Kommentar zum Logistik-Indikator für das 2. Quartal 2019 von Robert Blackburn, Vorsitzender des Vorstands der BVL
Nur zwei Jahre sind seit der letzten Leitmesse „transport logistic“ vergangen – aber das wirtschaftliche Szenario hat sich deutlich verändert. Im Mai 2017 hatte das Vereinigte Königreich seinen Brexit-Antrag gestellt, die Austrittsverhandlungen waren aber noch nicht angelaufen. Inzwischen hat das immer weitere Verschieben des Brexit wirtschaftliche Schäden verursacht – und ob und wann ein weicher Brexit tatsächlich kommt, weiß niemand so genau: auch der anvisierte Oktober ist aus Expertensicht zweifelhaft.
In den USA war Donald Trump im Januar 2017 ins Amt gekommen und gab der Welt erste Signale für Stil und Themen seiner Präsidentschaft. Europa blieb gelassen, denn die Konjunktur brummte. Aber seit 2018 blicken Produktions- und Logistikverantwortliche aus Industrie, Handel und Dienstleistung wegen rückläufiger Exportaufträge mit Skepsis in die Zukunft. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA, einem zentral wichtigen Exportmarkt, sind in einem unberechenbaren Wandel begriffen. Die EU sucht nach der Wahl nach neuem Gleichgewicht und langfristiger Stabilität.
Im BVL-Beirat wurde kürzlich analysiert und diskutiert, dass zwei Prozent als „langfristiges Trendwachstum“ des BIP in wirtschaftlich entwickelten Ländern gelten. Die Exportnation Deutschland liegt zurzeit deutlich darunter: der Einkaufsmanagerindex nahe dem Normalwert, die Industrieproduktion auf höherem Niveau, aber gleichlaufend erkennbar im Abschwung. Der Global Trade Asia Pacific Index geht zurück.
Die Beiräte erwarten trotzdem, dass das Weltwirtschaftswachstum in Höhe von 3% bestehen bleibt. In Deutschland ist ein BIP-Wachstum von 0,8% in 2019 zu erwarten und von 1,0% in 2020 – bestätigen führende Forschungsinstitute per Gemeinschaftsprognose und unter der Voraussetzung, dass der Handelsstreit nicht weiter eskaliert. Solche Unsicherheiten schlagen sich in den Umfrageergebnissen nieder. Das Klima ist etwas schlechter als im April – hatte sich zuvor jedoch zwei Monate lang erholt. Die Einschätzung der Lage hat sich leicht verschlechtert, die Erwartungen sind eine Spur optimistischer.
Dabei ist die Lage deutlich besser als die Stimmung. Immer noch sind die Auftragsbücher ordentlich gefüllt und die Unternehmen klagen, dass sie kein Personal finden. Es sind 792.000 offene Stellen gemeldet – nur 1.000 weniger als vor einem Jahr. Es gibt also keinen Einbruch am Arbeitsmarkt. Durch zehn Jahre Wachstum und Boom hat sich die Perspektive verschoben – und praktisch jeder legt die qualitative und quantitative Messlatte anders an, als im Krisenszenario der Jahre 2008/2009. Wir sollten uns damit nicht den Blick auf die Chancen des Jahres 2019 verbauen.
Traurig hingegen ist das Ergebnis einer OECD-Studie, die die Attraktivität von Volkswirtschaften für ausländische Fachkräfte untersucht hat. Deutschland erreicht Platz 12 unter 36 OECD-Ländern. Als Grund für das schlechte Abschneiden wird unter anderem angeführt, dass ausländische Abschlüsse „auf dem deutschen Arbeitsmarkt häufig stark abgewertet werden". Das kann und darf nicht sein. Eine florierende Volkswirtschaft ist prädestiniert, Menschen aus aller Welt anzuziehen, um hier beruflich tätig zu werden. Denn Vielfalt bringt Impulse und somit Stärke, das wissen wir aus vielen international gemischten Teams in den Unternehmen. Wenn Deutschland bei den beruflichen Chancen, bei Einkommen und Steuern, den Zukunftsaussichten, dem Kompetenzumfeld, bei Diversität und Lebensqualität nicht punkten kann, dann gilt es dringend, daran zu arbeiten – in den Unternehmen und in Politik und Gesellschaft.
„Mutig machen“ ist das Erfolgsrezept der kommenden Wochen und Monate.