Die rasante Entwicklung des Online-Handels hat zur Entstehung eines neuen Logistikzentren-Typus geführt, der seine Vorgänger-Modelle in Größe, Effizienz und Baugeschwindigkeit übertrifft. Insbesondere ersteres, die Größe dieser neuen Fulfillment-Zentren, treibt den Ressourcenverbrauch in Bau und Betrieb in die Höhe. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird unterdessen deutlich, dass selbst die Beschaffung und Konstruktion jedes einzelnen Gebäudebestandteils aus nachhaltigen Materialien langfristig nicht zur Erfüllung von globalen, lokalen und Unternehmenszielen reichen wird. Vielmehr braucht es ein radikales Umdenken hin zur vollständigen Kreislaufwirtschaft, so dass diese Materialien für künftige Projekte wiederverwendet werden können. Um diese Herausforderung zu meistern, bedarf es eines schrittweisen, deutlichen Wandels und innovativer Lösungsansätze. Nur so können wir über den derzeitigen state-of-the-art hinausdenken und verantwortlich handeln. Ziel des Projektes ‘Step Change’ war die Entwicklung eines nachhaltigen Prototyps für das Logistikzentrum der Zukunft.
Kreislaufwirtschaft als Ziel
Entscheidende Faktoren für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft sind die Sortenreinheit der Elemente und somit eine Trennbarkeit möglichst vieler Komponenten mit möglichst geringem Aufwand. Der Begriff der Trennbarkeit bezieht sich in diesem Fall nicht nur auf die theoretische Möglichkeit der Produkttrennung, sondern auf einen ganzheitlichen Ansatz, der dies auf eine schnelle, einfache und kosteneffiziente Weise ermöglicht. Im Rahmen des ‘Step Change’ Projektes haben wir zunächst, als gedanklichen Startpunkt, das Gebäude in all seine einzelnen Elemente zerlegt. Eine vereinfachte Konstruktion, die Verwendung einer begrenzten Anzahl standardisierter Bauelemente sowie der Ansatz des ‘Design for Disassembly' - z.B. durch zugängliche mechanische Verbindungen anstelle von chemischen Verbindungen mit dem Ziel der kosteneffizienteren Demontage - ermöglichen eine schnelle, kostengünstige und kalkulierbare Erweiterung und Anpassung des Gebäudes.
‘Design for Disassembly’: Modularität statt Standardisierung
Innerhalb des ‘Design for Disassembly’ Ansatzes liegt der Fokus nicht mehr auf einer Standardisierung des gesamten Gebäudes, sondern vielmehr auf den einzelnen Modulen. Dies eröffnet eine Reihe an Konstellationsmöglichkeiten und schafft Raum für zukünftige Innovationen und Anpassungen. Als erstes Zwischenergebnis wurde somit ein Baukasten frei kombinierbarer Struktur- und Fassadenelemente entwickelt.
Die relativ kurze Lebensdauer und die hohe Anpassungsrate von Lagerhallen erfordern eine Konstruktion, die eine einfache Erweiterung, Reparatur und Demontage ermöglicht. Dazu gehören zugängliche mechanische Verbindungen anstelle von chemischen Verbindungen, Schwellen oder Ortbeton sowie eine vereinfachte Struktur- und Bauteilgestaltung, die auf eine mühelose und damit kosteneffiziente Demontage abzielt. Möglichst viele Komponenten sollten mit möglichst geringem Aufwand trennbar sein.
Baukasten frei kombinierbarer Elemente
Die Analyse zur Entwicklung eines Baukastens basiert auf einem rechteckigen Raster. So wird ein Vergleich der Systeme möglich, ohne die Spannweiten der Materialien wiederholt zu vergleichen. Dieser Ansatz ist nicht für jedes Material ideal, ermöglicht jedoch einen globalen Vergleich der Bauweisen. Ein klar abgestecktes Raster verringert darüber hinaus die strukturelle Spannweite, sodass weniger Material benötigt und somit weniger CO2 verbraucht wird. Je kleiner das Raster, desto kleiner der ökologische Fußabdruck. Der Wechsel zu einer geringeren Spannweite reduziert den Materialeinsatz der erforderlichen Dachkonstruktion drastisch, bietet aber dennoch ausreichend Platz für die Intralogistik. Zusätzlich erzielt man durch ein solches Raster eine einfache horizontale Erweiterbarkeit. Da alle Einheiten auf demselben Hauptmodul in einem einheitlichen Baukasten basieren, reduziert sich die Gesamtkomplexität. Außerdem wird das Potential der Wiederverwendbarkeit aller Komponenten erhöht.
Innerhalb aller Vergleiche der verschiedenen Komponenten wurde der Fokus insbesondere auf die Aspekte eingebettete Emissionen, Brandschutz, Vorfertigungsgrad, Transport der Materialien, Demontagepotential sowie Auswirkung auf den life cycle gelegt, mit dem Ziel, die ökonomischen und ökologischen Faktoren auszubalancieren.
