05.07.2022
Der CO2-Ausstoß des Straßengüterverkehrs wächst trotz aller technischer Innovationen weiter, da die Transportleistung immer mehr zunimmt und die individuelle Senkung der Emissionen pro LKW überkompensiert. Die mit dem europäischen ‚Green Deal‘ angestrebte Klimaneutralität bis 2050 und das Zwischenziel einer Reduktion der CO2-Emissionen um 55 % bis 2030 scheinen so kaum erreichbar. Bis 2050 wird weltweit gar eine Verdreifachung der Transportleistung erwartet.
Um CO2-Emissionen effektiv reduzieren zu können, ist ihre korrekte Erfassung und Zuweisung von entscheidender Bedeutung. Verschiedene Studien der vergangenen Jahre zeigen deutlich auf, dass insbesondere bei KMU erheblicher Nachholbedarf rund um dieses Thema besteht. So geben z.B. nur 16 % der befragten Transportdienstleister an, den CO2-Ausstoß auf Auftragsebene ausweisen zu können. 55 % der Unternehmen führen keinerlei Berechnungen durch. Die Berechnungskompetenz nimmt erst bei größeren Unternehmen zu. Nur 9 % der Transportdienstleister mit weniger als 5 Mio. € Jahresumsatz weisen die CO2-Emissionen auftragsbezogen aus, während der Anteil bei Unternehmen mit mehr als 50 Mio. € Umsatz immerhin bei 26 % liegt (Studie von Petersen & van Almsick 2022). Bemerkenswert ist in der Untersuchung auch, dass die Auftraggeber der Transportdienstleistungen bisher noch kaum an CO2-Daten der operativ tätigen Unternehmen interessiert sind. Stattdessen basieren die Emissionsberechnungen der Auftraggeber auf modellierten Standardemissionsfaktoren, die sich aber von den tatsächlichen CO2-Emissionen erheblich unterscheiden können. Wird Nachhaltigkeit zunehmend zum Wettbewerbsfaktor, müssen engagierte KMU ihre Bemühungen nachweisen und ihre CO2-Daten weitergeben.
Die KMU sind für die Erreichung der Klimaziele von entscheidender Bedeutung, da im europäischen Markt für Straßengüterverkehr 99 % der Transportdienstleister als kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten klassifiziert werden können. Entsprechend liegt der Einfluss auf die transportbedingten CO2-Emissionen zum größten Teil in den Händen vieler kleiner Unternehmen.
Hier setzt nun das neue Forschungsvorhaben „Ganzheitliche Ausweisung der Transportemissionen von KMU (GATE)“ an. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Logistik und Unternehmensführung (LogU) der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und des Centers für Sustainable Logistics and Supply Chains (CSLS) der Kühne Logistics University (KLU). Die Kooperation wird durch die Bundesvereinigung Logistik e.V. (BVL) ermöglicht, welche das Bindeglied zwischen den Forschungseinrichtungen und der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) darstellt und die beteiligten Institute beauftragt. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
In dem Forschungsprojekt soll im ersten Schritt genauer untersucht werden, wie KMU in der Transportlogistik heute CO2-Emissionen berechnen und weitergeben und welche Ursachen es für die niedrige Berechnungskompetenz gibt. Aus Perspektive der Versender soll ergänzend analysiert werden, warum CO2-Emissionsdaten von kleinen Dienstleistern heute in der Regel nicht abgefragt werden und welche Informationen regelmäßig in modellierte Werte einfließen. Im dritten Schritt soll ein konsolidiertes Instrumentarium entwickelt werden, welches Methoden und Entscheidungen rund um die Berechnung, Ausweisung und Weitergabe von CO2-Emissionen für KMU greifbar macht und situationsadäquat Handlungsempfehlungen gibt. CO2-Emissionen können z.B. auf verschiedenen Aggregationsebenen berechnet und ausgewiesen werden, die unterschiedliche Anforderungen an die Datenverfügbarkeit stellen. Das Instrumentarium wird in einem Handbuch dokumentiert, das KMU für die Relevanz des Themas sensibilisiert und eine unkomplizierte Einarbeitung in die CO2-Emissionsmessung ermöglicht. Die gesammelten Informationen werden während der Projektlaufzeit neben der Veröffentlichung in einem webbasierten Wissenswerkzeug auch in projektbegleitenden Ausschüssen, Vorträgen und Blogbeiträgen präsentiert. Darüber hinaus wird nach Projektende eine Zusammenstellung aller Erkenntnisse als Schlussbericht veröffentlicht. Somit erhalten KMU die Möglichkeit, die Auswirkungen der steigenden Anforderungen an CO2-Emissionsreduzierung und -berichterstattung auf das eigene Geschäft besser einzuschätzen.
