Die Logistikerin Sabrina Hurek berichtet, wie sie in Mosambik für geflüchtete Familien Hilfspakete organisierte. Über Autopannen, fehlende Masken und schlaflose Nächte.
Montagmorgen um 4:30 Uhr in Montepuez. Die Sonne steht bereits am Himmel, die Luft in unserem kleinen unklimatisierten Lagerbüro ist warm. Gut geschlafen habe ich nicht – meine Gedanken drehten sich stundenlang im Kreis. Kein Wunder: Vergangene Nacht hatte ich mit einem unserer sieben LKW-Fahrer telefoniert. Sein Transporter stecke irgendwo zwischen Montepuez und unserem Zielort fest, teilte er mir mit. Der LKW-Konvoi bringt sogenannte Notfallkits von Ärzte ohne Grenzen zu Geflüchteten. Die 1700 Hilfspakete beinhalten unter anderem 2800 Plastikeimer, 7000 Stück Geschirr und Besteck, 6000 Masken, 8000 Damenbinden, 7000 Zahnbürsten und Zahnpastatuben sowie mehrere Tausend Decken.
Alles ist minutiös geplant. Nur so können wir die Sicherheit gewährleisten – die, der Empfänger*innen unserer Kits, der Kits selbst und die unserer Teams. Doch was ist mit dem liegengebliebenen LKW? Alles kein Problem, versicherte mir der Fahrer letzte Nacht am Telefon. Das Ersatzteil sei schon auf dem Weg. Diesen Optimismus hätte ich auch gerne! Bloß nicht die Nerven verlieren, dachte ich mir nach dem Gespräch.
Nicht erreichbar
Nun ist frühmorgens und ich sammele meine Gedanken. Nicht einfach nach dem wenigen Schlaf. Den Fahrer des liegengebliebenen LKWs versuche ich gleich anzurufen. Aufgrund von Netzproblemen erreiche ich ihn nicht mehr. Dafür funktioniert es bei einem der anderen sechs Fahrer. Er informiert mich, dass der eine LKW noch feststeckt, die restlichen Transporter aber weitergefahren sind, um den Großteil der Fracht pünktlich ans Ziel zu bringen.
Solche Momente sind für mich Stress pur. Seit dreieinhalb Jahren arbeite ich als Logistikerin bei Ärzte ohne Grenzen – und seit Januar 2022 in Mosambik. Ich plane, beauftrage und koordiniere, um die benötigten Materialien vorrätig zu haben, so dass die medizinischen Aktivitäten vor Ort reibungslos durchgeführt werden können. Zu meinen Aufgaben gehört so unter anderem der Einkauf, die Lagerung und natürlich auch der Transport dieser Materialien. Doch das Gelingen der Arbeit setzt eben voraus, dass auch alles nach den strikten Plänen verläuft, die wir miteinander erarbeiten.
Der Plan war schlüssig – die Wirklichkeit sah anders aus
Unser Plan war schlüssig und robust. Insbesondere, da wir aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse und dem Risiko von starken Regen eine solide Pufferzeit von etwa zehn Stunden eingeplant hatten.
Der Konvoi aus sieben LKWs – ein Fahrzeug wiegt zehn Tonnen – sollte demnach gestern, am Sonntag, um fünf Uhr in Montepuez starten und dann am gleichen Tag abends in einer rund 200 Kilometer entfernten Stadt ankommen. Am Tag darauf, also am heutigen Montag, hätte unser Team dann vor Ort die Hilfspakete an die Familien verteilt.
Die Erstellung des Plans dauerte drei Tage. Mit der Hilfe von zwei Flipcharts, einem White Board und drei Ventilatoren hatten mein fünfköpfiges Team und ich den besten Weg zur fehlerfreien Fertigstellung der Kits sowie die beste Beladungsstrategie der LKWs erarbeitet. Weitere 25 Helfende unterstützten uns dabei.
Wichtig ist, dass wir im Laderaum maximal zwei Plastikeimer übereinanderstapeln, damit bei den unbeständigen Straßenverhältnissen nichts zu Bruch geht. Darüber hinaus ist es notwendig, die Platzverhältnisse am Ort der Verteilung zu kennen. Neben den Eimern, die den Großteil der Bestandteile des Kits umfassen, enthält das gesamte Hilfspaket auch einen separaten Sack mit weiteren Elementen und in manchen Fällen zusätzlich noch einen 20 Liter schweren Wasserbehälter. Daher ist es wichtig zu entscheiden, ob wir die LKWs mit vollständigen Kits beladen oder ob die LKWs separat jeweils mit Plastikeimern, Säcken und Wasserbehältern gefüllt werden.
