Die Nachrichtenlage ist derzeit geprägt von Preissteigerungen und (davon abgeleitet) von der Inflation bzw. deren Gefahren für die Wirtschaft, die Unternehmen und den Konsumenten. Die Corona-Pandemie hat zu Engpässen bei einigen Produkten und damit zu Preissteigerungen aufgrund von höherer Nachfrage im Vergleich zum Angebot geführt. Davon profitierten nicht nur die Automobilbauer in Form von höheren Margen, wie eine Untersuchung von EY gezeigt hat. Auch an anderer Stelle haben Unternehmen von den Engpässen profitiert – darunter insbesondere die Container-Reedereien.
Führt diese Situation entsprechend dazu, dass wie in der Vergangenheit nur über die Prognose von Preisen gesprochen werden sollte, um die Ausgaben für die Logistik fassen zu können? Eindeutig nein – auch vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen bei den Margen der Logistiknachfrager. In der aktuellen Situation zeigt sich immer mehr: Weder eine Abhängigkeit noch eine konfrontative Strategie der Zusammenarbeit können erfolgreich sein. Der Gewinn des einen Partners bedeutet den Verlust des anderen. Und kein Unternehmen kann in einer Realität geprägt von Engpässen auf Partner verzichten – egal ob Kunden oder Lieferanten. Aber zu diesem „philosophischen“ Ansatz später mehr. Kommen wir zurück in die operative Realität.
Fahrermangel im Fokus
In der Logistik und insbesondere im Straßengütertransport, auf dem im Weiteren der Fokus liegt, ist die Lage nicht so rosig wie bei den erwähnten Reedereien. Nicht dass derzeit ein Preiskampf stattfinden würde wie in den 2000er und 2010er Jahren. Vielmehr sind die zahlreichen Einflussfaktoren wie Treibstoffpreisentwicklung, Wechsel zu alternativen Antrieben und der Personalengpass schwer ohne Zusatzkosten zu handhaben. Aus diesem Grund ist es nicht mehr möglich, die Trendlinie wie vor 2021 weiterzuziehen, um eine Aussage zur Prognose der Preise im Frachteinkauf zu erhalten. Die deutlich höheren Preise für Diesel und auch die kommenden Investitionen in alternative Antriebe treiben die Kosten für Transportunternehmen nach oben – und die Unsicherheit.
Weitaus relevanter ist der mittlerweile kritisch werdende Mangel an Fahrpersonal. Auf Basis eines neu entwickelten, wissenschaftlichen Modells konnten wir für 2021 ableiten, dass bereits 40.000 Fahrerinnen und Fahrer fehlten – das entspricht rund 8 Prozent des gesamten Fahrpersonals. Und pro Jahr wächst diese Lücke nach unseren Berechnungen zusätzlich um 20.000, sofern nichts dagegen unternommen wird. Dies bedeutet nicht nur einen weiteren Engpass, der einen Effekt auf die Preisentwicklung hat, sondern auch die Notwendigkeit einer intensiveren Auseinandersetzung mit notwendigen Maßnahmen dagegen. Diese werden übrigens in unserer aktuell laufenden Studie in Zusammenarbeit mit 16 Unternehmen der Logistikdienstleistung, der IT & Services, der Industrie und des Handels, den Bundesverbänden BGL, BWVL, DSLV und HDE sowie der BVL als ideelle Partner und der Internetplattform Jobmatch.me zusammengestellt und Ende des Jahres vorgestellt.
