Mutmacher in Multikrisen brauchen langfristige Perspektiven
Kommentar zum Logistik-Indikator für das 1. Quartal 2024 von Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer, Vorsitzender des Vorstands der BVL
Alexander von Humboldt wird das Zitat zugeschrieben: „Man muss die Zukunft abwarten und die Gegenwart genießen oder ertragen.“ Glücklicherweise gab es anno 1799 noch keinen zu kommentierenden Logistikindikator. Aber es gab bereits hinreichend Mobilität, um einem Kosmopoliten, Universalgenie und Forschungsreisenden eine wissenschaftlich legendäre Südamerikareise zu ermöglichen. Sie war wohl einer der Bausteine, die globale Beziehungen festigten und globale Warenströme möglich machten. Also irgendwie innovativ, kreativ, optimistisch – und sicher auch von Krisen begleitet.
Was soll man heute sagen, wenn in früheren Kommentierungen schon alles gesagt wurde? Im Wirtschaftsbereich Logistik hat sich das Geschäftsklima wieder einmal verschlechtert: Mit der Geschäftslage geht’s abwärts, die optimistischere Geschäftserwartung des Vorquartals ist zum Jahresanfang einer Verschlechterung gewichen.
Handel und Industrie haben ihre Lageeinschätzungen nach unten korrigiert. Der Lagerbestand ist auf Niveau der Vorquartale und weil sich zu wenig bewegt, wird weniger Personal gebraucht. Es gibt eine hohe Unsicherheit bei Unternehmen und Haushalten, die Wirtschaftsleistung ist im 4. Quartal 2023 um 0,3 Prozent zurückgegangen. Das erste Quartal 2024 machte wenig Mut: Auftragsmangel, hohe Krankenstände, die Wertschöpfung in der Industrie ist geschrumpft und die Investitionen gaben nach. Die einzige Stütze war der private Konsum – dieser ist aber im ersten Quartal üblicherweise eher zurückhaltend.
Die Inflation erreichte im Februar mit 2,5% den niedrigsten Wert seit Juni 2021, die Löhne sind gestiegen und damit auch die Kaufkraft. Diese wird aber eher als Ersparnis zurückgelegt. Die Frühindikatoren deuten für den Jahresbeginn 2024 nicht auf konjunkturelle Trendwende hin. Der Krankenstand ist weiterhin hoch, zusätzlich belasten andauernde Streiks die Wirtschaft. Die Lieferengpässe haben wieder zugenommen - auch durch die unseligen Huthi-Angriffe auf einem der wichtigen Weltschifffahrtswege.
Die Logistikdienstleister spüren zurückgehende Warenströme in besonderer Weise, die Auftragsbestände sinken, Geschäftserwartungen sind eingetrübt und Stellenabbau ist geplant. Die Nachfrage blieb rückläufig und die Erwartungen sind schlechter als im Vorquartal. Bemerkenswert ist, dass die Geschäftslage leicht ansteigt, obwohl bei Industrie und Handel die Lage und die Erwartungen abwärts gerichtet sind.
Doch Hoffnung naht: Kreditzinsen sinken, die europäischen Börsenpreise für Erdgas und Strom sind schon gesunken. Im weiteren Verlauf des Jahres wird eine gesamtwirtschaftliche Erholung erwartet, gestützt durch die Dynamik der Weltwirtschaft. Globale Frühindikatoren signalisieren eine Erholung vor allem im Verarbeitenden Gewerbe. Eine geldpolitische Wende im Frühsommer dürfte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln.
Das Handelsblatt berichtete am 07.03., dass der DAX, Deutschlands wichtigstes Börsenbarometer, mit knapp 18.000 Punkten 20% höher notiere als Ende September 2023 und ergänzte: das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liege leicht unter dem 20-Jahres-Durchschnitt, ebenso wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), das die Substanz der Unternehmen bewertet, und die Dividendenrendite läge mit 3% exakt auf dem 20-Jahres-Durchschnitt. Die drei Kennzahlen deuten auf eine leichte Unterbewertung des DAX hin.
Es gibt also auch gute Nachrichten. Zudem wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 um 0,2% im Vorjahresvergleich zunehmen – das ist zwar kein Highlight, untermauert aber eine gesamtwirtschaftliche Erholung in der zweiten Jahreshälfte. So lässt sich die Gegenwart besser ertragen – mit oder ohne die Weisheit von Humboldt.