Eine gute Sache, die alle anspornt
Für Freitag war die Anlieferung von fehlenden Bestandteilen der Kits durch lokale Lieferanten sowie die weitere Zusammenstellung von 500 Paketen geplant. Unsere Basis glich einer Produktionsstraße aus dem Lehrbuch für Massenherstellung – wie eine kleine Fabrik. 500 Plastikeimer reihten sich aneinander und 20 Kolleg*innen schritten die Behälter unter der brütenden Sonne ab, jede*r mit einer anderen Komponente in der Hand. Sie ließen immer genau die richtige Anzahl an Gegenständen in die Eimer fallen.
Zwischendurch hielt ich oft inne und war überwältigt von der Motivation meines Teams. Jede Person wusste, dass wir mit unserer Arbeit tausenden geflüchteten Männern, Frauen und Kindern helfen, sich eine akzeptable Unterkunft in einem Flüchtlingslager einzurichten. Eine gute Sache, die uns alle anspornte.
Schnell holte mich die Realität aber wieder ein. Etwa durch einen Telefonanruf meines Projektkoordinators, der die Anzahl der benötigten Kits um 100 erhöhte. Da sich die genaue Anzahl der Geflüchteten am Zielort immer wieder änderte, war es eine große Herausforderung, die passende Menge an Hilfspaketen zu bestimmen. Oder durch die Nachricht, dass die von einem Lieferanten zugesagte Liefermenge der Stoffmasken nicht eingehalten wurde. 6000 Masken mussten dadurch nachbestellt werden. Sie würden später kommen als geplant. Das war ärgerlich, aber auch verständlich, da wir die Bestellung erst drei Tage vorher in Auftrag gegeben hatten.
Die Sonne brannte und unser Zeitplan war straff. Wir hatten noch einen Tag, um die LKWs fertig zu beladen.
Jeder wusste, was zu tun ist
Die Arbeitswoche war rum, aber unser Transport noch nicht fertig. Am Samstagmorgen um 6:30 Uhr waren wir daher alle wieder da, um anzupacken und das Material zu verladen – ungeachtet des Wochenendes, das wir eigentlich hatten. Die 6000 fehlenden Masken wurden zum Glück noch pünktlich geliefert und auch die angeforderten LKWs trafen wie abgemacht auf unserer Basis ein.
Der Ablauf unserer Bewegungen glich erneut einer perfekt abgestimmten Maschine. Jeder wusste, was zu tun ist: Eine Person zählte die Kits im Lager durch und stellte sicher, dass die richtige Anzahl herausgetragen wird. Mit einer Kette von 20 Kolleg*innen schleppten wir dann die rund fünf Kilogramm schweren Hilfspakete über 50 Meter zu den LKWs. Hier überprüften zwei Personen die korrekte Anzahl der Kits, während wiederum in den Fahrzeugen zwei Kolleg*innen die Pakete in die finale Position brachten.
Pünktlich zum Sonnenuntergang waren alle sieben LKWs beladen, die Transportdokumente unterzeichnet und gestempelt, alle Fahrer kannten dazu den Ablaufplan. Noch einmal schlafen, dann konnte es am Sonntagmorgen losgehen. Alles bestens, alles geschafft! Oder?
Es gibt immer eine Lösung
Jetzt – an diesem frühen Montagmorgen in Montepuez im Lagerbüro, bin ich klüger. Da war schließlich immer noch der havarierte LKW, der nach der Abfahrt auf der Strecke liegengeblieben war.
Der beste Plan, das motivierteste Team und die effizienteste Zeitplanung nützen nichts, wenn am Ende der Auspuff versagt. Aber von dieser eigenwilligen Realität lassen wir uns nicht unterkriegen. Ein paar Anrufe und es ist geschafft – wir schicken zügig einen weiteren, leeren LKW los, der die Fracht des gestrandeten Fahrzeugs aufnimmt. Mit knapp 24 Stunden Verspätung trifft der neue LKW dann auch am Zielort ein. Die anderen Hilfspakete waren da schon längst verteilt.
Nach getaner Arbeit trinke ich zusammen mit meinem Team einen Kaffee. Durch die Anstrengungen der vergangenen Tage haben wir Schweiß auf der Stirn. Wir sind alle sehr stolz, dass wir unser Ziel erreicht haben.
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