Geleitet wird das Projekt von Wolfgang Kersten, Leiter des Instituts für Logistik und Unternehmensführung der TUHH und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der BVL sowie Moritz Petersen, Academic Director des CSLS an der KLU. Das Projekt soll nach Eingang des finalen Förderbescheids im August 2022 umgehend starten.
In Deutschland gibt es für KMU das Instrument der Industriellen Gemeinschaftsförderung (IGF). KMU können hier vorwettbewerblich und themenoffen ihre Weiterentwicklung durch gemeinsame Forschungsaktivitäten vorantreiben, so dass eine Basis für Prozess- und Produktinnovationen geschaffen wird.
Der Förderbeirat der BVL unterstützt im ersten Schritt die Forschungspartner der BVL, Zugang zu Fördergeldern der IGF zu erlangen. Entsprechende Projekte werden vom Förderbeirat vorbegutachtet und begleitet. Im nächsten Schritt erfolgt eine Begutachtung durch die AiF (Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen), eine führende nationale Organisation zur Förderung angewandter Forschung und Entwicklung für den Mittelstand, der rund 100 industrielle Forschungsvereinigungen aller Branchen angehören, darunter auch die BVL.
Die Fördergelder für die Projekte kommen aus dem Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die BVL betreute in den vergangenen Jahren Förderungen in Höhe von jährlich rund 3 Mio. Euro. Die Ergebnisse der Forschung stehen allen Interessierten und insbesondere Unternehmen unentgeltlich zur Verfügung, unter anderem auf der auf der Website der BVL. Jedes Projekt wird von einer Art Aufsichtsrat begleitet, in dem Unternehmen direkt mitwirken können. So entstehen auch jenseits der konkreten Projekte Innovationsnetzwerke und strategische Partnerschaften. Ein zusätzlicher Nutzen ist die Nachwuchssicherung, da zu IGF-Projekten auch promoviert werden kann.
Vorsitzender des BVL Förderbeirats ist Dr.-Ing. Christian Jacobi, Vorstandsmitglied der BVL und Geschäftsführer der agiplan GmbH. Der Förderbeirat ist das Gutachtergremium der BVL für Projekte der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF). Er ist ein ehrenamtlich tätiger Kreis von 21 wissenschaftlich interessierten Praktikerinnen und Praktikern, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, bestehende Forschungsdefizite auf dem Gebiet der Logistik zu identifizieren. Der Förderbeirat initiiert, begleitet, begutachtet und hilft den Forschungspartnern der BVL und führt Akteure aus Forschung und Praxis zusammen.
Förderbeirat der BVL: www.bvl.de/foerderbeirat
Projekte der Forschungsförderung: www.bvl.de/service/forschungsfoerderung/laufende-projekte
IGF: https://www.aif.de/foerderangebote/igf-industrielle-gemeinschaftsforschung.html
LogU der TUHH: www.tuhh.de/logu/willkommen.html
CSLS an der KLU: www.the-klu.org/faculty-research/research-collaboration/research-centers/center-for-sustainable-logistics-and-supply-chains-csls/