Der Tag der Logistik zeigt seit vielen Jahren der breiten Öffentlichkeit, wie wichtig der drittgrößte Wirtschaftsbereich für die Wirtschaft und die Gesellschaft ist. Initiiert wurde er von der Bundesvereinigung Logistik e.V. Dieser Aktionstag hat sich mittlerweile etabliert und bietet für zahlreiche Logistikunternehmen die Möglichkeit, sich, ihre Leistung und die Berufschancen zu präsentieren.
Auch im Jahr 2022 stieß die bundesweite Initiative auf großes Interesse. Mehr als 5.700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten rund 156 Veranstaltungen. Bei der erstmals durchgeführten zentralen Online-Veranstaltung, dem live aus dem House of Logistics and Mobility (HOLM) in Frankfurt am Main gestreamten Logistik-Lunch, konnten sich rund 280 Logistik-Interessierte rund um die Themen Ausbildung und Karriere, Versorgungsfunktionen in Ballungszentren und dem ländlichen Raum, Ressourcenplanung und Automatisierung sowie moderne technische Hilfsmittel für die Arbeitserleichterung informieren.
Insbesondere mit Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 haben auch die Privathaushalte realisiert, wie wichtig eine zuverlässige Versorgung ist. Zum Tag der Logistik 2022 wurde von Amazon nun eine repräsentative Umfrage angestoßen, die die Entwicklung der Logistikwahrnehmung in den letzten zwei Jahren erfassen sollte. Die Ergebnisse wurden als Studie veröffentlicht. Dabei sind interessante Ergebnisse herausgekommen, die ich kommentieren durfte und die auch für mich überraschend waren.
Rahmendaten zur Umfrage
Im Vorfeld des Tags der Logistik wurden mit der repräsentativen Umfrage „Arbeitswelt Logistik“ unter 1.001 Befragten im März 2022 die Einschätzungen zu Funktionen und Karrierechancen im Wirtschaftsbereich Logistik ermittelt. Insgesamt wurden vier Themencluster abgefragt:
- der Wirtschaftsbereich Logistik, seine Bedeutung und Funktion
- Beschäftigungs-, Berufs- und Karrieremöglichkeiten in der Logistik
- Logistikansiedlungen, ihre Chancen und Risiken für Kommunen und ihre Bevölkerung
- Innovations- und Zukunftsfähigkeit der Logistik
Für die weitere Vorstellung der Ergebnisse ist insbesondere wichtig, dass die Breite der Gesellschaft in ihren Alters-, Ausbildungs- und beruflichen Strukturen abgebildet ist. Dies ermöglicht interessante Schlussfolgerungen.
Überraschung Nr. 1: Logistik ist für die Mehrheit der Bevölkerung wirklich wichtig
Zwei Drittel der Befragten können nicht irren: sie bewerten die Logistik als wichtig. Sicherlich würden bei dieser Frage die wenigsten der Logistik eine gewisse Relevanz absprechen. Dass jedoch ein sehr großer Teil (fast 30 Prozent) die Logistik als „extrem wichtig“ bewerten, ist doch überraschend. Ob nun die aktuellen Krisenherde dazu geführt haben, dass das Bild so positiv ausfällt, oder ob die seit Jahren erfolgte Sensibilisierung der Interessensvertretungen für das Thema in der breiten Bevölkerung Früchte getragen hat, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Die meisten Stimmen in der Fachwelt sehen die Pandemie als die wichtigste Triebfeder für diese Entwicklung der Wahrnehmung. Es liegt nun auch an uns als Akteure der Logistik, dieses positive Bild zu nutzen und von der rationalen Relevanz zur emotionalen Attraktivität zu führen. Dafür ist noch viel zu tun. Nachholbedarf liegt in der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit, in der Positionierung als attraktiver Arbeitgeber und als gern gesehener Nachbar, in der kooperativen Zusammenarbeit und der gemeinsamen Förderung von Innovationen, um einen Beitrag zu leisten, die (Logistik-) Welt besser zu machen.
Überraschung Nr. 2: Zuverlässigkeit schlägt Geschwindigkeit
Bei einer Befragung der breiten Bevölkerung ist es notwendig, dass ein Thema der Logistik in den Mittelpunkt gestellt wird, mit dem die Mehrheit konfrontiert wird. Direkt geschieht dies bei jeder Online-Bestellung physischer Güter. Dass Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Kontext bei der logistischen Abwicklung Einfachheit und niedrige Kosten erwarten, war zu erwarten. Dass aber die Zuverlässigkeit entgegen allen Marketingaktionen der Vergangenheit und der „neuen“ Geschäftsideen der Gegenwart die Geschwindigkeit schlägt, sollte einige Marktakteure aufhorchen lassen. Der Bevölkerung ist offensichtlich bewusst, dass es weniger darum geht, dass etwas schnell geliefert wird, sondern zu dem Zeitpunkt, zu dem es gebraucht wird. Dies bedeutet nicht, dass die benötigte Zeit bis zur Auslieferung nicht mehr relevant ist (dafür ist die Bewertung zu hoch). Vielmehr erwarten die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass sie zu dem Zeitpunkt beliefert werden, der versprochen wurde. Auch werden wahrscheinlich mehr Möglichkeiten erwartet, den Anlieferzeitpunkt (und ggfls. auch den konkreten Anlieferort) wählen zu können, um die Sendung in Empfang nehmen zu können.
