Spitzenreiter und auch Pionier bei der Nutzung der Geothermie ist die Vulkaninsel Island. Warum? Weil in dem Land perfekte Bedingungen dafür herrschen. Island liegt auf dem Mittelozeanischen Rücken - genau dort, wo sich die nordamerikanischen und eurasischen Erdplatten auseinander bewegen. Pro 100 Meter, die man sich von der Erdoberfläche in Richtung Erdkern bewegt, gewinnt man somit durchschnittlich rund 15 Grad an Temperatur hinzu. Es gibt auf der Vulkaninsel so viel Wärme, dass diese sogar in Strom umgewandelt wird. Das ist eine Ausgangslage, mit der Deutschland nicht mitthalten kann. Hierzulande steigen die Temperaturen nur um rund drei Grad pro 100 Meter Tiefe. Die Herausforderungen sind also größer. Aber es gibt auch einen wichtigen Vorteil.
Spricht man in Deutschland von Geothermie, kann man davon ausgehen, dass die oberflächennahe Geothermie gemeint ist. Hierbei wird die Wärme aus dem oberen Erdmantel (bis etwa 400 Meter Tiefe) genutzt. Die Temperaturen erreichen hier zwar nicht einmal die 20 Grad-Marke, dennoch ist der Temperaturunterschied wertvoll. Denn man kann die Wärme zweifach nutzen: zum Heizen und – was viele nicht wissen – auch zum Kühlen. Steht die kalte Jahreszeit an, ist die Geothermie-Anlage mit ihren drei Kreisläufen gefragt. Der erste Kreislauf zapft die Wärmequelle an – sprich den Erdmantel. In der Regel fungieren in bis zu 150 Metern Tiefe eingebrachte Erdwärmesonden als Wärmetauscher. Zirkulierendes Wasser wird hierbei auf die im Boden vorherrschenden acht bis zehn Grad erwärmt. Über einen Verdampfer wird die dadurch gewonnene Energie dann an den zweiten Kreislauf der Wärmepumpe abgegeben. Das wieder abgekühlte Wasser wird erneut in die Sonden gepumpt und erwärmt. Im Wärmepumpenkreislauf bewirkt die abgegebene Energie, dass das dort zirkulierende Kältemittel mit niedrigem Siedepunkt verdampft. Dieses nun etwa acht bis zehn Grad warme Gas wird anschließend verdichtet und somit auf ein für Heizzwecke nutzbares Niveau von rund 30 bis 40 Grad „hochgepumpt“. Damit herrscht die Temperatur, die man benötigt. Ein Wärmetauscher gibt diese an den dritten Kreislauf des im Gebäude verbauten Heiz-/Kühlsystems. Die Heizkörper oder die Fußbodenheizung werden warm. Das zirkulierende Kühlmittel im Wärmepumpenkreislauf wird zeitgleich wieder kalt und flüssig. Dann beginnt das Procedere von vorne.
Noch einfacher wird es im Hochsommer, wenn eine Kühlung des Gebäudes gefragt ist. Denn in diesem Fall ist die Wärmepumpe, die das niedrige Temperaturniveau aus dem Erdreich erhöhen würde, nicht mehr notwendig. Und eine Kälteerzeugung ist ebenfalls nicht erforderlich. Die über die Erdwärmesonden gewonnenen acht bis zehn Grad werden direkt an den Heiz-/Kühlkreislauf übergeben und sorgen somit für das gewünschte Raumklima – was natürlich nicht mit einem „echten“ Kühlbedarf um Null Grad oder kälter, für den andere Technologien erforderlich sind, zu verwechseln ist.