Ein Vergleich der einzelnen Strukturelemente
Zunächst wurden unterschiedliche Konstruktionen von Bodenplatten verglichen. Betrachtet wurden eine grundtragende RC-Platte mit einzelnen Stützenfundamenten, eine abgehängte einseitig vorgefertigte RC-Hohlkörperplatte mit RC-Streifenfundamenten sowie eine tragende Bodenplatte mit integrierten Stützenfundamenten. Durch diese Analyse konnte die vorgefertigte RC-Hohlkörperplatte mit RC-Streifenfundamenten, mit einer CO2 Reduktion von 16% im Vergleich zum aktuellen Standardprodukt, als best practice Modul identifiziert werden. Auch hinsichtlich der Stützen wurde ein entsprechender Vergleich zwischen Stahlstützen mit Bolzen, starren Betonstützen und Holzstützen mit Bolzen angestrebt. Eine Betrachtung mit Fokus auf die ökologischen Aspekte ergab hier eine Entscheidung für Holzstützen. Analog wurde mit den Mezzanin-Platten vorgegangen. Hier wurden Betonfertigteilplatten und Stahl-Beton-Verbundplatten verglichen, mit dem Ergebnis einer Entscheidung für Stahl-Beton-Verbundplatten. Für die Dachstruktur wurden verschiedene Optionen aus Stahl, Beton sowie Holz betrachtet. Die Untersuchung ergab, dass man mittels eines Holztragwerks 16% CO2 im Vergleich zur aktuellen Stahl-basierten Lösung erzielen könnte. Bei der Analyse der Fassadenelemente standen insbesondere die Faktoren des Demontagepotentials sowie der Wiederverwendbarkeit im Fokus. Die geringe Komplexität der Industriefassade von Distributionszentren ermöglicht eine einfache Implementierung von bereits verwendeten Elementen. Der Anteil der bereits verwendeten Elemente im Verhältnis zu neuen Elementen kann variiert werden, abhängig von der örtlichen Verfügbarkeit von Material. Aus diesem Ansatz ergibt sich ein Patchwork, das nicht nur Material spart, sondern auch der Nachhaltigkeit des Gebäudes zugutekommt und sich perfekt in das Design einfügt. Als letzte Komponentengruppe wurden die Außenanlagen betrachtet. Die bewusste Gestaltung der Außenflächen eines Fulfillment Centers kann dessen Kühl- und Wassermanagementkapazitäten deutlich erhöhen. Der Boden trägt zu etwa 40% zur Umgebungsstrahlung bei. Dunkle Oberflächen absorbieren und speichern die meiste Strahlung, was zu hohen Umgebungstemperaturen führt. Durch die Wahl einer Oberfläche mit hohem Reflexionsgrad kann ihr Wärmeeintrag reduziert werden. Verdunstungskälte von Regenwasserteichen im Außenbereich kann zur Klimaregulierung genutzt werden und ein leistungsfähiges Regenwassermanagement ermöglichen. Wo immer Last, Scherkräfte und Wasserrecht es zulassen, sollten die Böden durchlässig sein, um den Abfluss von Regenwasser zu erlauben. Neben dem Boden des Außenbereichs wurden auch Möglichkeiten zur Begrünung des Gebäudes sowie der Umgebung betrachtet. Ziel sollte auch hier sein, eine natürliche Regulierung der lokalen Umwelt durch Kühlung, Wassermanagement und Bepflanzung aus lokaler Produktion auf den Außenflächen zu ermöglichen. Im letzten Schritt wurden Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit betrachtet. Diese kann durch eine Vorbereitung auf die nahe Zukunft mit Ladesäulen für elektrische Fahrzeuge, überdachte Wartebereiche für öffentliche Verkehrsmittel, Abstell- und Lademöglichkeiten für Fahrräder oder aktivierte Dächer mit öffentlich zugänglichen Bereichen unterstützt werden.
Kombinationsmöglichkeiten: Die Balance ökologischer und ökonomischer Faktoren
Die anschließende Herausforderung sowie das Ziel der Prototypentwicklung war schließlich, die entsprechend besten Kombinationen zu erörtern. Mit der bisherigen Gebäudestruktur ergab sich als Vergleichsbasis ein CO2 Ausstoß von 230kg/m2. Durch einen Austausch der Bodenplatten mit der neu analysierten Variante ergab sich bereits eine Reduzierung der CO2 Emissionen um 16%. Wenn zusätzlich die genannten Holzstützen genutzt würden, würden sich die CO2 Emissionen um weitere 6% reduzieren. Wenn auch die Dachkonstruktion mit der best-practice Variante aus Holz ersetzt würde, würden sich die Emissionen um insgesamt 38% reduzieren. Eine zusätzliche Änderung der Fassadenelemente - und somit eine Anpassung aller untersuchten Komponenten - würde dies noch einmal übertreffen: “Wenn wir alle genannten best-practice Module anwenden, können wir die CO2 Emissionen fast halbieren. Das ist ein beachtlicher Unterschied und zeigt, dass wir mit unserem Step Change Projekt auf dem richtigen Weg sind”, so Raimund Paetzmann, VP Real Estate & Logistics Network Expansion bei Zalando.
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Um die Balance zu halten, müssen wie bereits erwähnt neben den zuvor fokussierten ökologischen Faktoren auch die ökonomischen Faktoren an dieser Stelle betrachtet werden. Durch die Anwendung aller best-practice Module würden sich die Gesamtkosten um 17% erhöhen. Dies könnte durch Kompromisslösungen angepasst werden, beispielsweise würde die Anwendung von Stahlstützen statt Holzstützen die Gesamtkosten um nur 12% erhöhen.
Nachhaltigkeit als Zukunftsinvestition
Zusammenfassend ergibt sich generell zunächst eine Erhöhung der Kapitalkosten, doch aufgrund der Betriebseffizienz, des deutlich geringeren Energieverbrauchs und auch z.B. aufgrund des Zugangs zu Investitionen durch die stetige Weiterentwicklung von ESG-Regularien werden die Betriebskosten im Laufe der Zeit niedriger sein. Schlussendlich ist ein Bauprojekt, das Emissionen reduziert und die negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt verringert - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Investition in die Zukunft.
Autoren: Raimund Paetzmann, Vice President Real Estate bei Zalando, und Dr. Christin Schneider, Team Lead Warehouse Innovations bei Zalando
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