Überraschung Nr. 3: Nachhaltigkeit spielt eine untergeordnete Rolle
Die Klimaschutzdiskussionen haben überraschenderweise immer noch nicht dazu geführt, dass dieses Thema für die Befragten eine hohe Relevanz hat. Weder die soziale, noch die ökologische Nachhaltigkeit genießen eine besondere Relevanz bei der Erwartungshaltung (sie sind mit Abstand als unwichtigste Faktoren bewertet worden). Trotzdem bleibt die eingangs formulierte Aussage richtig: Die Logistik spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg des Standorts Deutschland zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür ist sie in der ökologischen Wahrnehmung in Form von Verkehrsaufkommen und Logistikimmobilien bzw. in der sozialen Wahrnehmung als eine der größten Arbeitgeberinnen zu dominant. Es mag sein, dass aktuell der Preis im wahrsten Sinne des Wortes von den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch nicht gezahlt werden will, der für mehr Ausgaben in Klima- und Umweltschutz sowie höhere Löhne und attraktivere Arbeitsplätze notwendig wäre. Doch sind schon jetzt von allen Akteuren der Logistik Maßnahmen zu treffen, um den Anforderungen nicht nur zu genügen, sondern sie auch zu übertreffen. Die Logistik hat einen Rückstand gegenüber manch anderem Wirtschaftszweig, der aufgeholt werden muss.
Überraschung Nr. 4: Image der Logistik bei Frauen besser
Noch werden die Karrierechancen in der Logistik nur von einem Drittel und damit nicht von der Mehrheit der Befragten als besser oder deutlich besser gegenüber anderen Wirtschaftszweigen eingeschätzt. Überraschend ist dabei, dass die weiblichen Befragten die Karrieremöglichkeiten und die Sicherheit des Arbeitsplatzes deutlich besser bewerten als die männlichen. Sie haben auch ein positiveres Bild im Hinblick auf Vielfältigkeit, Innovation und Wachstumsperspektiven. Wir können in der Logistik also mehr Frauen erwarten, denn die Logistik bietet ihnen offensichtlich interessante Potenziale für ihren beruflichen Weg. Darauf kann aufgebaut werden.
Überraschung Nr. 5: Mehr Kontakt mit Logistik stimmt positiv
Eine letzte Überraschung war, dass die Befragten umso positiver über die Logistik denken und urteilen, umso stärker sie bereits beruflich eingegliedert sind. Je mehr die Menschen mit Logistik in Kontakt kommen und Erfahrungen sammeln konnten, desto besser können sie den Beitrag der Logistik zum Erfolg der Wirtschaft und zum Wohlstand der Gesellschaft realistisch einschätzen. Gerade für junge Menschen ergeben sich daraus neue und offensichtlich unerkannte Potenziale für den Karriereweg. Erst durch die zahlreichen Kontaktpunkte mit der Logistik im täglichen Arbeiten formt sich ein Bild von der Relevanz und den Potenzialen dieses Wirtschaftsbereichs.
Dies zeigen die Bewertungen von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden, die weniger Praxiserfahrungen sammeln konnten:
- Sie sehen die Karrierechancen als deutlich geringer an.
- Es überwiegt die Befürchtung, dass aufgrund zunehmender Automatisierung, Robotik und Digitalisierung die Beschäftigung weniger attraktiv und zukunftsfähig ist.
- Die Vielfalt der unterschiedlichen Arbeitsplätze ist unbekannter als in anderen Gruppen.
- Sie bewerten die Ansiedlung von Logistik in Kommunen deutlich kritischer.
- Insgesamt bewertet diese Gruppe im Vergleich die Logistik als weniger sicher und innovativ mit geringen Karrieremöglichkeiten und Wachstumsperspektiven.
Der Grund des Fachkräfte- und Talentemangels in der Logistik liegt entsprechend in den Defiziten der Informationslage bei dieser Gruppe. Die Karriere in der Logistik wird somit weniger in Erwägung gezogen. Um dieses Defizit zu schließen, bedarf es nicht nur einer Kampagne mit dieser Zielgruppe, sondern auch einer Befähigung und Überzeugung der Lehrkräfte, dass der Logistik durch Globalisierung, E-Commerce und Service-Ökonomie eine neue und wichtigere Rolle zukommt, als dies noch in Zeiten der regionalen Produktions- und Beschaffungsnetzwerke der Fall war.
Leave a Reply