Auf Sicht fahren ist ratsam
Doch wie ist nun die Antwort auf die Frage der quantitativen Entwicklung? Man könnte mit den aktuellen Erkenntnissen die Inflationsrate nehmen und den Faktor für die Abweichung der Logistikkostensteigerungen der vergangenen Jahre draufrechnen. Leider ist dies insbesondere bei einer Mittelfristprognose nicht so einfach, auch wenn sie eine erste Orientierung bieten könnte. Löhne und Inflation verlaufen nicht immer parallel. Auch ist offen, wie sich die allgemeine Situation weiter entwickeln wird. Damit ist der Indikator „Inflation“ nicht sonderlich sicher. Auf Sicht fahren und damit (qualitative) Prognosen für maximal das nächste Jahr anzustellen ist deshalb ratsam, wenn auch für viele Planungen nicht erstrebenswert. Aber sind nicht viele der bisherigen Prozeduren und Vorgehensweisen zu überdenken? Sind Prognosen über einen längeren Zeitraum in einer volatilen Welt wie heute wirklich noch ratsam?
Die Kernaussage ist: Die Veränderung der Frachtkosten pro Fahrt (!) koppelt sich von der Inflation und der allgemeinen Produktivitätssteigerung ab. Frachtkosten bzw. -preise sinken trotz Produktivitätssteigerungen und möglichen Automatisierungen nicht mehr, sie werden stärker steigen. Die billigen Energieträger fehlen, Engpässe in den Kapazitäten sind zu lösen (Angebot und Nachfrage), der Wechsel auf Fahrzeuge mit alternativen Antrieben ist vorzubereiten (Rücklagen und Investitionen in notwendige Infrastruktur „auf dem Hof“, die trotz wahrscheinlicher Subventionen Mehrkosten bedeutet) und die Menschen sind von dem Beruf zu überzeugen. Da der Großteil der Transporte per Straße durchgeführt wird, dominiert dieser Verkehrsträger die Kostenentwicklung (der Verkehrsträger Schiene könnte hier geringere Kostensteigerungen aufweisen, da er weniger stark von den Einflussfaktoren betroffen sein sollte).
Das große Ganze sehen
Und nun wieder der Perspektivwechsel, der zu Beginn als „philosophischer“ Ansatz bezeichnet wurde: Es ist wichtig, nicht die Frachtkosten isoliert zu betrachten, sondern das Logistik- oder Transportsystem mit all seinen Partnern und Akteuren: Wenn auch die Frachtkosten pro Fahrt steigen sollten, so kann doch im Gesamtsystem (also die Summe der Einzelkosten) diese Zunahme zumindest teilweise ausgeglichen werden. Dies ist allerdings nur mit der Einbindung der Frachtunternehmen und der Logistikakteure inkl. Produktion, Lieferant, Versand, Beschaffung etc. sowie nicht zu vergessen der Planer möglich, mit denen eine produktivere und damit kostengünstigere Gesamtlösung gefunden werden kann. Es reicht nicht mehr, in einem vermeintlichen Commodity wie dem Transport die Frachtkosten mit der traditionellen Einkaufsbrille (was kostet mich der Transport von A nach B?) zu bewerten. Denn dies würde zu der wenig hilfreichen Aussage führen, dass sie um Inflation plus 1 bis 2 Prozentpunkte steigen würden.
Hilfreicher ist dabei, den Transport als Bestandteil einer Komplettlogistikleistung zu sehen, in der die Frachtkosten mit den Potenzialen der Logistik verrechnet werden (also netto hinsichtlich Kostensteigerung minus Leistungssteigerung). Die Potenziale für Leistungs- und Produktivitätssteigerungen lassen sich nur unter Berücksichtigung des gesamten Prozesses und Zusammenarbeit aller Akteure realisieren, was zu einer für alle akzeptableren Entwicklung führen kann.
Die Reduzierung der Komplexität einer Transportkette auf „Frachtkosten“ bzw. „Frachtpreise“ spricht der Logistik deren Kompetenz und Leistungsfähigkeit ab. Mit diesem Ansatz bleibt das „alte“ Problem bestehen, dass die Logistik als Kostenfaktor wahrgenommen bleibt, nicht als das, was sie ist: Ein Leistungsfaktor, der ein Unternehmen wettbewerbsfähiger machen kann.
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