Klingt nach einer guten Lösung – schließlich wird die notwendige Heiz- und Kühlleistung aus einer regenerativen Quelle gewonnen. Aber ganz so einfach ist es auch nicht. Denn natürlich muss man im Gegenzug auch einen Blick auf die Zahlen werfen. Eines sollte man nicht aus den Augen verlieren: Jedes Projekt muss sich rechnen. Deshalb schrecken hohe Investitionskosten so manchen Interessierten zunächst ab. Die Beträge sind deutlich höher als die eines klassischen Brennwertkessels und Kühlung mit einer Kältemaschine. Da sind die Anbieter in der Beweispflicht. Als erstes führen wir beispielsweise die Jahresarbeitszahl, sprich das Energieeffizienzmaß, einer Geothermie-Anlage an. Denn während man bei einer klassischen Erdgas-Brennwert Heizung rund das 1,1-Fache an Primärenergie, sprich eingesetzten Strom, im Verhältnis zur gewünschten Heizungswärme benötigt, liegt der Faktor bei einer Strom-Wärmepumpe nur bei 0,7. Und im Kühlbetrieb sogar nur bei 0,02. Auf dieser Grundlage können die Rechenspiele beginnen: Investitions- und Betriebskosten kommen auf den Tisch. Und unter der Voraussetzung, dass eine Kühlung erforderlich ist, kommt es dann dazu, dass die niedrigen Betriebskosten der Geothermie-Anlage das ausschlaggebende Argument sind.
Es stellt sich die Frage, was die Voraussetzungen sind, die erfüllt sein müssen. Zum einen gibt es die sogenannten „Killer-Argumente“, die eine Geothermie-Anlage von vornherein ausschließen. Zu den drei häufigsten Argumenten zählen aus Sicht der der List Ingenieure:
Treffen diese drei Situationen nicht zu, sollte man unbedingt prüfen, ob ein Kühl- beziehungsweise Temperierungsbedarf innerhalb oder an der Logistikimmobilie besteht. Dies könnte zum Beispiel in Büro-Kopfbauten der Fall sein. Wichtig ist zudem, dass ein Großteil der benötigten Kühl- und Heizleistung im „Normalbereich“ liegt. Damit ist eine Raumtemperatur zwischen 20 und 26 Grad gemeint. Denn diese ist von der Geothermie-Anlage gut zu bewerkstelligen. Gut bietet sich beispielsweise eine Logistikhalle an, in der Arzneimittel umgeschlagen werden. Temperaturspitzen in der Tiefe und in der Höhe sollten von anderen Anlagen übernommen werden oder kaum bis gar nicht vorhanden sein, weil hier der Mehraufwand an Primärenergie unverhältnismäßig hoch ist.
In der Logistik ist die Erfüllung all dieser Voraussetzungen eher die Ausnahme. Aber eben nicht unmöglich. Das zeigt das European Distribution Center Espelkamp der Harting Technologiegruppe, das LIST Bau Bielefeld errichtet hat. Hier waren Experten von List Ingenieure für die TGA-Planung zuständig und haben zunächst mit Harting die Jahresdauerlinie errechnet. Das bedeutet, dass die Fachleute unter Berücksichtigung aller beeinflussenden Parameter simuliert haben, wie viel Heiz- und Kühlleistung im Jahresverlauf überhaupt notwendig sind. Das Ergebnis: Eine Temperierung muss beispielweise für den im Gebäude enthaltenen Produktionsbereich das komplette Jahr erbracht werden. Eine Heizleistung – vor allem im Spitzenbereich – wird hingegen nur an sehr wenigen Tagen im Jahr benötigt. Somit haben sich List Ingenieure schlussendlich für einen wirtschaftlichen und nachhaltigen Energiemix entschieden. Für die ganz niedrigen Temperaturen nutzt Harting die Wärmerückgewinnung aus Druckluft. Diese hat keinen Primärenergiebedarf, liefert aber auch nur eine geringe Menge nutzbarer Energie. Ist dieses Kontingent ausgeschöpft, greift die Geothermie-Anlage. Sie übernimmt die Temperierung und Heizung im bei Außentemperaturen zwischen 18 und fünf Grad. Für notwendige Wärme darüber hinaus, haben wir zudem einen Brennwert-Kessel eingeplant, der in der Anschaffung nicht so teuer ist und im hohen Temperaturbereich die Betriebskosten der Geothermie-Anlage unterbietet.
Autor: Bernd Bostelmann, Geschäftsführer / Gesellschafter bei LIST Ingenieure GmbH & Co. KG, Bielefeld