Im Süden Chinas entsteht eine Stadt mit 60 Millionen Menschen. Eine Stadt mit der Gesamtbevölkerung Großbritanniens auf der Fläche Niedersachsens. Mit Menschen, die versorgt werden müssen, die mobil sein wollen.
Die Megacity im Perlflussdelta ist sicherlich eine Ausnahme – auch, was die damit verbundenen Herausforderungen angeht. Das Thema Urbanisierung geht uns trotzdem alle an. Denn der Sog in die Städte ist ungebremst – jeden Monat ziehen etwa 6 Millionen Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte. Laut Angaben der UN werden 2050 insgesamt 70 % der Menschen in den Städten wohnen. Das klingt – verglichen mit dem Stand heute von 50 % – nach einer zu bewältigenden Herausforderung. Berücksichtigt man jedoch das Anwachsen der Weltbevölkerung, zeigt sich die wahre Dimension: In weniger als 25 Jahren wird sich die Zahl der Stadtbewohner verdoppeln.
Für die Lebensqualität in den urbanen Räumen kann das verheerend sein: Die Belastung mit Feinstaub und Umweltgiften nimmt zu, die Mobilitätsgeschwindigkeit ab. Bereits 2008 lag die Durchschnittsgeschwindigkeit in London bei gerade einmal 19 km/h, in Berlin bei 24 km/h. Viele Städter setzen deshalb auf den öffentlichen Nahverkehr – sparen dabei aber auch keine Zeit: 2014 bewegten sich die Berliner Metrobusse innerhalb des S-Bahn-Ringes mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 14,2 Stundenkilometern.[1]
Diese Situation dürfte sich weiter zuspitzen, da der Stadtverkehr insbesondere aufgrund des zunehmenden E-Commerce auch in den nächsten Jahren erheblich wachsen wird.[2] Für die Bewohner bedeutet dies: Längere Anfahrten zur Arbeit, zu Freunden und zum Arzt. Mehr Zeit, die wir in Staus und bei der Parkplatzsuche verbringen. Mehr Menschen, die nach Unfällen nicht schnell genug die Kliniken erreichen.
Der Glaube, dass neue Konzepte wie Drohnen, aber auch die Digitalisierung uns bei der Lösung dieser und weiterer Herausforderungen helfen werden, ist weit verbreitet. Dabei wird gern übersehen, dass die Digitalisierung uns allerdings lediglich Werkzeuge zur Verfügung stellt, mittels derer wir Lösungen entwickeln und umsetzen können. Die einzelnen Lösungen selbst müssen jedoch von uns kommen.
Was also brauchen wir, um urbane Lebenswelten zu gestalten? Wichtig sind vier Dinge: Macherqualitäten, Vision, operative Konzepte und Stakeholder Management.
Zu den Macherqualitäten zählen Zivilcourage und Stehvermögen – Probleme angehen und Initiativen abschließen. Dies ganzheitlich, denn die Konzentration auf Einzelaspekte wie beispielsweise Lärm, ist final nicht zielführend. Kaum werden Einzelaktionen, egal wie gut diese sein mögen, ohne entsprechende strukturierende Rahmenwerke in ein belastbares Gesamtkonzept münden.
Die Vision, basierend auf den Bürgerpräferenzen. Wie soll die Stadt der Zukunft denn aussehen? Was ist uns wichtig und auf was sind wir bereit zu verzichten? Hier geht es um grundsätzliche Fragen: Wer online einkaufen möchte, kommt nicht ohne Lieferverkehr aus. Wer leere Straßen möchte, steht bald vor leeren Regalen. Wer Einkaufszentren auf grünen Wiesen forciert, um die Innenstädte zu entlasten, verstärkt zwangsläufig den Individualverkehr.
Das operative Konzept für die Umsetzung dieser Vision. Und die entsprechenden Mitstreiter – aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Keine Stadt, kein noch so mutiger Bürgermeister wird eine solche Vision ohne den Rückhalt all derer umsetzen können, die in der Stadt leben und arbeiten – und den urbanen Raum durch ihre Steuern finanzieren.
Zu diesen Stakeholdern gehört auch der Bund. Seine Aufgabe ist dabei vielfältig: Er entwickelt die Vison und agiert als Berater der Stadtplaner und Stadtverwaltungen bei der Entwicklung und Umsetzung der Idee. Er kann die Akteure vernetzen und den Wissenstransfer gewährleisten, daraus eine Tool-Box für Stadtplaner und Kommunen entwickeln und bereitstellen. Und vor allem muss er die Stadtbewohner für das Thema Mobilität sensibilisieren. Dies kann beispielsweise in Form eines Bundesmobilitäts-wettbewerbs geschehen. Städte könnten im Rahmen dieses Wettbewerbs ihre Konzepte für den Waren- und Personenverkehr vorstellen. Ausgezeichnet werden dann die drei besten Konzepte mit Vorzeigecharakter, die dann vom Bund unterstützt werden. Die Ermittlung der Gewinner erfolgt anhand eines Scoring-Konzeptes, das die unterschiedlichen Anforderungen an die urbane Lebenswelt von morgen berücksichtigt.
Was erreicht werden kann, wenn eine ganze Nation an der Stadt der Zukunft zusammenarbeitet, zeigt das Beispiel Singapur: Hier leben auf 710 Quadratmetern 5 Millionen Menschen. Auf dem 3.400 Kilometer langen Straßennetz sind täglich ungefähr eine Millionen Fahrzeuge unterwegs. Und trotzdem beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den wichtigsten Verkehrsadern während der Stoßzeiten 27 km/h. Ein elektronisches City-Maut-System mit tageszeitabhängiger Gebühr, autonome Taxen und das ausgeschriebene Projekt für Lkw Platooning sind nur drei von vielen Projekten, die in Singapur ineinandergreifen. Der Staat hat sich früh mit den Herausforderungen der Urbanität beschäftigt. Er war mutig genug, eine Vision zu entwickeln und – lange vor europäischen Städten – in entsprechende Maßnahmen zu investieren. Die Verantwortlichen sind kontinuierlich bereit, neue Technologie und Lösungen wie autonome Pkw zeitnah für die Umsetzung ihrer Vision zu nutzen.[3]
Und sie gehen noch weiter, in dem sie scheinbare Utopien Realität werden lassen: 2017 werden in Singapur die ersten autonomen Luft-Taxen von Airbus ihren Testflug starten. Zunächst mit Waren, später auch mit Personen.[4] Der junge Staat nimmt damit erneut eine Vorreiterrolle ein und lässt so manchen Science-Fiction-Streifen alt aussehen.
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