Stellen Sie sich vor: Es ist Freitagnachmittag und auf ihrer To-do-Liste stehen noch zig Punkte, die nicht abgehakt sind. Eigentlich wollten Sie sich diese Woche endlich einmal um die richtig wichtigen Aufgaben kümmern, Themen konzeptionell angehen, sich über Produkte und Services Gedanken machen und Ihre Strategie danach ausrichten. Stressfrei ins Wochenende? Leider Fehlanzeige, denn zu präsent ist der Vorsatz, die Dinge nächste Woche nachhaltig angehen zu wollen.
Immer häufiger bestimmen kulturelle Leittrends zur Arbeit unseren gesellschaftlichen Diskurs. Mit mehr „Achtsamkeit“ soll etwa die persönliche Leistungsfähigkeit verbessert werden und das ganz ohne Hektik. Und die WirtschaftsWoche zieht Investmentguru Warren Buffett zu Rate, der sehr treffend festhält: „Wer seine Aufmerksamkeit auf zu viele Projekte gleichzeitig verteilt, macht alles nur halbherzig.“
Doch in Zeiten zunehmender Vernetzung und Beschleunigung ist es keine Seltenheit, wenn man wöchentlich dutzende Aufgaben auf dem Tisch hat, die unter immer höherem Zeitdruck erledigt werden wollen. Eine gewisse Halbherzigkeit ist zwar gut nachvollziehbar, kann als struktureller „Fehler“ in der Arbeitsorganisation allerdings immense Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens haben. Meines Erachtens sollte man deshalb nicht nur die Effizienz des Einzelnen im Blick haben, sondern vielmehr ganze Prozesse im Unternehmen selbst. Der Schlüssel dazu ist ebenso einfach wie fundamental: Ein Wechsel der Arbeitsweise zum Prinzip „Management by Exception“.
Die Ausnahme wird zur neuen Regel
Hinter dem Ansatz steckt die Idee des ausnahmeorientierten Arbeitens. Bestimmte regelmäßig wiederkehrende Aufgaben, die erfahrene Mitarbeiter geradezu mechanisch und fast blind bewältigen, kommen gar nicht erst auf die To-do-Liste. So entsteht Zeit für anspruchsvolle „Ausnahmefälle“. Das passende Werkzeug für eine solche Strategie liefert die voranschreitende Digitalisierung, konkret die IT. Besonders repetitive, einfache Aufgaben, die echten „Zeitfresser“ unserer Arbeit, erledigen Algorithmen aus Operations Research und Fuzzy Logic. Sie sind in der Lage, schnell und optimiert Entscheidungen zu treffen und übernehmen damit gerade die einfachen, aber in der Masse langwierigen Tätigkeiten. So wird Freiraum für die Bewältigung schwierigerer Herausforderungen und ein agiles Prozessmanagement geschaffen.
Gerade im Bestandsmanagement verlassen sich noch immer viele Unternehmen auf herkömmliche ERP-Systeme und das manuelle Vor- und Nachbearbeiten von Bestelllisten an Lieferanten. Zeitliche und personelle Ressourcen hemmen die Organisation, ein effizientes Prozessmanagement zu verwirklichen, also z.B. schnell und intelligent auf plötzliche Lieferausfälle oder so genannte „Chefaufträge“ zu reagieren. In Zeiten zunehmend volatiler Märkte, breitgefächerter Warenangebote und meist globaler Lieferanten- und Logistiknetzwerke sind solche Störungen des normalen Betriebsablaufs aber Alltag geworden. Der Bedarf an Entlastung in Unternehmen ist groß – man will der Hektikfalle entgehen und wieder mehr agieren, statt nur proaktiv zu reagieren. Dass die IT die Lösung für dieses Problem ist, ist noch verhältnismäßig wenigen bewusst. Dabei erkennen Unternehmen das Potenzial digitaler Innovationen im Supply Chain durchaus: Anfang des Jahres schätzten knapp drei Viertel der teilnehmenden Experten an der Studie „Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management“ der Bundesvereinigung Logistik (BVL) e.V. die Chancen, die sich durch eine digitale Transformation für ihr Unternehmen ergeben, als hoch ein.
Die Albert Kerbl GmbH, ein weltweit agierender Produzent und Zulieferer von Produkten rund um Tierzucht und -haltung mit Sitz in Bayern, kennt wie viele andere Unternehmen die Anforderungen an die „smarte Arbeit“. Für sie wurde die Komplexität bei der Steuerung von Warenströmen über die Kontinente hinweg immer mehr zu einer Herausforderung. Denn trotz der längeren Transportwege wollte das Unternehmen seinen Kunden nach wie vor kurze Lieferzeiten und damit einen exzellenten Service bieten können. Eine Kundenbestellung von heute sollte spätestens am darauffolgenden Tag rausgehen. Die manuelle Verwaltung über das Warenwirtschaftssystem stieß bald an ihre Grenzen und führte schnell zu viel verlorener Zeit. So konnte sich etwa weniger intensiv mit plötzlich auftretenden Störungen, wie beispielsweise Lieferausfällen, auseinandergesetzt werden. Viele Lieferanten arbeiten exklusiv für Albert Kerbl und stellen hochspezialisierte Waren her. Darum gibt es keine Zweit- oder Drittlieferanten, auf die das Unternehmen bei Ausfällen ausweichen könnte.
Inzwischen hat das Unternehmen ein Add-on-System eingeführt, das auf Basis mathematischer Algorithmen Bedarfsprognosen automatisiert und konkrete Handlungsvorschläge für die Disponenten liefert. Sehr häufig benötigte Materialien, die dementsprechend eine solide Prognosebasis aufweisen, können jetzt nahezu automatisch bestellt werden. Das Bestandsmanagement läuft dadurch nicht nur viel ruhiger über die Bühne, sondern verschafft den Mitarbeitern auch mehr Freiraum bei der Lösung kritischer Situationen. Außerdem konnte Albert Kerbl durch das intelligente Bestandsmanagement die Lieferfähigkeit von 95 auf 98 Prozent steigern.
Mehr Freiraum für kritische Probleme
Erst mithilfe von IT erreichter Automatisierung wird das Prinzip des ausnahmeorientierten Arbeitens zur Realität und der Wunsch nach mehr Achtsamkeit erfüllt. So gelingt eine optimierte Priorisierung und Mitarbeiter erhalten Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Themen nachhaltig zu bearbeiten. Das schafft nicht nur für die Belegschaft einen Mehrwert im Berufsalltag, sondern auch für das Unternehmen einen enormen Wettbewerbsvorteil.
Schöner Beitrag zum Thema. Gerade der letzte Absatz spricht noch mal viele wichtige Punkte an. Die Trennung von Kerngeschäft und den Aufgaben der Raum- und Zeitüberbrückung ist elementar, um den wahren Anteil der Logistikaufwände beurteilen zu können. Dann müssen Lösungen her das Kerngeschäft zu entlasten und eine höhere (Informations-) Transparenz herzustellen. Weg vom Feuer löschen hin zur Logistikstrategie.