasst die Eignung unterschiedlicher Integrationsformen des SCM in Abhängigkeit vom Aufgabenschwerpunkt zusammen:
Der letzte Teil des Blogs zur SCM-Organisation erscheint Ende November. Dann werde ich ein Vorgehen für die Re- oder Neuorganisation des SCM darstellen. Dazu gehört auch ein Vorschlag für die Bewertung unterschiedlicher Organisationsalternativen.